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Sommer in KölnEine Nacht im Stadionbad

Lesezeit 6 Minuten

Studenten springen in Formation nachts vom Zehner – wer es nachmacht, bekommt eine Strafanzeige.

Köln – Lange nach Mitternacht atmet die alte Waschbetontribüne am Stadionfreibad noch warm. Schön: Der späte Sommer glüht am Hintern nach. Wo das Wasser ein paar Stunden zuvor vor Menschen toste, schimmert der Mond im glatten Spiegel und schaut zwei Mädchen beim verbotenen Bad zu.

Malvina und Chiara stehen bis zur Taille im Wasser, sie trinken Cola-Bier reden über Jungs und Eltern und dass sie längst zu Hause sein müssten. Ab und zu gucken sie rüber zum Sprungturm. Im Sekundentakt stürzen sich mehrheitlich nackte Sportstudenten vom Zehner, allein, in Formation, bejubelt von Kumpels und Mädels, ein jeder stolz auf seinen durchtrainierten, vor Energie fast berstenden Körper. In diesem Moment sind sie die größten. Frei im Bad.

„Erwischt werden wäre Horror“

„Einmal nachts ins Freibad zu gehen, stand auf unserer To-Do-Liste ganz oben“, sagt Malvina (16). Sie erzählt, wie sie über die Zäune geklettert sind und zeigt eine Schramme. Die Zäune sind nicht so hoch wie an der EU-Außengrenze in Ceuta und Melilla, aber hoch sind sie doch.

Der Lichtkegel einer Taschenlampe flackert über die Wiese und kommt näher. Security? Nein, vier Jugendliche. Sie machen Handyfotos vor der Rutsche, kichern und verschwinden nach kaum zwei Minuten wieder. „Erwischt werden wäre Horror“, sagt Malvina. „Meine Eltern würden mich umbringen“, sagt Chiara (17).

Bäderchef Berthold Schmitt nachts auf dem Zehn-Meter-Turm.

Eine andere Nacht im Freibad.

Auf dem Zehner, der seit dem Umbau der Becken am Stadionbad nur 9,02 Meter hoch ist, steht Berthold Schmitt, Chef der Kölner Bäderbetriebe. Heute werden keine Nachtschwimmer kommen. Nicht, weil Schmitt den Sheriff spielt – es wird für den großen Wakeboard-Wettbewerb am Sonntag aufgebaut, die Becken stehen im Scheinwerferlicht, über 60 Menschen arbeiten um 23 Uhr noch an Rampen.

Was passiert, wenn Nachtschwimmer erwischt werden

Berthold Schmitt weiß, dass die Nachtschwimmer-Geschichten zwei Seiten haben, eine erlaubte und eine verbotene. Eine, die Sehnsucht weckt, und eine, die in der Realität spielt.

„Es ist ja kein Geheimnis, dass Menschen im Hochsommer nachts ins Freibad gehen“, sagt der 59-Jährige. Er will nicht den harten Durchgreifer spielen, „ich habe das als Jugendlicher selbst hin und wieder mit Freunden gemacht“, sagt er. Heute ist seine Sicht eine andere. „Ins Freibad einsteigen, bedeutet Hausfriedensbruch oder Eintrittspreiserschleichung. Wenn wir jemanden erwischen, rufen wir die Polizei und der bekommt eine Anzeige. Das kann nicht nur für junge Menschen sehr unangenehm sein.“

Berti riefen seine Freunde Schmitt früher. Berti hat seine Jugend auf dem Bolzplatz und im Freibad verbracht. „Was anderes gab es für uns nicht.“

Im Freibad ging es natürlich ums Gesehen werden. „Wir sind von hier Hunderte Male vom Zehner gesprungen, die Mädels saßen unten auf der Tribüne und haben zugeguckt.“ Berti war ein ganz guter Springer. „Ich habe mir zumindest eingebildet, dass ich ab und zu Eindruck geschunden habe.“

Beinahe-Unfall am Fühlinger See

Als Sportstudent hat er dann als so genannter Badewärter auch im Stadionfreibad gearbeitet, „nach sechs Wochen sah man so aus, als wäre man schon im Urlaub gewesen, das war ein sehr beliebter Job bei Studenten“. Klar weiß er von damals auch, wie es nachts im Stadionbad ist.

Am Fühlinger See schwamm er in einer Sommernacht mit Freunden auf der Ruderstrecke und schrie plötzlich auf. Vor ihm war ein Ruderboot aufgetaucht – im letzten Moment hatten die jungen Leute, die unerlaubt Boote zu Wasser gelassen hatten, vor den verbotenen Schwimmern stoppen können. „Wir haben dann zusammen gefeiert, im Rückblick war das natürlich eine schöne Geschichte. Aber es war eben auch sehr gefährlich.“

Die Sportstudenten springen wieder und wieder in die Tiefe. Nur der Vollmond spendet ein bisschen Licht. Es sei eine Laune gewesen, hier einzusteigen, nach dem Grillen, sagen die Jungs. Sie wirken ein bisschen aufgedreht, aber nicht betrunken.

