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Veedels-CheckWarum die Bickendorfer ziemlich beste Nachbarn sind

Lesezeit 6 Minuten
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Schönes Haus in Bickendorf

Köln-Bickendorf – Bärbel Conrad wohnt in Sinnersdorf. Ja, mit diesem Satz beginnt eine Geschichte über den Kölner Stadtteil Bickendorf. Denn Bärbel Conrad wohnt zwar außerhalb Kölns, doch in Bickendorf steht sie tagtäglich in ihrem Büdchen und verkauft Cola, Bier, Zigaretten und Süßwaren. „Das hier ist nicht das Bickendorfer Büdche von den Bläck Fööss“, muss Conrad immer wieder erklären. Denn viele Touristen kämen zu ihr, um ihren kleinen Laden zu fotografieren.

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Bärbel Conrad steht täglich hinter ihrem Büdchen-Fenster in Bickendorf.

Conrads Blick auf das Veedel ist seit 16 Jahren durch ein Verkaufsfenster begrenzt. Die gelernte Einzelhandelskauffrau schaut auf eine Straße und eine Häuserwand. Alle paar Minuten taucht ein Kopf in ihrem Fenster auf. Viele Kunden kennt sie schon lange. „Die Bickendorfer sind ein Völkchen für sich“, sagt die 60-Jährige liebevoll. Es habe eine Zeit gedauert, bis sie hier warm geworden sei. Doch heute freue sie sich Morgen für Morgen auf die Arbeit. „Ich hab hier am Fenster nette Gespräche, da gehen die Stunden im Büdchen um wie im Flug.“ Was die Bickendorfer denn so ausmache? „Nachbarschaftlichkeit“ – das hat Conrad bereits verstanden.

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Nachbarschaftlichkeit. Das ist tatsächlich ein Begriff, den man immer wieder in Gesprächen mit den Veedelsmenschen hört. Hier, in dem Stadtteil, der seit 1888 zu Köln gehört. Damals hatte Bickendorf gerade mal ein paar Hundert Einwohner. Heute sind es mehr als 15 000. „Bickendorf ist größer als man denkt“, sagt Conrad. Das habe sie auch in ihrer Büdchen-Zeit gemerkt. Früher habe sie noch gedacht, Bickendorf sei einfach Ehrenfeld. Dabei gehören zu Bickendorf ein großes Gewerbegebiet westlich der Venloer Straße und auch noch ein Teil nördlich der Bahnschienen nach Longerich.Trotzdem hält man in Bickendorf zusammen.

Das Veedel mit dem größten Zusammenhalt könnte Bickendorf sein. Mit den ziemlich besten Nachbarn. Zumindest gefühlt. Doch Bickendorf hält auch einen tatsächlich messbaren Rekord: Hier gibt es den größten Kirchenchor der Stadt. 96 Mitglieder ist er stark, geleitet werden die Sänger unter anderem von Wilfried Kaets.

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Eine Häuserzeile in Bickendorf

Kaets ist Regionalkantor im Erzbistum Köln, sitzt regelmäßig in der Bickendorfer Rochuskirche an der Orgel und ist eine kulturelle Instanz im Veedel. Auch weil er in der Kirchengemeinde sehr aktiv ist. „Hier gibt es so viel Potenzial. Die Menschen, die Gemeinschaft. Das erwartet man in der hinteren Ecke der Stadt nicht“, sagt er. Und diese Gemeinschaft gehe weit über die Kirche hinaus. Im Gemeindezentrum, ein Lieblingsort von Kaets, finden regelmäßig Flüchtlingstreffen, Karnevalsveranstaltungen und Partys statt. Theatergruppen und Chöre nutzen ebenfalls die Räumlichkeiten. Das Haus wurde erst vor zwei Jahren eröffnet, es ist ein schlichter Bau aus Beton, mit großen Fenstern.

Ein unterschätztes Veedel

„Bickendorf wird unterschätzt“, sagt Kaets. Denn Bickendorf ist Geheimtipp für Kulturinteressierte. „Das erwartet man eher in Ehrenfeld, wo die hippen jungen Leute leben und an jeder Ecke kleine Ausstellungen machen.“ In Bickendorf sei alles etwas bodenständiger, fast schon erwachsener. Die Künstler sitzen in großen Ateliers und entwerfen Skulpturen und Installationen. Musiker wie Björn Heuser, der Schlagzeuger Norbert Krämer und der Saxofonist Bernd Delbrügge leben hier. Das sei eben einfach so, da werde kein großer Wirbel drum gemacht.

Den Bickendorfern gehe es nicht darum, dass über sie geredet wird. Im Sommer gebe es oft Konzerte im Veedel, meist direkt auf dem Platz zwischen Kirche und Gemeindehaus. „Das ist für mich das kulturelle Zentrum in Bickendorf“, sagt Kaets.

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Die Rochus-Musikschule in Bickendorf

Neben der Kirche steht auch die Rochus-Musikschule. In einem ehemaligen Kindergarten wurde diese vor ein paar Jahren ehrenamtlich eröffnet. Mittlerweile sind mehr als 600 Musikschüler angemeldet. Kaets findet: „Das zeigt, dass hier einfach Musik gelebt und geliebt wird.“ In die Musikschule kommen auch Menschen aus anderen Veedeln und sogar aus dem Kölner Umland. Dreijährige und 80-Jährige – Kaets arbeitet mit allen Altersklassen zusammen.

