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Henriette Reker im Interview„Wir können nicht zufrieden damit sein, dass vieles zu lange dauert“

Lesezeit 11 Minuten
Das Bild zeigt Oberbürgermeisterin Henriette Reker in einem Raum im Rathaus während des Interviews mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Oberbürgermeisterin Henriette Reker hadert mit ihrer Bilanz.

Eigentlich wollte Oberbürgermeisterin Henriette Reker Köln in die Champions League der Städte führen – doch es kam anders. Auch Reker geht es nicht schnell genug, sagt sie im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) hat die Verantwortung dafür zurückgewiesen, dass in Köln vieles so lange dauert, unter anderem die vielen Großbauprojekte. Im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ nennt sie ihre fehlenden Handlungsmöglichkeiten aufgrund der NRW-Gemeindeordnung als eine Ursache.

Dem Kölner Stadtrat macht die 65-Jährige derweil große Vorwürfe. „Der Stadtrat beschließt, beschließt und beschließt. Das kann die Stadtverwaltung mit den vielen Altlasten nicht alles parallel leisten“, sagt Reker. Im Stadtrat haben ihre Unterstützer aus Grünen und CDU plus Volt eine Mehrheit. Rekers Kritik trifft also vor allem sie.

Die Oberbürgermeisterin, die seit dem Jahr 2015 im Amt ist, nennt zudem die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg als Ursachen für die Probleme.

Frau Reker, zuletzt hat das Sicherheitskonzept der Stadt für die Zülpicher Straße am 11.11. für viel Kritik gesorgt. In der Stadt häuft sich generell die Kritik an der Verwaltung, viele fragen sich, warum einiges nicht schneller geht. Im Vergleich zu früher wirken auch Sie mittlerweile genervter, dass es in Köln nicht schneller geht.

Henriette Reker: Ich bin unzufrieden und würde natürlich gerne schneller noch mehr sichtbare Erfolge erzielen. Wir können nicht zufrieden damit sein, dass vieles zu lange dauert. Gerne würde ich alles erreichen, was ich mir vorgenommen habe.

Sie haben immer gesagt, es braucht zwei Amtszeiten, um etwas zu erreichen. Von zehn Jahren bleiben Ihnen noch drei, es geht also immer stärker auch um Ihr Vermächtnis.

Meine Amtszeit ist geprägt durch aktive Zukunftsgestaltung. Lassen Sie uns beispielsweise einmal auf den Schulbau schauen, wir brauchen 54 neue Schulen, investieren 2,5 Milliarden Euro in den Schulbau. Da bewegt sich vieles, aber wahrscheinlich werde ich die Oberbürgermeisterin der Grundsteinlegungen und Richtfeste bleiben, weil ich diese Neubauten erst anschieben musste.

Sie hatten eigentlich angekündigt, eine Oberbürgermeisterin zu werden, die Projekte beendet.

Ich habe unterschätzt, wie viel im Argen lag. Niemand konnte damals ahnen, dass Krisen wie Corona und der Ukraine-Krieg dieses Jahrzehnt bestimmen. Die Rahmenbedingungen haben sich verändert.

Die Neubau-Zahlen etwa bei den Wohnungen waren auch vor Corona und dem Krieg schlecht.

Und die werden leider auch schlecht bleiben, weil es in einer so dicht bebauten Stadt wie Köln zu wenig Bauland gibt. Es nützt auch wenig, wenn im Bund eine Zielzahl von 400.000 Wohnungen vorgegeben wird. Die Städte sind damit strukturell überfordert.

Aber Hamburg schafft es doch auch.

Hamburg ist ein eigenes Bundesland, hat mehr Kompetenzen und macht seine Gesetze selbst. Köln kann sich leider keine eigene Bauordnung geben.

Hamburg hat aber eine Strategie und Sie haben 2015 angekündigt, den Wohnbau zu beschleunigen. Zur Chefinnensache haben Sie das Thema aber nie gemacht.

Köln hat eine leistungsfähige und kompetente Verwaltung. Glauben Sie, dadurch dass man etwas zur Chefinnensache erklärt, würde es besser werden?

Ja.

Aber was stellen Sie sich denn darunter vor? Dass der Baudezernent nicht mehr zuständig ist? Ich spreche auch selbst mit Investoren und habe die digitale Bauakte vorangetrieben. Wir sind die erste Stadt in NRW mit volldigitalem Baugenehmigungsverfahren.

