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Seit 45 Jahren Familienkutsche und Rennwagen

Lesezeit 4 Minuten

Rennschalen und Sportlenkrad prägen das aktuelle Interieur.

Es gibt nicht viele Menschen, die ihr Auto 45 Jahre lang besitzen. Es gibt auch nicht viele Menschen, die all die Auto-Jahre fotografisch dokumentiert haben. Gerd Müller aus Niehl gehört zu dieser seltenen Spezies, nicht nur ein Album mit Kadett-Aufnahmen aus mehr als vier Jahrzehnten kann er aus dem Schrank ziehen. Die meisten davon zeigen Müller als Kadett-Pilot auf Slalom-Veranstaltungen auf Parkplätzen oder Rennstrecken, denn im Laufe der Zeit hat der 72-Jährige seine kardinalrote Kadett-Limousine in eine veritable Sportskanone verwandelt, die er an den Wochenenden über die Pisten jagte. Unter der Woche war die Limousine für alles zuständig, was der Familienalltag erforderte: Einkaufen, Kinder wegbringen, zur Arbeit fahren. Ein Hauch von Sportlichkeit brachte der Brot- und Butter-Opel von Anfang an mit: Gerd Müller bestellte ihn 1974 in der SR-Ausführung. Und das hieß unter anderem: Zusatzarmaturen, Sportlenkrad und Rallye-Lackierung. Deshalb habe ich ihn: 1971 hatte ich mir einen Kadett B gekauft, der mit seinen 45 PS aber einfach zu langsam war. Das Rasen war nie mein Ding, aber schnell um die Ecken sollte mein Auto schon fahren können. 1974 war der Ford Escort 1300 auf dem Markt, den ich gut fand, aber der Kadett C in SR-Ausführung gefiel mir einfach besser. Ich habe den Wagen jetzt seit fast 45 Jahren und bin nie ernsthaft auf die Idee gekommen, ihn zu verkaufen. Der Kadett war nicht nur mein Alltags- und Familienauto, mit dem ich zur Arbeit oder zum Kindergarten gefahren bin. An den Wochenenden wurde er zudem zum Sportgerät. Am Anfang bin ich für die Renngemeinschaft Sieglar Slalom gefahren, später dann Leistungsprüfungen auf diversen Rennstrecken. Im Laufe von ein paar Jahren wurde aus dem Serienfahrzeug ein Sportwagen mit Ölkühler, Spoiler und Überrollbügel. Ich habe mich 1983 als Kälte- und Klimatechniker selbstständig gemacht, was in den ersten Jahren viel Maloche bedeutete. Der Kadett war für mich immer eine willkommene Abwechslung vom Stress, er war mein Hobby. Heute lasse ich es ruhiger angehen und brauche mir nichts mehr zu beweisen. Das kann er: Er hat sehr gute Fahreigenschaften, mit den harten Koni-Sportstoßdämpfern komme ich schnell um jede Ecke. Selbst nach fast 45 Jahren macht es noch Spaß, den Kadett auf kurvenreichen Strecken schnell zu bewegen und neuere Fahrzeuge alt aussehen zu lassen. Der Kadett ist aber kein Angebertyp, sondern ein bescheidener Vertreter seiner Zunft. Der große Auftritt liegt ihm nicht.

Trotzdem glänzt er durch eine gute Leistung, die auch seinem geringen Gewicht geschuldet ist. Er ist sehr leicht, weil ich schon vor Jahren alles Überflüssige rausgeworfen habe. Allein 18 Kilo Dämmmaterial auf dem Boden mussten weichen. Das kann er nicht: Die Schalensitze machen Nicht-Motorsportlern das Ein- und Aussteigen schwer. Ich, mit meinen 72 Lenzen, komme noch ganz gut rein und raus, dank einer speziellen Technik. Ein typisches Kadett-Problem ist auch bei mir immer wieder aufgetreten: Wenn er warm war, streikte oft der Anlasser und ich musste mit dem Hammer auf den Magnetschalter am Anlasser schlagen.

Aber das habe ich mittlerweile in den Griff bekommen, unter anderem mit neuen Kabelverbindungen. Das habe ich für ihn getan:In den letzten Jahren habe ich wenig gemacht, aber in der Anfangszeit habe ich unheimlich viel daran geschraubt oder schrauben lassen. Allein die Bremsbeläge musste ich nach jedem Rennen austauschen, die waren meistens zu zwei Dritteln weggebremst.

Ursprünglich hatte der Kadett 60 PS, mittlerweile sind es 87. Durch den Solex-Doppelvergaser und eine andere Nockenwelle hat er ein bisschen mehr Power bekommen. Das haben wir erlebt: Zum Glück gab es in all den Jahren nur Ausrutscher und Dreher, aber nie einen Aufprall. Sehr haarig war es aber einmal bei einer Leistungsprüfung auf der Nordschleife, als mir beim Beschleunigen aus der alten Südkehre die Gasrückholfeder brach und alles auf Vollgas stand. Nach dreimaligem Verlassen der Strecke wusste ich mir nicht anders zu helfen, als beim Schalten die Zündung auszuschalten und nach dem Einkuppeln wieder einzuschalten. So kamen wir dann doch noch im Fahrerlager an. Ich schaute zum Beifahrer hinüber und fragte, ob er zwischendurch mal die Augen geschlossen habe. „Nein“, sagte er: „Ich dachte, jetzt sehe ich einen Film, den ich nie wieder zu sehen bekomme.“ Er war in all den Jahren ein guter Beifahrer und hat mir nie den Innenraum verunreinigt. Das haben wir vor: Oldtimertreffen in der Umgebung sind immer noch eine schöne Abwechslung, aber Rennen tue ich uns nicht mehr an. Höchstens fahre ich beim Oldtimer-Grand-Prix noch ein paar Runden über die Nordschleife des Nürburgrings. Dabei kommt es nicht auf Höchstgeschwindigkeit an, sondern auf Fahrspaß. Und mehr verlange ich nicht mehr von meinem alten Opel.

OPEL KADETT C SR,

Baujahr: 1974,

Gerd Müller mit seiner Frau Annegrete im Jahr 1974 kurz nach dem Kauf des Opels (l.) und heute (M.); In einem Renneinsatz auf der Nürburgring-Nordschleife (r.).

Hubraum (ccm): 1200,

PS: 87,

Zylinder: 4,

Gerd Müller mit seiner Frau Annegrete im Jahr 1974 kurz nach dem Kauf des Opels (l.) und heute (M.); In einem Renneinsatz auf der Nürburgring-Nordschleife (r.).

km/h (max.): 170,

Verbrauch: ca. 10l,

Gebaute Exemplare: ca. 1,7 mio,

Gerd Müller mit seiner Frau Annegrete im Jahr 1974 kurz nach dem Kauf des Opels (l.) und heute (M.); In einem Renneinsatz auf der Nürburgring-Nordschleife (r.).

Neupreis: 10 000DM ,

ALTE LIEBE ROSTET NICHT

Wichtig bei einem „Ringtool“: Der Not-Aus-Schalter (l.); im Laufe der Jahre ist der Motor auf 87 PS erstarkt.

Wichtig bei einem „Ringtool“: Der Not-Aus-Schalter (l.); im Laufe der Jahre ist der Motor auf 87 PS erstarkt.

Der Kadett kann auf kurvigen Straßen auch heute noch mit den „vermeintlich Schnelleren“ mithalten.

Maskottchen, da wo normalerweise eine Rückbank sein sollte.