Eine 66 Jahre alte Autofahrerin wurde im November 2020 von einer Schallschutzplatte in ihrem Kleinwagen erschlagen. Vor dem Kölner Landgericht müssen sich ab Dienstag drei Angeklagte für die Katastrophe verantworten.
Verkehrsdrama vor GerichtVersagen auf allen Ebenen – Prozess um tödlichen Betonplatten-Unfall beginnt
Die tragischen Umstände des tödlichen Verkehrsunfalls auf dem Kölner Autobahnring, bei dem Anne M. am 13. November 2020 auf der A3 ums Leben kam, werden ab Dienstag, 13. August, am Kölner Landgericht verhandelt. Anne M. wurde zwischen der Ausfahrt Köln-Dellbrück und dem Autobahnkreuz Köln-Ost in ihrem Kleinwagen von einem sechs Tonnen schweren Betonelement erschlagen, das sich aus der Lärmschutzwand gelöst hatte.
Angeklagt ist ein Ingenieur (62) der beauftragten Baufirma, der als Bereichsleiter im Jahr 2008 für den Ausbau des Abschnitts auf der A3 einschließlich der Errichtung der Lärmschutzwände verantwortlich gewesen sein soll.
Die Anklage gegen den Bauingenieur lautet Totschlag durch Unterlassen
Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Totschlag und vorsätzliche Baugefährdung durch Unterlassen vor. Hinter dieser juristisch sperrigen Formulierung verbirgt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Kette des Versagens, an deren Ende der tragische Tod eines Menschen steht. Ein Mensch, der mit seinem Auto an diesem Freitag im November zufällig auf dem rechten Fahrstreifen im Stau zum Stillstand gekommen war, als sich die Betonplatte aus ihrer Verankerung löste. Der Zufall traf die 66-jährige Kölnerin Anne M., die an diesem Tag ihre Mutter besuchen wollte.
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Zwei weiteren Angeklagten, die damals Mitarbeiter des Landesbetriebs Straßen.NRW waren, wirft die Staatsanwaltschaft fahrlässige Tötung durch Unterlassen vor, teilte ein Sprecher des Landgerichts mit. Der Landesbetrieb war als Auftraggeber für den Ausbau der A3 verantwortlich – damals war das noch Ländersache. Seit Januar 2021 liegen die Sanierung und der Bau von Fernstraßen in Deutschland in der Verantwortung der Autobahn GmbH des Bundes.
Waren es nur unglückliche Umstände oder eine Kette des Versagens, die zu der Katastrophe geführt haben? Für die Staatsanwaltschaft ist die Sache nach intensiven Ermittlungen eindeutig. Es war nicht nur Pfusch am Bau, auch sämtliche Kontrollmechanismen haben versagt.
Die Lärmschutzwände an der A3 bestehen aus einer besonderen Konstruktion. In die eigentliche Betonschutzwand wurden damals 200 sogenannte Lärmschutzwand-Vorsatzschalen eingehängt: sechs Tonnen schwere Platten, die den Schall absorbieren. Das Problem, das damals beim Einbau auftauchte: Bei einigen dieser Platten stimmten die Maße nicht mit den in die Betonwand eingelassenen Halterungen überein, in die sie eingehängt werden sollten. Diese Halterungen waren vorab technisch überprüft und abgenommen worden.
Acht Betonplatten wurden mit improvisierten Halterungen angebracht
Deshalb, so der Vorwurf, soll die beauftrage Baufirma vor Ort auf Anweisung des angeklagten Ingenieurs die oberen Haltepunkte verändert und neue, aus Stahlwinkeln und Schrauben passende Befestigungen, zusammengeschustert haben. Dadurch war laut Staatsanwaltschaft der Korrosionsschutz nicht mehr gewährleistet. Insgesamt, das ergeben die Untersuchungen nach dem Unfall, wurden acht Platten von den Monteuren mit improvisierten Halterungen angebracht.
Die Staatsanwaltschaft ist der Überzeugung, dass die Katastrophe trotz dieser fahrlässigen Konstruktion im Nachgang hätte vermieden werden können. Die Baufirma habe nach Aufforderung des Landesbetriebs Straßen.NRW ein Gutachten zum Nachweis der Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit der neuen Aufhängungen eingeholt. Das Ergebnis stand im September 2008 fest: Beides war nicht gewährleistet.
Gutachten nicht an Straßen.NRW weitergeleitet
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten vor, das Gutachten nicht an Straßen.NRW weitergeleitet zu haben. Weil man es dort nicht kannte, wurde der Bau im November 2008 unter dem Vorbehalt abgenommen, „dass die planabweichende Befestigungskonstruktion hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit noch nachgewiesen werde“, so ein Sprecher des Landgerichts.
Warum der Landesbetrieb Straßen.NRW danach bei der Baufirma offenbar nie mehr nachgehakt hat, wo das Gutachten bliebe, dazu werden sich die beiden verantwortlichen Mitarbeiter des Auftraggebers vor Gericht erklären müssen.
Bei Hauptuntersuchung 2013 noch Bestnote erhalten
Bereits vier Wochen nach der Katastrophe räumte der damalige NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) im Verkehrsausschuss des Landtags ein: „Hier ist eine Reihe von Fehlern passiert, die nicht hätten passieren dürfen.“ Anlass war ein Bericht seines Ministeriums, der zu dem Ergebnis kommt, dass die Versäumnisse beim Straßen-Landesbetrieb „wenigstens mitursächlich“ für den Unfall waren.
Fünfeinhalb Jahre nach der notdürftigen Montage der Lärmschutzwand im Jahr 2008 hatte die Baufirma einen Insolvenzantrag gestellt. In all den Jahren hat es keine der erforderlichen Nacharbeiten gegeben. Im Gegenteil: Bei der Hauptuntersuchung im Jahr 2013 erhielt die Wand die Bestnote „sehr gut“. Die turnusmäßige Hauptuntersuchung 2019 fand nicht mehr statt, weil die Arbeitsbelastung bei Straßen.NRW zu hoch war und sich die unerledigten Projekte stapelten.
Laut des Berichts gingen die Versäumnisse des Landesbetriebs aber noch weiter: „Anders als zunächst nach dem Unfall angenommen, musste nach Auswertung der Bauakten festgestellt werden, dass diese nicht richtlinienkonforme Befestigung einiger Lärmschutzelemente der örtlich zuständigen Bauüberwachung des Landesbetriebes bekannt gewesen war“, heißt es darin.
Die Abweichung von der Planung bei den betroffenen Konstruktionen sei der Baufirma am 22. Juli 2008 erstmals schriftlich per E-Mail angezeigt worden. Darüber hinaus habe die Bauüberwachung des Landesbetriebes die Baufirma schon vor dem Einbau der Lärmschutzelemente per E-Mail aufgefordert, statische Nachweise dafür vorzulegen, dass die veränderten Konstruktionen sicher sind. Obwohl es diese Nachweise nie gab, seien die Lärmschutzelemente in der Nacht auf den 28. August 2008 eingebaut worden. Der Bericht des Ministeriums kommt zu dem Ergebnis: „Der Einbau der Lärmschutzplatten hätte nicht erfolgen dürfen.“
Nach dem tödlichen Unfall hat die Autobahn GmbH Mitte 2021 auf der A3 an allen 200 Betonplatten neue Haltekonstruktionen einbauen lassen, die einen zusätzlichen Schutz bieten sollen.
Am 13. November 2020 kam Anne M. ums Leben. Ihre Schwester und ihre Mutter werden im Prozess als Nebenklägerinnen auftreten.