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Urteil Lea-Sofie„Getötet, ohne Mörder zu sein“

Lesezeit 4 Minuten

In Chorweiler trauern die Bürger um Lea-Sofie.

Köln – Es war kein Mord und auch kein Totschlag in besonders schwerem Fall, der lebenslangen Freiheitsentzug nach sich zieht: Patrik L. (23) hat nach Überzeugung des Gerichts die kleine Lea-Sofie getötet, „ohne ein Mörder zu sein“ und muss deshalb wegen Totschlags in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen zwölf Jahre ins Gefängnis. Franziska M. (20) hat sich wegen Totschlags durch Unterlassen strafbar gemacht und erhielt am Freitag nach Jugendstrafrecht eine siebenjährige Haftstrafe.

Noch während der Urteilsbegründung kam es im Gerichtssaal zu einem lautstarken Zwischenfall: Der ehemalige Lebensgefährte von Franziska M. hatte gemeinsam mit seinem Bruder in sekundenschnelle die zwei Meter hohe Plexiglas-Trennwand im Zuschauerraum bestiegen, um sich mit Gebrüll auf den Angeklagten ("Dich mach ich fertig") zu stürzen. Wachtmeister hatten die Situation schnell im Griff und die Störenfriede gewaltsam aus dem Saal gebracht.

In der mehr als zweistündigen Urteilsbegründung waren die Bemühungen der Vorsitzenden Richterin überdeutlich, das Strafmaß auch einem Laien verständlich zu machen. "Auch wenn die Volksseele kocht" - so die Juristin wörtlich - habe die Beweiswürdigung des mehr als einen Monat dauernden Prozesses keinen Hinweis für die Annahme eines Mordmerkmales gegeben. "Im Gesetz steht nun mal nicht: Wer ein kleines Kind tötet, ist automatisch ein Mörder", verdeutlichte Ulrike Grave-Herkenrath die Komplexität der Rechtssprechung. Zu prüfen sei das Mordmerkmal des "niedrigen Beweggrundes" gewesen, das von der Anklägerin noch bejaht worden war.

Denn nur dann, wenn Patrick L. sich bei der Tat mit seinem Verhalten „auf der sittlich niedrigsten Stufe“ bewegt hätte, wäre dieses Mordmerkmal erfüllt gewesen. Doch Patrik L. habe an jenem Montag vor Heiligabend 2012 , als er Lea-Sofie die schweren Kopferverletzungen zuführte, unter einer erheblichen Nervenbelastung gestanden, fanden die Richter entlastende Momente: „Er hatte Streit mit Franziska M., ihm drohte an seinem Geburtsag eine Woche später der Haftantritt und er hatte eine halbe Flasche Wodka getrunken", führte die Richterin für den Angeklagten ins Feld und betonte die Überzeugung der Kammer: „Er hat das Kind nicht aus Freude am Quälen misshandelt.“ Die Situation sei „eskaliert“, weil Lea-Sofie sich offensichtlich durch ihn zunächst nicht beruhigen ließ und immer lauter geschrien habe.

Immerhin hatten mehrere Zeugen, darunter auch die ihm nicht wohlgesonnene Ex-Freundin und Mutter eines gemeinsamen Sohnes im Prozess ausgesagt, dass Patrik L. mit Kindern durchaus „liebevoll, engagiert und friedlich" umgehen konnte. Ein Umstand, den das Gericht dem Angeklagten strafmildernd zuordnete.

An den Folgen der Kopfverletzungen gestorben

Lea-Sofie war drei Tage später an den Folgen der Kopfverletzungen gestorben. Die Angeklagten hatten ihre Leiche in einen Müllsack gesteckt und sie nachts in einem Gebüsch am Fühlinger See abgelegt. Am nächsten Morgen dann das Kind als vermisst gemeldet. Nach gängiger Rechtsprechung sei das sogenannte Nachtatverhalten nicht strafbar, betonte Grave-Herkenrath.

Franziska M., die bei der Tat nicht anwesend war, hatte Lea-Sofie bei ihrer Rückkehr bewusstlos und deutlich malträtiert vorgefunden und war nicht auf die Idee gekommen, einen Arzt zu rufen: "Lea-Sofie hätte überlebt und eine riesengroße Chance gehabt, auch wieder gesund zu werden", unterstrich Grave-Herkenrath das Versagen der Angeklagten. Die Aussage der Mutter, Patrik L. habe ihr strikt verboten, einen Krankenwagen zu rufen, hielt das Gericht für eine nachgewiesene Lüge. Zumal M. diese Behauptung während des Prozesses auch zurückgezogen hatte. Wie eine Mutter drei Tage im Nebenzimmer sitzen kann, während ihr Kind sterbend im Bett liegt, erklärte die Vorsitzende mit der Persönlichkeitsstruktur der Angeklagten: Sie habe von Kindesbeinen an gelernt, "sich bei unterträglichen Situationen einfach in eine andere Welt zu begeben".

Mit Blick auf den bei der Polizei nicht weitergeleiteten Vermerk ans Jugendamt, der einen möglichen sofortigen Besuch der Behörde bei Franziska M. veranlasst hätte, war Grave-Herkenrath überzeugt: „Selbst dann hätte sich das Tatgeschehen nicht vermeiden lassen."

Sie habe die Hoffnung, dass die Angeklagten während ihrer Verbüßung "lernen, mit ihrer Schuld umzugehen", hieß es abschließend. Verteidiger Sebastian Schölzel, der den Mordvorwurf stets bestritten hatte, zeigte sich mit der Einordnung des Geschehens als Totschlag zufrieden, wenngleich er feststellte: "Die Tat bleibt auch als Totschlag eine schreckliche Tragödie."