Köln – Der Vorstandchef der Uniklinik Köln, Professor Edgar Schömig, sieht Köln in harter Konkurrenz zu den großen Medizin-Standorten in Berlin, München und Heidelberg. Im Interview redet er auch über die Job-Chancen, die eine solche Uni bietet und, dass der neue Klinikverbund keine „feindliche Übernahme“ werden soll.
Oberbürgermeisterin Henriette Reker wirbt für einen Verbund der Uniklinik mit den Städtischen Kliniken. Waren Sie über den Vorstoß überrascht?
Inhaltlich überrascht er mich nicht, weil ich ihn für logisch und konsequent halte. Ich habe schon vor drei Jahren Gespräche mit der Stadtspitze über die Entwicklung des Gesundheitsstandorts Köln geführt.
Was mich überrascht hat, ist die hohe Dynamik, die jetzt in die politische Debatte gekommen ist. Das finde ich sehr erfreulich.
Wieso treibt Sie das Thema um?
Die Uniklinik platzt aus allen Nähten. Die Summe der medizinischen Leistung ist in den vergangenen zehn Jahren um 65 Prozent gestiegen, das ist ein spektakulärer Wert. Gleichzeitig wurden 3000 neue Arbeitsplätze am Universitätsklinikum geschaffen.
Unsere Auslastung liegt bei bis zu 90 Prozent, wir müssen leider immer wieder Patienten mit schweren Erkrankungen abweisen. Wir wollen mehr Patienten helfen können als bisher. Dazu müssen auch wir uns neu aufstellen, sonst besteht die Gefahr, dass wir den Anschluss an die Megatrends der Medizin verlieren.
Was meinen Sie damit?
Robotik und Präzisionsmedizin werden zum Beispiel eine immer größere Rolle spielen. Dabei werden Hochleistungsgeräte eingesetzt, die manchmal siebenstellige Summen kosten, aber oft schon nach wenigen Jahren veraltet sind. Um dennoch wirtschaftlich arbeiten zu können, benötigt man eine optimale Betriebsgröße.
Die technologische Weiterentwicklung könnte an uns vorbeigehen, wenn wir nicht groß genug sind, um klinische Studien mit zeitnahen Ergebnissen durchführen zu können. Je größer die Einrichtung ist, umso mehr Patienten sind mit einem bestimmten Krankheitsbild vorhanden.
Der geplante Klinik-Verbund
Kinderkrankenhaus Amsterdamer Straße
Seit mehr als 50 Jahren spezialisiert für jede Krankheit in jeder Altersstufe von extrem kleinen Frühgeborenen bis zu jungen Erwachsenen. Träger: Stadt Köln
Krankenhaus Holweide
Mit rund 2000 Geburten im Jahr eine der größten Geburtskliniken in Nordrhein-Westfalen, darunter sind viele Früh- und Risikogeburten. Träger: Stadt Köln
Uniklinik Köln
Auf dem Campus existieren 58 Kliniken inklusive des Max-Planck-Instituts für Neurologische Forschung und für die Biologie des Alterns. Träger: Land NRW
Krankenhaus Merheim
Lehrkrankenhaus der Uni Witten/Herdecke. Besonderheiten sind das Neurozentrum und das Schwerbrandverletztenzentrum. Träger: Stadt Köln
Das ist eine gute Grundlage für Forschungsvorhaben und Innovationen. Ich gehe davon aus, dass es einen großen Wettbewerb der starken Medizin-Standorte in Deutschland geben wird. Wir werden mit Berlin, München und Heidelberg konkurrieren.
Köln bringt zwar brillante Strukturvoraussetzungen als Innovationszentrum mit, aber die anderen Standorte sind bislang deutlich größer. Das ist ein großes Risiko. Wir stehen in der wissenschaftsnahen Medizin vor Konzentrationsprozessen, wie wir sie in der Automobilindustrie schon erlebt haben.
Welche Chancen birgt die Präzisionsmedizin?
Nehmen Sie die Krebsforschung. Heute weiß man, dass mindestens zehn unterschiedliche Gendefekte für Lungentumore verantwortlich sein können. Wenn man die genaue Ursache der Erkrankung identifizieren kann, ist schon heute in einigen Fällen eine ganz präzise Therapie mit großen Erfolgsaussichten möglich.
In Köln erkranken 600 Patienten jährlich neu an einem Lungenkarzinom. Wir wollen ihnen besser helfen, indem wir innovative Medizin anbieten können.
Und bei einer Kooperation würden die Patienten in allen Häusern davon profitieren?
Selbstverständlich. Neue Technologien und Forschungsergebnisse würden allen einige Jahre früher zur Verfügung stehen als das sonst zu erwarten wäre.
Die Städtischen Kliniken machen hohe Verluste. Sehen Sie kein Risiko, wenn sie so einen „kranken Mann“ übernehmen wollen?