Was sehr lange gedauert hat und nun erstmal nur für den Wohnbau gilt.

Was heißt denn nur für den Wohnungsbau? Es ist ein ganz zentrales Thema für Köln. Zudem muss die Verwaltung die Schwachstellen des Verfahrens mit dem Land ausbügeln und kann nicht alleine agieren. Das kostet Zeit.

Das Bild zeigt, wie an der Hugo-Passage am Neumarkt Dealer und Konsumenten auf einer Treppe aufeinandertreffen.

Drogenhotspot Neumarkt: Ab 2023 soll nach vielen Jahren die Situation verbessert werden.

Nehmen wir das Beispiel Neumarkt: Da tut sich seit Jahren nichts.

Wir haben gerade eine Lösung präsentiert, wie es anders und besser werden kann. 2023 gehen wir dafür entscheidende Schritte.

Aber warum dauert das so lange? Es ist doch nicht so komplex.

Doch, dort kommen viele schwierige Themen zusammen: Verkehr, Drogen, Obdachlosigkeit, die Entscheidung für oder gegen eine Tunnellösung für die KVB. Die Situation hat sich in den letzten Jahren zugespitzt. Unsere Möglichkeiten auf der Grundlage der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung sind begrenzt und erlauben uns etwa nicht, ein Alkoholverbot zu verhängen. Die Gemeindeordnung stattet mich mit demselben Instrumentenkoffer aus wie den Oberbürgermeister von Remscheid, das so groß ist wie der Stadtbezirk Nippes

Der Stadtrat beschließt, beschließt und beschließt. Das kann die Stadtverwaltung mit den vielen Altlasten nicht alles parallel leisten.
Henriette Reker

Müssten Sie nicht mehr führen, Themen mehr forcieren?

Schauen Sie sich doch einmal die Liste der Großbauprojekte an, wie lang die ist – und da sind ja nur die Projekte mit Kosten von mehr als zehn Millionen Euro aufgeführt. Der Stadtrat beschließt, beschließt und beschließt. Das kann die Stadtverwaltung mit den vielen Altlasten nicht alles parallel leisten. Dazu kommen Corona, der Krieg, unser Krankenstand.

Aber warum ist der so hoch?

Wir haben rund 8,4 Prozent und wenn man die Langzeitkranken herausrechnet, wie es Unternehmen tun, sind es fünf Prozent. Ich will nicht behaupten, das sei wenig. Aber damit müssen wir ja arbeiten.

Die Verwaltung könnte besser aufgestellt sein.

Ich habe Köln erfolgreich durch die Corona-Krise geführt und die Verwaltung hat enorme Leistungsfähigkeit, Resilienz und Innovationskraft gezeigt. Da habe ich Dinge angestoßen, die die Landesregierung dann aufgegriffen hat, etwa die Tests in den Kindergärten und Schulen. Oder denken Sie an unsere Pionierrolle beim Impfen in vulnerablen Stadtteilen. Zugleich ist mir Köln aber manchmal auch zu anspruchslos. Das Kölner Laisser-faire hat auch Schattenseiten.

Sie haben jetzt die vielen Krisen aufgeführt, die Gemeindeordnung inklusive ihres fehlenden Einflusses und die vielen Beschlüsse des Stadtrates. Früher haben Sie diese Probleme nicht so sehr betont. Sie wirken desillusionierter.

Ich glaube, die Realität lässt weniger Platz für Illusionen.

Warum?

Oberbürgermeisterinnen oder Oberbürgermeister erfahren immer wieder, dass es Grenzen gibt, die sich mit noch so viel Kraftanstrengung nicht verrücken oder überwinden lassen. Es setzt mir zu, dass ich nicht so schnell Dinge umsetzen kann, wie ich wollte. Meine Motivation war ja…

…dass Köln in die Champions League der Städte einzieht.

Ja. Ich hatte mich verschätzt, als ich angetreten bin, weil ich dachte, ich könnte als Sozialdezernentin mit viel Verwaltungserfahrung und gutem Überblick über die Kölner Themen abschätzen, was mich erwartet. Das konnte ich nicht, es gibt viel mehr und viel größere Herausforderungen, das weiß ich jetzt. Es gab in Köln weder ein Verkehrsdezernat und wir haben auch die Wirtschaftsförderung komplett neu aufgestellt. Sie kann seit Gründung der GmbH viel flexibler und wirtschaftsnäher agieren. Das habe ich alles verändert. Oder das NS-Dok, das wir zur Erinnerungsstätte gemacht haben mit einer Beratungsstelle für von Antisemitismus Betroffene: Es fällt nicht einfach vom Himmel, ich habe es aktiv betrieben. Manchmal ist meine Arbeit kleinteilig, das gebe ich ja zu. Aber es geht nur so. Ich stoße hier jeden Tag Themen an. Und mitunter muss man eben an einer winzigen Schraube drehen, damit der Motor läuft.

