Köln – Vor aller Augen setzt sich ein Heroin-Süchtiger am Neumarkt eine Spritze, Betrunkene torkeln umher – das sind bedrückende Anblicke. Der Neumarkt und der angrenzende Josef-Haubrich-Hof gehören mit ihren Szenen von Drogenabhängigen und Trinkern inzwischen zu den Plätzen in Köln, an denen für jedermann sichtbar wird, wie sehr Menschen durch Abhängigkeit verelenden können.
Das so Offensichtliche ist auch ein Hinweis darauf, wo die Stadt ihre Suchthilfen noch verstärken kann. Denn die Zahl der Süchtigen wächst, ganz egal, ob sie von legalen oder illegalen Drogen abhängig sind.
Mit einer Analyse der Lage macht das Gesundheitsamt in seinem Kölner Suchtbericht 2016 darauf aufmerksam. Dabei wurde die am weiteste verbreitete Sucht, die nach Nikotin, komplett ausgespart, weil Raucher überwiegend Entwöhnungsprogramme von Krankenkassen nutzen und nicht zu städtischen Einrichtungen kommen.
Wie Süchtigen in Köln geholfen wird
Suchtkranke werden generell nicht ihrem Schicksal überlassen, weil ihre Krankheit sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft enorme Probleme und Kosten bedeuten. Sie wirkt nicht nur körperlich schädigend, sondern zerstört auch Beziehungen, sorgt oft ab einem bestimmten Punkt für beruflichen Abstieg.
Das bestehende städtische Netzwerk an Hilfen bietet bereits eine solide Grundstruktur, um Abhängigen Unterstützung und Ausstiegsmöglichkeiten zu geben. Aber nicht nur der steigende Bedarf zwingt zu einem Ausbau, neuartige Drogen verlangen auch neue Wege zur Eindämmung.
Sucht-Auslöser allerersten Ranges sind die „Kulturdroge“ Alkohol und/oder Medikamente. Zwar kommt das Komasaufen bei jungen Leuten allmählich aus der Mode, die Zahl alkoholkranker Erwachsener in den Kliniken nimmt jedoch zu.
Um den riskanten Umgang mit Alkohol und Medikamenten frühzeitiger erkennen zu können, wünscht sich das Gesundheitsamt mehr Unterstützung durch die (Haus-) Ärzte. Sie sollten bei ihren Patienten aufmerksamer werden für mögliche Abhängigkeiten und enger mit den Suchthilfeeinrichtungen zusammenarbeiten. Denn von sich aus finden zu wenige Süchtige den Weg in Beratungsstellen. Sinnvoll sei es deswegen auch, so der Vorschlag des Amtes, wenn mehr Fachleute in die Szenen gehen, Süchtige ansprechen und ihnen Unterstützung anbieten.
Cannabis ist unangefochten die am weitesten verbreitete illegale Droge. Seit Jahren erhöht sich ständig die Wirkstoff-Konzentration in den Hanf-Pflanzen – mit erheblichen Auswirkungen. Die Zahl der Patienten in den Kliniken steigt sprunghaft an. Vor allem junge Leute sind von Folgen wie psychischen Erkrankungen und sozialem Abstieg betroffen. Daher fordert das Gesundheitsamt mehr Aufklärung. Notwendig sei zudem ein regelmäßiger Austausch des Amtes mit der Polizei, um die Verbreitung der Droge verfolgen zu können.
Der Heroin-Konsum bleibt in Köln bereits seit Jahren hoch – und das entgegen dem Trend in anderen Großstädten. „Hier ist der Stoff offenbar leicht verfügbar“, sagt Dr. Anne Bunte, Leiterin des Gesundheitsamtes. Das Problem lässt sich nicht durch eine Vertreibung der Süchtigen aus Szenebereichen lösen. Bessere Erfahrung hat die Stadt damit gemacht, ihnen neben Angeboten zum Entzug auch Möglichkeiten zu geben, kontrolliert mit der Abhängigkeit zu leben. Dazu dienen Suchthilfen direkt vor Ort. So soll es am Szeneort Neumarkt künftig einen weiteren Drogenhilferaum geben. Dort gibt es Rückzugsräume sowie medizinische und soziale Helfer. Viele Abhängige wünschen sich auch eine Beschäftigung, um ihrem Tagesablauf eine Struktur zu geben. Das ergab eine Kölner Befragung unter Nutzern harter Drogen.
Es gibt noch weitere Szenetreffs am Wiener Platz, am Bezirksamt Kalk, an den Ringen und am Kölnberg. Auch diese Gebiete sollen im Blick bleiben, etwa von Fachkräften, die dort Süchtige aufsuchen. Weitere illegale Drogen wie Crystal Meth, Speed, Ecstacy, LSD werden laut Untersuchung derzeit nur von einer kleineren Zahl Konsumenten genutzt.
Erhöhte Aufmerksamkeit verlangen inzwischen Verhaltenssüchte wie krankhaftes Glücksspiel und exzessiver Mediengebrauch. Teilnehmer des Runden Tisches Glücksspielsucht überlegen derzeit, wie die hohe Zahl der Spielhallen in Köln verringert werden kann. Das relativ neue Phänomen der Abhängigkeit von sozialen Medien und Computer-Spielen sei noch schwierig zu erfassen, so Bunte. Wenn Medienabhängigkeit als eigenständiges Krankheitsbild anerkannt werde, dann „stellt uns das vor neue Herausforderungen“. Dabei geht es um die Entwicklung geeigneter Maßnahmen gegen den Kontrollverlust durch ausufernde Computernutzung und seine Auswirkungen.
