Genug vom Kachelnzählen im Müngersdorfer? Dann quetscht euch in den Neoprenanzug und pflügt durch die Wogen des Fühlinger Sees.
Olympia in Köln„Welse lutschen höchstens mal am Zeh“ – Im Fühlinger See mit einem Schwimmtrainer
Türkisfarbene Salzwasserwellen, sonnenlichtdurchflutete Gebirgsseen, beim seitlichen Luftholen grüßt ein Bergpanorama oder ein lieblicher Strand an Sardiniens Küste. Naja, ganz so idyllisch ist die Freiwassereinheit auf Kölner Stadtgebiet jetzt auch wieder nicht. Der Fühlinger See hat keine 20 Grad, am Himmel hat jemand graue Nebelschleier zu dichten Wolken zusammengeknüllt, beim Luftholen schimmert die Silhouette der Fordwerke durch die tropfnassen Schwimmbrillengläser.
Rauer Charme alles in allem, könnte man vielleicht sagen. Die größte Herausforderung lauert aber beim Ausatmen im Wasser. Denn nach unten wird es dunkel, man sieht außer ein paar Algenschatten wenig und das beflügelt die Fantasie bekanntlich. Glotzt da ein Wels? Wabbelt da ein Aal?
Franziska van Almsick schwimmt im Meer nicht weit hinaus
„Beckenschwimmer lieben das Freiwasser meist nicht“, sagt Johann Ackermann diplomatisch. Man könnte es auch drastischer ausdrücken. Viele denken ja, dass Schwimmer sich tierisch auf einen Ausflug an den See oder das Meer freuen und dann dort juchzend die Wogen durchpflügen. So ist es nicht. Die meisten Leistungsschwimmer baden in der Natur am liebsten nur die Zehen, notfalls den Bauch.
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Franziska van Almsick, das Goldwunder der Wendezeit, hat einmal der Zeitschrift Gala verraten, sie würde im Meer niemals weit hinausschwimmen „weil ich da nicht weiß, was unter mir ist“. Zu unangenehm wäre die Vorstellung, Fische könnten ihre „Haut berühren“. Lediglich für einen Werbespot vor Mauritius ist van Almsick das Wagnis mal eingegangen und schwamm im offenen Meer, das Gebiet musste vorab aber mit einem Netz abgesperrt werden.
Ausnahmen gibt es natürlich. Florian Wellbrock reist beispielsweise als Titelverteidiger über zehn Kilometer Freiwasser zu den Olympischen Spielen nach Paris. Leonie Beck als dreifache Weltmeisterin im Freiwasserschwimmen. Aus dem Becken kommen ursprünglich beide. Vielleicht ging es ihnen irgendwann wie Johann Ackermann. Den hat das Freiwasser nach vielen Jahren Kachelnzählen dann doch in seinen Bann gezogen.
Vielleicht war es auch sowas wie eine Rückkehr. Denn wenn Ackermann an seine erste Wasserliebe zurückdenkt, dann fällt ihm Usedom ein. „Ich muss da fünf Jahre alt gewesen sein und fand das wirklich toll.“ Nach vielen Jahren als Leistungsschwimmer wechselte er zum Triathlon, schaffte es da unter anderem mit seinem Sieg auf der Kölner Langdistanz auf die Bestenliste der Deutschen auf der Ironman-Distanz.
„Die Wellen haben mich am meisten fasziniert“, sagt der 40-Jährige, der heute als Schwimmtrainer und Triathleten-Coach arbeitet. Das Wassergefühl im Meer sei einfach komplett anders, da man mit der Welle arbeiten müsse, auf ihr surfen, unter ihr durchtauchen – der Körper werde da eher zum Surfbrett. Für Ackermann ein Genuss: „Je widriger die Bedingungen, umso besser komme ich zurecht. Es liegt mir einfach.“
Meditativer Modus in der Natur – oft vor traumhafter Kulisse
Unliebsame Begleiterscheinungen des Beckenschwimmens fielen dafür weg. Zum Beispiel die Wende. „Die kostete mich wegen des langen Luftanhaltens immer viel Energie.“ Gerade wer in der Gruppe schwimmt, könne den Wasserschatten des Vorausschwimmenden nutzen. Zudem sei man anders als im Becken nicht dauernd mit Bahnenzählen beschäftigt. Wer im Freiwasser kraule, der gelange in der Natur viel eher in einen meditativen Modus – „oft vor traumhafter Kulisse“. Ackermann schwärmt vom Engadin, vom Zeller See, von Australien, Fuerteventura und Südafrika. Und watet dabei vom Blackfoot-Beach durch grüne Algen in den Fühlinger See.
Er selbst sei in Australien schon mal von einer Riesenwelle auf einen Hai gespült worden. Passiert sei aber niemals etwas. „Die greifen auch nicht einfach an“, sagt Ackermann. Auch die bis zu eineinhalb Meter langen Welse im Fühlinger See verhielten sich meist friedlich. „Die verschlucken höchstens mal ne Boje oder lutschen einem am Zeh.“ Ackermann selbst sei da entspannt, nur Brücken meide er. „Da lungern schon mal unheimliche Gestalten am Grund rum.“
Wer sonst nur im Müngersdorfer Bahnen zieht, den macht der Fühlinger schnell und unbarmherzig auf die Besonderheiten des Freiwasserschwimmens aufmerksam. Durch den Neoprenanzug wird es in jedem Fall anstrengender für die Arme, der Widerstand ist schließlich etwas größer. Außerdem ist die Orientierung eine große Herausforderung. Am Beckenboden hat man die Bahn immer im Blick, im Freiwasser muss man wasserballmäßig auch mal über Wasser den Kopf nach vorne drehen und dabei am Horizont einen Fluchtpunkt fixieren, auf den man zusteuert. Sonst kommt man komplett vom Kurs ab.
Für diesen Fall hält auch ein Könner wie Ackermann übrigens immer die Sicherheitsvorkehrungen ein. An einem Seil um seinen Bauch hat er eine aufblasbare Boje befestigt, die er hinter sich herzieht und an der man sich im Notfall immer festhalten kann. Gerade wenn man alleine durch die Natur krault, sei das Pflicht. Ebenso wie das Bescheidgeben bei der Familie oder Freunden, wo man wann gesucht werden müsste. Außerdem rät er zur Badekappe. „Bitte niemals in Schwarz. Man will schließlich von potenziellen Rettern entdeckt werden.“
Beim Freiwasserschwimmen zu beachten
Es wird gekrault, Brust funktioniert wegen des Auftriebs des Neoprenanzuges nur schwer. Und ein Neoprenanzug ist gerade in kühleren Gewässern nötig. Anders als beim Eisbaden kann sich bei schneller Bewegung kein warmer Wasserfilm um den Körper bilden, weshalb man schnell auskühlt.
Herausforderungen sind vor allem Wellen und Strömungen, das Schwimmen wird dadurch teils deutlich kräftezehrender.
Geschwommen werden sollte nur in bewachten Gewässern und mit aufblasbarer Boje.
Freiwasserschwimmen bei Olympia
Der Schwimmwettkampf über zehn Kilometer im Freiwasser der Frauen bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris findet am 8. August statt, die Männer starten einen Tag später. Geschwommen werden soll in der Seine. Aus Deutschland starten Oliver Klemet aus Frankfurt und Florian Wellbrock aus Magdeburg, bei den Frauen treten Leonie Beck aus Würzburg sowie Leonie Märtens aus Magdeburg an.