Köln – Ein kurzer Blick, ein Kopfnicken, schon sind die beiden Männer im Geschäft. Schauplatz des mutmaßlichen Drogendeals ist die Steintreppe vor dem Südportal des Doms am Roncalliplatz, gleich neben dem Dom-Shop. Es ist Dienstag, 14.30 Uhr.
Zwei Mädchen waten mit hochgekrempelten Jeans durch das Wasser im Brunnen, Touristen strecken ihre Handykameras Richtung Kirchtürme, vor dem Römisch-Germanischen Museum bestaunt eine Schulklasse durch die großen Fenster das Dionysos-Mosaik.
Einer der beiden Männer erhebt sich von der Treppe, nebeneinander schlendern sie Richtung Museum. Während der eine vor der Dombauhütte wartet, geht der mutmaßliche Dealer zu einem Beet am Treppenabgang zum Parkhaus und nimmt auf einem Mäuerchen Platz. Er zieht etwas aus der Blumenerde und spaziert zu dem Wartenden zurück. Für einen Moment berühren sich die Hände der beiden. Vermutlich tauschen sie hier Ware gegen Geld. Mit letzter Gewissheit lässt sich das nicht erkennen, vielleicht hat der Mann im Trikot auch nur ein Blümchen für seinen Freund gepflückt. Vielleicht aber auch nicht. Sicher ist: So läuft laut Polizei ein typischer Deal ab.
Gegen Mittag tauchen die ersten Rauschgifthändler am Dom auf, je nach Wetter und Jahreszeit brummt das Geschäft bis in die späten Abendstunden. Hauptumschlagplatz war bislang vor allem die Treppe am Rheinufer unterhalb der Philharmonie. Inzwischen haben die Dealer ihr Revier auch auf den Bereich zwischen Museum Ludwig und Domplatte ausgeweitet. Hier bahnen sie den Kontakt zu ihren Kunden an.
Die Polizei weiß das, und die Dealer wiederum wissen, dass die Ermittler sie beobachten. „Das Thema ist uns bekannt, wir haben die Szene im Blick“, sagt Polizeisprecher Karlo Kreitz. Aber die Täter haben sich längst auf die Razzien eingestellt. Sie stellen Späher ab, die Ausschau nach Zivilbeamten halten. „Sie tragen die Drogen auch nicht unnötig lange in der Tasche mit sich herum, sondern legen in Beeten und Büschen sogenannte Bunker an“, erklärt ein Fahnder. Verstecke also, in denen sie das Marihuana lagern, in Plastiktütchen portioniert für den Verkauf.
Werden die Dealer erwischt, erklären sie kleine Mengen, die sie bei sich tragen, kurzerhand zum Eigenbedarf. Und der ist straffrei. „Wir müssen schon genau nachweisen können, wer wem wann wie viel verkauft hat“, sagt der Fahnder, „alles andere zählt vor Gericht nicht.“ Für die Ermittler ist das oft frustrierend. Wird tatsächlich mal ein Verdächtiger festgenommen oder sogar vor Gericht gestellt, ziehen die Hintermänner ihn einfach ab und ersetzen ihn durch einen Komplizen. „Die wechseln ihre Leute ständig aus“, erzählt der Fahnder.
Es ist jetzt 15 Uhr. Vor dem Römisch-Germanischen Museum geht ein junger Mann mit blauem Käppi, weißem Shirt und kurzer Hose auf einen mutmaßlichen Dealer zu. Ein kurzer Wortwechsel, dann schlendern sie nebeneinander davon. Über den Roncalliplatz, den Wallrafplatz, vorbei am Museum für Angewandte Kunst bis zum Kolpingplatz. Aus einem Gebüsch gegenüber dem WDR-Gebäude An der Rechtsschule zieht der mutmaßliche Dealer mehrere Plastiktütchen. Dann berühren sich die Handflächen der Männer, und ihre Wege trennen sich. Beide scheinen sich ihrer Sache sehr sicher zu sein, sie schauen sich kein einziges Mal um.
„Wir könnten die Dealer mit bestimmten Maßnahmen aus dem Dom-Umfeld verdrängen“, sagt Polizeisprecher Kreitz, „aber damit würden wir das Problem nur verlagern.“ Um die Szene wirksam zu bekämpfen und an die Hintermänner zu kommen, brauche man einen langen Atem. Kreitz: „Das ist kein Problem, das man von heute auf morgen lösen kann.“
Zurück zum Römisch-Germanischen Museum, 15.15 Uhr. Ein Händler lehnt an einer Säule und telefoniert. Er steckt das Handy weg, geht entlang des Südportals über die Domplatte bis zum U-Bahnabgang vor der Zentrale von Köln-Tourismus. Handschlag mit einem Mann, der schon auf ihn wartet. Eine kurze Plauderei, dann zieht der Händler Geldscheine aus seinem Portemonnaie und gibt sie seinem Partner. Der bedankt sich, steigt auf sein Fahrrad und fährt davon. Man kennt sich, kommt ohne viele Worte miteinander aus. Die Szene am Dom ist perfekt organisiert. Auf der einen Seite die Händler und Späher, auf der anderen die Verteiler, die die Dealer mit Drogen beliefern.
Auch auf der Rampe zur Hohenzollernbrücke, schräg gegenüber dem Reiterstandbild Kaiser Wilhelms II., haben die Täter an diesem Dienstag offenbar ein heimliches Depot angelegt. Einer der Männer verschwindet kurz im Gebüsch, auch er macht sich nicht die Mühe, sich vorher umzusehen. Er hockt sich zwischen die Sträucher neben die Bahngleise, dort wo die ersten Liebesschlösser am Zaun hängen, und gräbt mit den Händen in der Erde. Dann tritt er lässig wieder heraus, steigt die Stufen zum Rhein hinab und nimmt seinen Platz unterhalb der Philharmonie ein.