Die meistkonsumierten Drogen und die Folgen
Alkohol
21.700 Kölner sollen nach Schätzung aufgrund der bundesweiten Studie Epidemiologischer Suchtsurvey 2012 (ES 2012) alkoholkrank sein. Doppelt so viele Männer wie Frauen sind betroffen.
Mehr als die Hälfte junger Erwachsener von 18 bis 20 Jahre erleben mindestens ein Rauschtrinken im Monat. Jeder sechste Jugendliche von 11 bis 17 Jahren hat bereits einen riskanten Alkoholkonsum.
Auffallend ist die Zunahme kranker Erwachsener. In Köln wurden 2014 insgesamt 4332 Patienten aus Krankenhäusern entlassen, 173 von ihnen waren minderjährig und hatten eine Alkoholvergiftung. Ziel der Gesundheitspolitik ist die Verringerung des Konsums.
Medikamente
Diese Art Sucht ist kaum exakt zu erheben, die Schätzungen in verschiedenen Studien gehen weit auseinander. Der Konsum von Medikamenten steigt aber seit Jahren, am stärksten bei Schmerzmitteln.
Vor allem Frauen werden abhängig. Laut ES 2012 litten in Köln 23800 Menschen im Alter von 18 bis 64 Jahren an Schmerzmittel-Sucht. Dazu kommen Fälle von Beruhigungsmittelabhängigkeit.
Zwischen 2009 und 2014 gab es 240 Entlassungen nach Entgiftung aus Kölner Krankenhäusern. Inzwischen gibt es sechs Fachberatungsstellen mit Schwerpunkt Alkohol- und Medikamenten- Abhängigkeit sowie drei Entgiftungskliniken mit psychosozialer Betreuung.
Cannabis
Cannabis ist die am häufigsten konsumierte illegale Droge, laut ES 2012 trifft das bundesweit auf 4,5 Prozent aller 18- bis 64-Jährigen zu. Auf Köln berechnet wären das im Jahr 2014 31.245 Personen.
Der Konsum beginnt früh, bei jedem zwölften Jugendlichen zwischen zwölf und 17 Jahren, bei mehr als jeder sechsten Person zwischen 18 und 25 Jahren. Der Wirkstoffgehalt nimmt seit Jahren zu.
Gefährlich sind daher auch Auswirkungen wie psychische Störungen und Verhaltensstörungen. 2013 wurden 205 Patienten nach Behandlungen aus Kölner Krankenhäusern entlassen, 2014 waren es 326 Patienten. Jeder fünfte Kranke war minderjährig. Insgesamt nimmt der Konsum von Cannabis zu.
Kokain
Kokain wird nach Cannabis als illegale Droge am zweithäufigsten in Köln konsumiert, laut Schätzung nach ES 2012 wären es 5555 Menschen im Jahr 2014 gewesen.
Die Gefahr einer Abhängigkeit ist groß. Hilfesysteme werden von Abhängigen selten genutzt. Bei 80 Patienten war Kokain 2014 Grund für eine Einlieferung ins Krankenhaus.
Stationäre Aufenthalte nehmen jedoch von Jahr zu Jahr zu. Bei Einweisungen wegen psychischer Störungen ist in hohem Maß ein Mischkonsum (Cannabis, Heroin, Amphetamine, Kokain, Alkohol) die Hauptursache. Mehrfachabhängigkeiten führen nicht selten zu gravierenden gesundheitlichen Schäden.
Heroin
Heroin ist in Köln nach einer Untersuchung des Robert-Koch-Instituts im Jahr 2013 das bevorzugte Opiat. 322 Nutzer ausschließlich harter Drogen waren befragt worden, 85 Prozent von ihnen konsumierten Heroin. Damit nahm Köln den Spitzenplatz beim Heroin-Konsum unter deutschen Großstädten ein.
2014 hatten zwischen 801 und 2330 Kölner einen problematischen Opiat-Konsum. Stationäre Behandlungen nahmen in diesem Jahr zu. Kölner Nutzer sind mit durchschnittlich 41 Jahren am ältesten.
2015 befanden sich 3113 Heroin-Anhängige in Drogenersatz-Therapie. Ecstacy und Cystal Meth werden in Köln wenig konsumiert, die Polizei registriert jedoch einen Anstieg.
Glücksspiel
Unter Glücksspielsucht litten 2014 etwa 6000 Kölner im Alter von 16 bis 65 Jahren. Daten dazu lieferte die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung mit einer Studie von 2013.
Besonders gefährdet sind Männer zwischen 18 und 20 Jahren. Arbeitslosigkeit und eine Einwanderungsgeschichte können den Weg in diese Sucht fördern. Am stärksten verführen Geldspielautomaten, Online-Casinos und Sportwetten.
In Köln kommt auf 4646 Kölner eine Spielhalle. Nur Duisburg hat eine höhere Dichte. Die Zahl Rat suchender Abhängiger hat sich von 129 im Jahr 2009 auf 226 im Jahr 2013 erhöht. Die Hälfte davon war dazu auch noch psychiatrisch erkrankt.
Medien
Exzessiver Computer- und Internet-Gebrauch gehört zu den Verhaltenssüchten. Etwa 7400 Kölner zwischen 14 und 64 Jahren sind nach einer Berechnung auf Grundlage einer Untersuchung der Uni Lübeck betroffen.
Soziale Netzwerke haben das gleiche Suchtpotenzial wie Online-Spiele. Acht Prozent der Kinder zwischen acht und 14 Jahren nutzen Smartphones laut einer NRW-Studie so exzessiv, dass sie als Sucht gefährdet gelten können. Die Hälfte der befragten Kinder lässt sich durchs Smartphone von Hausaufgaben ablenken.
Noch gibt es wenig Studien. Wird Mediensucht als Krankheitsbild anerkannt, müssten mehr Therapiemöglichkeiten geschaffen werden.