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Schönes Haus in Bickendorf

Der Kirchplatz ist zwar nicht zentral, immerhin grenzt die Rochuskirche schon fast an das benachbarte Ossendorf, doch auf diesem Platz treffen sich Schüler der nahe gelegenen Montessorischule, der Musikschule, Kirchgänger und Gemeindemitglieder, Familien und Bickendorfer aller Art.

Das soziale Herz Bickendorfs ist für den 56-jährigen Kaets die Riphahn-Siedlung. 1923 unter dem Namen „Bickendorf II“ erbaut, steht sie sinnbildlich für die Architektur der Neuen Sachlichkeit. „Hier zeigt sich wieder, wie unterschiedlich Bickendorf eigentlich ist“, sagt der Musiker.

Erinnern die Häuser rund um die Rochuskirche noch an das typische Dorf, läuft man in der Siedlung Straße für Straße an beige-weißen Häuserfassaden entlang. Und an Gärten – die wünscht sich so mancher in Köln. Vor allem so nah an der Innenstadt gelegen. Mit der U-Bahn fährt man aus Bickendorf in zehn Minuten zum Appellhofplatz. „Mit dem Rad bin ich in 20 Minuten am Dom“, sagt Kaets. Deswegen sei Bickendorf auch genau der richtige Kompromiss zwischen ländlichem Leben und städtischer Nähe.

Wenig Möglichkeiten zum Einkauf

Nicht ganz Dorf, aber auch nicht wirklich Stadt – so fühlt es sich in Bickendorf an. Viele Einkaufsmöglichkeiten gibt es nicht, dafür noch zwei richtige Metzger, eine Eisdiele und einen Buchladen. Wer mehr will, muss die Venloer Straße runter nach Ehrenfeld laufen. Oder eben mit den öffentlichen Verkehrsmitteln los. Dabei seien die Bickendorfer ganz zufrieden mit ihren Optionen im Veedel. „So oft muss man gar nicht raus“, sagt Kaets.

Wie der Rest der Stadt Köln Bickendorf sieht? „Wat draußen, wat kleinbürgerlich, ab von der Welt“, glaubt der Musiker. Deswegen hofft er auch, dass sich das Image des Veedels ändert. „Wir sind keine Südstadt, wir sind kein Belgisches Viertel – aber hier lohnt es sich zu leben.“In Bickendorf leben möchte Bärbel Conrad nicht, sie ist sehr zufrieden in ihrem beschaulichen Sinnersdorf. Doch sie freut sich jetzt schon auf die nächsten Karnevalstage in ihrem Bickendorfer Büdchen. „An Karneval bekomme ich gerne mal das ein oder andere Blümchen durchs Fenster gereicht.“ Nachbarschaftlichkeit eben – selbst für die eigentliche Sinnersdorferin.

Die größten Baustellen Bickendorfs

Über die Kölner Verwaltung wird in Bickendorf gejammert. Es gebe viele gute Ideen aus der Bevölkerung oder von engagierten Initiativen, vor allem zu städtebaulichen Projekten. Auch die Politik könne man häufig überzeugen. Scheitern würde es dann oft an der Verwaltung. So zum Beispiel bei den Plänen rund um den Rochusplatz an der Venloer Straße.

Keine Zwei-Klassen-Gesellschaft Auch die Sozialpolitik wird im Veedel kritisiert. Durch großflächigen sozialen Wohnungsbau fürchten viele Bickendorfer, dass Monokulturen an verschiedenen Orten des Veedels entstehen und in ein paar Jahrzehnten die Gemeinschaft, die heute noch in Bickendorf so hoch gehalten wird, nicht mehr in dieser Art und Weise existiert. Sozialwohnungen seien wichtig, aber die richtige Mischung mache es. Es sei in niemandes Interesse, eine Zwei-Klassen-Gesellschaft in Bickendorf zu erzeugen.

Die Geschichte Bickendorfs

Bickendorf ist erst seit 1888 Teil von Köln. Vorher war das heutige Veedel – der Name verrät es schon – ein eigenes Dorf. Mit der Eingemeindung stieg die Einwohnerzahl. Vor allem, als im Jahr 1915 die Gemeinnützige Aktiengesellschaft für Wohnungsbau (GAG) 578 Wohnungen für Arbeiter in Bickendorf plante. Die beige-weißen Häuser sind heute als Riphahn-Siedlung bekannt. Benannt nach dem Architekten Wilhelm Riphahn, der den ausgeschriebenen Architekturwettbewerb gewann. Wenig später kamen weitere Gebäude dazu.

Ein besonders dunkler Fleck der Bickendorfer Geschichte war das sogenannte „Zigeunerlager“, das 1935 errichtet wurde. Dort lebten rund 500 Sinti und Roma unter menschenunwürdigen Bedingungen. Bewacht wurden sie von Anghehörigen der SS. Fünf Jahre später wurden sie in ein Arbeitslager deportiert, wo viele starben. Heute erinnert eine Gedenktafel an das Verbrechen.