Das Risiko können wir derzeit nicht beurteilen. Dazu ist eine umfassende betriebswirtschaftliche Prüfung erforderlich. Ich sehe die Chance, dass wir einen fundamentalen Umschwung in der Entwicklung herbeiführen können.
Ich wünsche mir, dass wir Patienten, die wir bislang abweisen müssen, künftig eine Behandlung anbieten können.
„Es geht um Arbeitsplatzaufbau“
Wie würde die Kooperation funktionieren?
Wir brauchen eine gemeinsame Betriebsorganisation in Form einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung an den Städtischen Kliniken, die uns eine Führungsrolle zugesteht.
Fallen Arbeitsplätze weg?
Nein. Es geht vielmehr um einen Arbeitsplatzaufbau. Der Verbund hätte schon jetzt ungefähr 15 000 sichere Arbeitsplätze. Darüber hinaus rechne ich damit, dass es einen signifikanten Zuwachs an hoch qualifizierten Stellen geben wird.
Gesundheitszentren in Deutschland
Im Umkreis von 50 Kilometern um die drei wichtigsten Gesundheitszentren in Deutschland (Berlin, Heidelberg, München) wohnen deutlich weniger Menschen als im Großraum Köln.
Weltweit gibt es verschiedene Beispiele dafür, wie Arbeitsplätze im Umfeld medizinischer Innovationszentren entstehen. In Berlin hat der Ausbau der Charité beispielsweise wie ein Job-Motor gewirkt, die Hauptstadt beherbergt mittlerweile 300 Medizintechnik- und 230 Biotechnologie-Firmen.
Was wird denn aus den Chefärzten bei den Städtischen Kliniken – behalten die ihren Status?
Es gibt dort ganz hervorragende Mediziner, die selbstverständlich ihren Status behalten werden. Ich gehe davon aus, dass der Verbund Möglichkeiten eröffnet, dass Chefärzte der Städtischen Kliniken Professuren an der Universität zu Köln erhalten können.
In der Vergangenheit hat es im Verhältnis von Städtischen Kliniken und Uni heftig geknirscht. Im Werben um Patienten verstanden sich beide eher als Konkurrenten.
Das weiß ich. Aber die Vorgänge liegen über zehn Jahre zurück und waren vor meiner Zeit. Alle Akteure sind mittlerweile im Ruhestand. Die Zusammenarbeit würde die Chance bieten, dass wir die medizinische Versorgung in Köln mit mehr Personal und einer breiteren Basis stärker ausdifferenzieren könnten.
Wie würde es mit der Geburtsmedizin oder der Unfallchirurgie weitergehen – gäbe es künftig nur noch einen Standort?
Nein. Es ist durchaus geboten, an unterschiedlichen Standorten zu agieren. Es kann zum Beispiel auch bei der besten Führung von Bereichen immer wieder zu einem schicksalhaften Infektionsgeschehen kommen. Dann ist es gut, wenn man mehrere Standorte hat.
Können Sie die Ressentiments auf Seiten der Städtischen Kliniken verstehen – Skeptiker sprechen von einer „feindlichen Übernahme“?
Nein. Wir bieten dem Personal riesige Chancen und würden den Gesundheitsstandort insgesamt stärken. Von einer „feindlichen Übernahme“ kann keine Rede sein, wir planen eine „freundliche Mehrheitsbeteiligung“.
Was halten Sie von dem Begriff „Rheinische Charité“?
Wir sollten schon einen griffigen Namen finden, der zu uns passt.
Wie geht das Prozedere denn jetzt konkret weiter?
Wir werden bis Weihnachten ein sogenanntes indikatives Angebot gegenüber der Oberbürgermeisterin abgeben, in dem wir offiziell unser Interesse zum Eingehen einer strategischen Partnerschaft bekunden werden. Dann ist es zunächst an den politischen Gremien der Stadt, sich dazu zu verhalten.
Wann würden Sie denn gerne an den Kliniken die neuen Schilder anschrauben?
Wenn es dazu kommt, sollten wir das schwungvoll und schnell machen. Wir wollen in wenigen Monaten so weit sein, die wirtschaftlichen Risiken abschätzen zu können. Bis Ende des Jahres 2018 würden wir gerne zum Abschluss kommen. Das Zusammenwachsen wird sicherlich einige Jahre in Anspruch nehmen.
Was kosten die Städtischen Kliniken – handelt es sich angesichts der hohen Defizite um einen symbolischen Betrag?
Das können wir jetzt noch nicht sagen.
Müsste der Verbund neue Gebäude bauen?
Davon gehe ich aus. Unser Campus in Lindenthal hat kein großes Wachstumspotenzial mehr. In Merheim scheint mir mehr Luft sein.
Können Sie sich eine Jobgarantie für alle Mitarbeiter vorstellen?
Das halte ich für vorstellbar – ein Beschäftigungspakt wird sicher Gegenstand der Verhandlungen werden.