Aber ich musste die Erfahrung machen, dass ich langsamer vorankomme.
Hnriette Reker

Sie wollten mal größere Schritte gehen.

Das stimmt. Aber ich musste die Erfahrung machen, dass ich langsamer vorankomme. Die Erwartungen der Kölner*innen an die Kommunen haben sich verändert, Bund und Land delegieren immer neue Aufgaben, dazu sind Corona und der Krieg gekommen. Ich wollte auch einen ausgeglichenen Haushalt. Das werden wir nun nicht schaffen bis 2025, aber ohne die Folgen von Corona und Ukrainekrieg hätten wir ihn wahrscheinlich erreicht. Wenigstens bringen wir den Haushalt jetzt so frühzeitig ein, dass es in jedem neuen Jahr Planungssicherheit für die Verwaltung und ihre Partner gibt.

Sie werfen damit auch schon einen Blick in die Zukunft. Was bleibt denn mal von Ihnen, was Sie sich vorgenommen haben?

Dass ich große Blockaden in dieser Stadt aufgelöst und ganz viele Schulen gebaut habe, dass wir eine funktionierende Wirtschaft in Köln haben, beispielsweise haben wir Renault von Brühl nach Köln geholt. Darüber spricht keiner. Und Ford investiert hier zwei Milliarden Euro. Das ist ja nicht selbstverständlich. Köln hat in den vergangenen sieben Jahren eine enorme Entwicklung genommen. Es gab noch nie so viele sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Mich stört, dass wir viel mehr über das sprechen, was nicht funktioniert, als über die Dinge, die gut laufen. Damit schaden wir selbst dem Image unserer Stadt.

Aber es sind eben grundlegende Dinge, die nicht funktionieren.

Aber es gibt auch andere, die gut laufen, und dafür habe ich gesorgt.

Das Panoramabild zeigt den Blick über die Gleueler Wiese im Äußeren Grüngürtel, während im Hintergrund das Stadtzentrum Kölns zu sehen ist.

Kein Bauland: Im Äußeren Grüngürtel auf der Gleueler Wiese soll der 1. FC Köln nicht bauen. Reker bezeichnet das als Erfolg ihrer Klimapolitik.

Aber es sind die wenigsten.

Diese Einschätzung teile ich ganz und gar nicht. Nehmen Sie die Mobilitätswende, um ein Beispiel zu nennen. Der Umbau unserer Stadt ist in vollem Gange, das ist doch für jeden und jede sichtbar. Oder den Klimaschutz: Ich habe die Klimapolitik neu aufgestellt und schon der Beschluss des Klimanotstandes wirkt sich konkret auf unser Handeln aus, im Grüngürtel ist es beispielsweise jetzt schwierig zu bauen. Wir haben jährlich 20 Millionen Euro für Klimaschutz als Budget, dazu ein eigenes Dezernat. Und in der Stadtverwaltung werden keine Amtsleitungen mehr nach Parteibuch besetzt. Es hat sich viel getan, ich habe eine Menge erreicht. In der Verwaltung werden die Vorlagen für den Stadtrat in den jeweiligen Fachbereichen geschrieben und nicht mehr von der stärksten Fraktion im Rat wie früher. In der Verwaltung hat sich also viel verändert und es gibt viele neue Aufgaben. Vielleicht ist das eine Erklärung, aber keine Entschuldigung dafür, dass einige Prozesse zu lange dauern. Das zu ändern, war Ziel meiner Verwaltungsreform…

…die doch für die Bürgerinnen und Bürger nicht spürbar ist.

Nach außen ist sie das kaum, da gebe ich Ihnen Recht. Aber Veränderungen müssen von innen nach außen wirken. Es hat sich eine Menge getan, es herrscht hier eine andere Fehlerkultur. Und Bürgerbeteiligungsformate sind inzwischen eine Selbstverständlichkeit für diese Verwaltung.

