- Was hat er sich aufgeregt, unser Autor Frank Nägele: In seiner wöchentlichen Kolumne „Jetzt rege ich mich auf” hat er dieses Mal so richtig draufgehauen. Auf die Stadt und die schier unumstößliche Liebe der Kölner zu ihr.
- Aber mal ehrlich: „Köln, so geil bist du nicht?“... Ist Köln-Schelte nicht unfassbar vorhersehbar und billig? Und nervt sie nicht mindestens so sehr wie die Selbstbesoffenheit?
- Joachim Frank kontert Frank Nägele mit einem Liebesbekenntnis zur Stadt!
Nirgends feiert die Selbstbesoffenheit einer Stadt und ihrer Bürger fröhlichere Urständ als in Köln. Das war dieser Tage in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zu lesen. Der Befund ist zutreffend - und eigentlich nicht neu. Den Plot für die Geschichten, die in überregionalen oder gar internationalen Zeitungen und Magazinen regelmäßig zum jahreszeitlichen Kollektivwahnsinn, genannt Karneval, erscheinen – den kann der Kölner fast schon selber schreiben, sogar mit den passenden Vokabeln. Frank Nägele hat es getan und seine „Jetzt rege ich mich auf“-Kolumne für eine Abrechnung mit Köln genutzt. (Hier können Sie die Kolumne von Frank Nägele nachlesen)
In Wahrheit ist das natürlich dieselbe Kölschseligkeit, nur mit negativem Vorzeichen. Der Kölner an sich, auch wenn er – wie Frank Nägele – erst 32 Jahre hier lebt, leidet an den Unzulänglichkeiten dieser Stadt, an ihren Fehlern, ihrem Organisationsdesaster, ihren Planungskatastrophen (und nein, der „Klüngel“ bleibt diesmal auf der Bartwickelmaschine). Diese Form der Passion – einer Leidenschaft, die Leiden schafft – zieht der wahre Kölner bei jeder passenden Gelegenheit aus dem Vorrat seiner Emotionen. Auch dieses Lamento ist vorhersehbar – und es nervt mindestens so sehr wie die Selbstbesoffenheit, mit der es scheinbar nichts zu tun haben will.
Die geilste Stadt des Universums
Natürlich haben auch die klugen Frankfurter Kollegen die Zwiespältigkeit der Begeisterung für das Scheußlich-Schöne an Köln, diese ganz spezielle Form manisch-depressiver Nabelschau der Kölner erkannt und mit feiner Feder aufgespießt. „Köln ist eine Stadt, die sich aus den von Verwaltung und Städtebau verschuldeten Niederungen zu wahrer Größe aufzuschwingen vermag“, steht da zu lesen. So schlau sind sie außerhalb Kölns dann schon, dass sie längst gemerkt haben, wie die Kölner ihr urtümliches, unerschütterliches und unübertreffliches Wohlbefinden mit wohlfeiler (Selbst-)Kritik an ihrer Stadt kaschieren und zu bemänteln suchen.
Ich habe in verschiedenen deutschen Städten gewohnt, auch großen. Ich komme viel herum und treffe Menschen mit mehr oder weniger großer Heimatverbundenheit. Und nach allem, was ich erlebt, gesehen und gehört habe, gibt es für mich nur ein Ergebnis: Doch, Köln ist – verdammt nochmal - die geilste Stadt der Republik! Ach was, des Universums.
Das muss einfach schon deswegen so deutlich gesagt werden, damit das Unverhältnismäßige des Herunterredens umso offensichtlicher wird. Wenn sich im Frühjahr seit zwei Jahrzehnten Schriftsteller aus ganz Deutschland und der Welt zur lit.Cologne auf die Veranstaltungsorte der Stadt verteilen und scheinbar spielend auch die größten Säle füllen, dann sind ihre Verwunderung und Begeisterung über den einmaligen Enthusiasmus des Kölner Publikums nichts, womit sie den Veranstaltern schmeicheln müssten.
Wenn eine bedeutende deutsche Theatermacherin erzählt, um wie viel leichter es in Köln ist, Neugierde und das Interesse am Experiment zu wecken, als anderswo – dann ist das kein schöngefärbter Lokalpatriotismus, sondern eine Erfahrung aus gesamtdeutschen Lehr- und Wanderjahren.