Der Reporter springt vom Block, schwimmt 50 Meter, legt sich auf den Rücken, guckt in die Sterne, die Mädels glucksen in der Ferne, die Jungs klatschten sich ab, der Schreiber schweift in seine Jugend. Es stellt sich eine Nachtszene am Baggersee ein, das etwas beschämte Ausziehen vor dem Nacktbaden mit der Jugendliebe, das möglichst coole Rauchen einer Selbstgedrehten, der warme Weißwein und die misslungene Annäherung nach dem Baden, das verkopfte Zitieren irgendeines Gedichts. „Wie süß“, hatte sie gesirrt, doch von der Nacht blieben nur Mückenstiche. Ein paar Wochen später war sie mit einem vier Jahre älteren Golffahrerschnösel davongedüst. Große Träume, schnöde, kleine Realität.

Die Jungs springen vom Zehner, so ausdauernd, als dürfte der Moment bitte nicht vergehen.

Warum Nachtschwimmen im Freibad gefährlich ist

„Stellen Sie sich vor, hier rutscht jemand ab. Dann fischen wir am Morgen womöglich einen Ertrunkenen aus dem Becken“, sagt Berthold Schmitt. Nachts arbeiten Reinigungsgeräte auf dem Boden der Becken, die unter Starkstrom stehen. Manchmal sind die Roste der Wasserabflüsse und Überlaufrinnen hochgeklappt. „Wer hier unbeaufsichtigt schwimmen geht, begibt sich in große Gefahr.“

Die Nachricht „Tod beim Nachtschwimmen im Freibad“, gab es in Köln noch nicht, in anderen Städten schon. „Will ich hier auch nicht lesen“, sagt Schmitt, dem noch etwas anderes zu schaffen macht: „Der Vandalismus hat stark zugenommen. Die Leute schmeißen Grills und Müllcontainer ins Becken und sprühen mit Farbe rum. Im Lentpark mussten wir eine zeitlang alle paar Wochen Graffiti entfernen.“

Nicht nur das Nachtschwimmen an sich habe zwei Seiten, auch von den Nachtschwimmern gebe es zwei Sorten: „Die, die harmlos sind und einfach einmal im Leben so etwas erleben wollen, und die, die betrunken sind und zerstörungswütig.“

Wegen der zweiten Fraktion setzen die Bäderbetriebe mitunter auch Sicherheitsdienste und Kameras ein.

Chiara und Malvina gehören wie die Sportstudenten ganz klar zur ersten Fraktion. Chiara schreibt eine SMS mit vielem Emoticons an eine Freundin. Was noch so auf ihrer To-Do-Liste stehe? Vieles, sagt Malvina. „Es geht darum, später nicht im Altenheim zu sitzen und zu denken: Das und das und das hätte ich gern gemacht.“

Klingt irgendwie weise aus dem Mund einer 16-Jährigen, auch wenn sie gerade zur Hausfriedensbrecherin geworden ist und der Sprung vom Zaun um ein Haar im Krankenhaus geendet hätte. Malvina unterhält sich mit einem der Sportstudenten, der so unbekümmert nackt da steht, dass Malvina ihm ganz ganz fest in die Augen guckt – und losprustet, als er abgedreht ist.

Berthold Schmitt erzählt aus der Zeit, „als die Bademeister noch blaue Hosen, weiße Hemden und einen so genannten Eierschalen-Hut trugen, einen Waschbärbauch hatten und eine ehrfurchteinflößende Trillerpfeife“. Nicht alle Geschichten sind für die Zeitung bestimmt.

„Eine kleine Plauze habe ich immerhin inzwischen auch“, sagt Schmitt und lacht. Ein Mann ist älter geworden und mit sich im Reinen. Bäderchef, das passt sehr gut zu diesem Mann mit den wasserblauen Augen, dem dunklen Teints, der rheinisch-italienischen Lässigkeit.

Vom Zehner gesprungen ist Schmitt zuletzt 1999 – während der Öffnungszeiten. An die letzte verbotene Nacht im Freibad kann er sich nicht mehr erinnern. Beim unfreiwilligen Schwarzbaden erwischt worden wäre der Bäderchef fast vor fünf Tagen noch. Schmitt war mit seiner Lebensgefährtin und Labradorhündin Emma in Holweide spazieren, als Emma im Biotop vor dem Axa-Haus Enten sichtete. Die Hündin jagte eine Dreiviertelstunde dem Federvieh hinterher und ließ sich nicht stoppen, die Partnerin bekam Angst um den Hund.

Irgendwann entledigte sich Schmitt seiner Kleidung und stieg Emma hinterher. „Danach musste ich meine Sachen erstmal wiederfinden. Der Bäderchef in Unterhose im Biotop: Wäre peinlich gewesen, wenn mich da jemand gesehen hätte.“