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„Jetzt haben wir hoffentlich Ruhe“Polizei klärt Halskettenraub-Serie in Köln – Was über die jungen Täter bekannt ist

Lesezeit 4 Minuten
Polizisten halten tatverdächtige Jugendliche im Juli 2024 nach einem Halsketten-Raub am Ebertplatz fest.

Polizisten halten tatverdächtige Jugendliche im Juli 2024 nach einem Halsketten-Raub am Ebertplatz fest.

Ein harter Kern von 30 jungen Flüchtlingen soll seit Mai in Köln mehr als 250 Straftaten begangen haben – neun sitzen jetzt in Haft.

Die Serie an Halsketten-Raubüberfällen in der Innenstadt und am Ebertplatz scheint beendet zu sein – zumindest vorläufig. Nach Angaben der Polizei sitzen neun mutmaßliche Täter inzwischen in Untersuchungshaft, weitere 14 haben Köln nach Informationen der Ermittler verlassen – angeblich nach Spanien, weil ihnen der Fahndungsdruck in Köln zu hoch geworden sein soll.

Diesem harten Kern von 23 minderjährigen und jugendlichen Verdächtigen wirft die Polizei insgesamt 27 Kettenraube seit Mai vor. Meistens waren Senioren die Opfer, mitunter auch behinderte Menschen. Warum sich die Täter ausgerechnet auf goldene Halsketten spezialisiert hatten, sei nicht ganz klar, sagt Kölns Kripochef Michael Esser. „Das ist ein besonderes Phänomen, es scheint en vogue und für die Täter lukrativ zu sein.“

Köln: Halskettenräuber sollen sich nach Spanien abgesetzt haben

Doch das ist längst nicht alles: Die mutmaßlich 23 jungen Räuber sollen mit sieben weiteren Tatverdächtigen noch für andere, insgesamt mindestens 250 Straftaten in der Stadt verantwortlich sein, darunter Ladendiebstähle, Körperverletzungen und Drogendelikte. Esser wertet es als „gutes Ergebnis“, dass es gelungen sei, diese Tatserie nach vergleichsweise kurzer Zeit unterbrochen, vielleicht sogar beendet zu haben. „Anfang Mai ging es los, jetzt haben wir hoffentlich Ruhe“, sagt Esser und erwähnt dabei auch die „super Zusammenarbeit“ mit der Stadt Köln.

Alle Tatverdächtigen eint, dass es sich um unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge aus den Maghreb-Staaten handelt, sie kommen vorwiegend aus Marokko, aber auch aus Algerien und Tunesien. Manche sind möglicherweise tatsächlich jünger als 14 Jahre, andere offenbar deutlich älter, geben aber bei ihrer Einreise an, minderjährig zu sein, um in Deutschland als strafunmündig durchzugehen oder unter das Jugendstrafrecht zu fallen.

Einem angeblich 17-Jährigen konnte die Polizei erst diese Woche durch behördliche Daten aus seinem Heimatland nachweisen, dass er in Wahrheit 24 Jahre alt ist. Ein 14-Jähriger entpuppte sich als 20-Jähriger, ein 16-Jähriger als 23-Jähriger. Mit der Bundespolizei will die Polizei Köln bundesweit darauf drängen, dass Beamte künftig bei der Einreise junger Geflüchteter mögliche Zweifel an deren Altersangabe schriftlich dokumentieren – denn steht ein falsches Alter erst einmal in der so genannten polizeilichen Führungspersonalie, ist eine nachträgliche Änderung kompliziert.

95 Prozent sind für die Polizei kein großes Thema
Michael Esser, Leiter Kriminalpolizei Köln, über minderjährige Flüchtlinge in Köln

Kripochef Esser betont, bei den 30 Tatverdächtigen aus Nordafrika, die die Polizei insgesamt näher im Visier hatte, handele es sich um einen „verschwindend geringen Anteil“ unter den unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen, die zurzeit in Köln leben. „95 Prozent sind für die Polizei kein großes Thema“, sagt Esser. Nach Angaben der Stadt sind aktuell 612 minderjährige Geflüchtete in 44 Einrichtungen der Jugendhilfe untergebracht – zum Beispiel in der Jugendherberge „Pathpoint“ zwischen Breslauer Platz und Ebertplatz, dort, wo auch einige der Halskettenräuber gewohnt haben.

Die Stadt habe den gesetzlichen Auftrag, minderjährige Flüchtlinge aufzunehmen und von sozialpädagogischen Fachkräften betreuen zu lassen, betont Jugenddezernent Robert Voigtsberger. Auch er sagt: „Der Großteil integriert sich hier vorbildlich.“ Die meisten sind zwischen 14 und 17 Jahre alt, viele haben gefährliche Fluchten aus Kriegs- und Krisengebieten wie Syrien, Afghanistan oder der Ukraine hinter sich, viele stammen auch aus afrikanischen Ländern. Sie haben in ihrer Heimat in prekären Lebensumständen verbracht, manche hätten jahrelang auf der Straße gelebt, berichtet Barbara Frank, die stellvertretende Leiterin des Kölner Jugendamtes.

Stadt Köln betreut mehr als 600 allein reisende, minderjährige Flüchtlinge

Die globalen Krisen führten dazu, dass sich auch immer mehr junge Menschen auf die Flucht begäben, sagt Voigtsberger. Allein in Köln hat sich die Zahl der Minderjährigen unter ihnen seit Anfang 2023 bis heute von 400 auf etwas mehr als 600 erhöht. „Die weitere Entwicklung ist für uns nicht planbar“, sagt Barbara Frank.

Für die Stadt ist das ein großes Problem. Um nicht in die Situation zu geraten, Neuankömmlinge irgendwann gar nicht mehr aufnehmen zu können, muss die Verwaltung ein stetiges Angebot an geeigneten Immobilien und Betreuungspersonal vorhalten – angesichts der Immobilienknappheit in Köln eine Herkulesaufgabe. Zudem setzt der Fachkräftemangel der Jugendhilfe zu. Das Resultat: „Wir suchen jeden Tag nach geeigneten Immobilien und nach Trägern mit Fachpersonal“, berichtet Frank.

Zugewiesen werden die Flüchtlinge den Städten und Kommunen nach einem bestimmten Verteilerschlüssel durch das Land. Das übernimmt auch die Kosten für Unterbringung und Betreuung. Die so genannten Vorhaltekosten aber, also etwa die Anmietung und Herrichtung neuer Immobilien, muss jede Kommune zunächst einmal vorschießen; Geld vom Land gibt es erst, wenn die Unterkunft tatsächlich belegt wird. Nicht nur Dezernent Voigtsberger, auch seine Kollegen und Kolleginnen in anderen Städten und Kommunen bundesweit fordern längst, dass die Länder auch die Vorhaltekosten übernehmen.

Den 23 Mehrfachtätern unter den jungen Flüchtlingen sei es indes nicht um Integration gegangen, sagt Kripochef Michael Esser. „Wir sind froh, dass die einen jetzt in Haft sitzen und die anderen nicht mehr in Köln sind.“ Es wäre schließlich „fatal“, sagt Esser, wenn Kölnerinnen, Kölner und Touristen künftig aus Angst vor diesen Tätern bestimmte Plätze in der Stadt meiden würden. Und damit diese Täter möglichst auch nicht anderenorts zuschlagen, stehe die Polizei Köln bundesweit im Austausch mit anderen Polizeibehörden, sagt Esser.