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Und wenn die NRW-Stiftung ihre Fördergelder vergibt und das Vergabegremium erstaunt und bisweilen sogar leicht gereizt reagiert, weil ein Antrag nach dem anderen aus Köln kommt, dann ist das Ausdruck eines bürgerschaftlichen Engagements für diese Stadt, das sich eben nicht in Feierlaune und Selbstbesoffenheit erschöpft.
Ich lobe mir „ming Heimat Kölle“
Es stimmt einfach nicht, dass die Kölner sich ihre Stadt schön feierten und den Mächtigen der Stadt alles durchgehen ließen. In Köln musste ein OB seinen Stuhl nach dem Einsturz des Stadtarchivs räumen – obwohl er (natürlich) nichts für diese schreckliche Katastrophe konnte. Mag ja sein, dass in Stuttgart ein schwäbisch-grantelndes Wutbürgertum gegen ein gigantomanes Bahnhofsprojekt aufbegehrte. Na und? Hat es was genützt? Und wie lebt es sich für Zugereiste mit preußischem, mecklenburgischem oder rheinischem Migrationshintergrund in der Hauptstadt der Schwaben, wenn dort gerade nicht Protestdemokratie zur Schaut gestellt wird? Aus einer Feldstudie im persönlichen Umfeld ist mir eine ganze Reihe von Schwabenflüchtigen bekannt, die es mit der abweisenden, mäkeligen, zu Sozialkontrolle und Intoleranz neigenden Mentalität einfach nicht mehr aushielten. Und das sage ich als – gebürtiger Schwabe.
Ich bin überhaupt kein Fastelovends-Jeck. Aber ich kann mich bis zum Heulen mitfreuen über „kölsche Leeder und den Schmuh vum Rhing“, die jenes Heimatgefühl in mir auslösen, von dem Cat Ballou singt: „Et gitt kei Wood, dat sage künnt, wat ich föhl, wenn ich an Kölle denk…“ In einer Zeit, in der Heimat zur ausschließenden, trennenden und chauvinistisch-überheblichen Kategorie geworden ist, lob ich mir „ming Heimat Kölle“, die sich selbst als „geilste Stadt der Republik“ erlebt, ohne dass irgendeine andere sich dadurch zurückgesetzt fühlen müsste (und ich erspare Ihnen den Zusatz „außer Düsseldorf“).
Ein Zeichen von Miesepetrigkeit
Köln lässt leben. Köln nimmt auf und ein. Und Köln ist schön. Ich kann es mir nur als Anwandlung von Miesepetrigkeit erklären, wenn man die „Kölner Lichter“ vor der Kulisse des Doms, der romanischen Kirchen und der Rheinbrücken (übrigens durch ein preisgekröntes Beleuchtungskonzept auch an allen anderen 364 Tagen des Jahres spektakulär illuminiert) nicht einfach genießen und seufzen kann, „nä, wat is dat schöön!“ Oder gehört es zu einer bestimmten intellektuellen Selbstdefinition, solche Gefühle wegen Kitsch-Alarm gar nicht erst zuzulassen? Dabei kommt die Affenliebe der Kölner zu ihrem Dom nicht von ungefähr. Vielmehr beweisen sie damit Sinn für Qualität, sie zeigen Geschichtsbewusstsein und ein Gespür für Transzendenz. Dafür kann und darf man Köln und die Kölner lieben. Ohne Wenn und Aber. Und vor allem ohne ein Gemecker über Missstände, das so tut, als wären sie nur dem Meckerer geläufig.
Der spanische Philosoph José Ortega y Gasset sagt: „Wenn wir lieben, geben wir die Ruhe und Sesshaftigkeit in uns selbst auf und wandern virtuell in den Gegenstand aus. Und dieses unaufhörliche Hinüberwandern heißt Liebe.“ Kölner wandern in der Liebe zu ihrer Stadt nicht aus – weder virtuell noch real. Und doch sind sie unaufhörliche Hinüberwanderer. „Mich kriss de hee nit fott, ich kann nit sage, wat mich hee häld.“