Fällt Ihnen letztlich doch auf die Füße, dass Sie parteilos sind und nicht Mitglied Ihrer Unterstützer, den Grünen oder der CDU?

Es ist Vor- und Nachteil zugleich. Das wusste ich aber von Anfang an.

Wie ist denn die Zusammenarbeit mit dem Bündnis aktuell?

Vertrauensvoll und gut.

Das Bild zeigt eine Ansicht vom Kölner Neumarkt, aufgenommen von einem benachbarten Haus.

Tunnel oder nicht am Neumarkt: Oberbürgermeisterin Reker glaubt, dass die Grünen doch noch ihre Ablehnung zum Tunnel verändern.

Ein Spannungsthema im Bündnis ist und bleibt der Verkehr und es kommt auch darauf an, wie Sie sich positionieren.

Beim Tunnel auf der Ost-West-Achse habe ich das getan, ich bin dafür.

Das ist die größte Entscheidung, die in den nächsten Jahren in dieser Stadt ansteht. Eine große Mehrheit, die Sie sich wünschen, wird es dafür nicht geben.

Meinen Sie? Wenn die großen und langen Bahnen tatsächlich mal am Neumarkt stehen, traue ich den Grünen zu, ihre Meinungen zu ändern.

Aber müsste man in dem Fall nicht auch eine knappe Entscheidung akzeptieren, damit es vorwärts geht?

Ja. Aber lieber wäre es mir anders.

Bei Grünen und CDU kursieren schon Namen von OB-Kandidaten, die für 2025 interessant sein könnten. Schwächt Sie das?

Ich empfinde das nicht so. Es ist viel zu früh, um diese Debatte seriös zu führen. Meine Kompetenzen gebe ich erst am letzten Tag meiner Amtszeit weiter.

Bis zu Ihrer Wahl 2015 waren Sie selbst keine Politikerin. Ist das ein Problem?

Ich bin immer noch keine Parteipolitikerin. Mir geht es darum, das Beste für diese Stadt zu erreichen. Dafür wünsche ich mir das Vertrauen des Rates, alleine kann ich es nicht schaffen. Manchmal frage ich mich, ob das nicht die Kehrseite von „Liebe Deine Stadt“ ist. Viele Menschen engagieren sich, sind mit Herzblut dabei. Aber die großen Themen werden erst mal kritisch beäugt.

Sie haben jetzt noch drei Jahre. Was wollen Sie noch verändern?

Ich verändere jeden Tag etwas.

Wir meinen eher die Art und Weise, wie Sie arbeiten und wie Sie Themen priorisieren wollen.

Ich werde zu mehr Eröffnungen gehen, da meine Arbeit der vergangenen sieben Jahre mehr und mehr Früchte trägt. Die Bühnenbaustelle war havariert, als ich mein Amt angetreten habe: Ich werde die Oper eröffnen. Und ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit der Mobilitätswende zügig weiterkommen und die Attraktivität der Innenstadt inklusive des Neumarkts verbessern. Auch beim Wohnbau werden wir Erfolge erzielen, da wir die großen Neubaugebiete vorantreiben wie die Parkstadt Süd, dem Deutzer Hafen, Mülheim Süd und Kreuzfeld. Wir brauchen den großen Wurf. Mit Nachverdichtung kommen wir nicht entscheidend weiter.

Nur weil Sie davon überzeugt sind, heißt noch nicht, dass es so kommt.

Aber ich stehe mit der Stiefelspitze dahinter, dass es so kommt. Ich habe Zielvereinbarungen eingeführt und lasse mir regelmäßig berichten, mit Meilensteinen, wo die Projekte stehen. Anders geht es nicht. Meine Amtszeit ist ein Jahrzehnt der Modernisierungen. Und auch wenn möglicherweise ich die Schlüsselübergabe nicht mehr mache, habe ich die Projekte doch angestoßen.

Eines Ihrer Themen bleibt der Klinikverbund der städtischen Kliniken mit der Uniklinik. Und der kommt nicht vorwärts.

Das liegt nicht an mir. Die Entscheidung trifft die Landesregierung.

Man wird immer zweimal gewogen: einmal in der Amtszeit und einmal danach.
Henriette Reker

Aber es wäre eine politische Niederlage für Sie, wenn der Verbund nicht kommt.

Ja. Ich kann nur dafür werben, die einmaligen Zukunftschancen für die gesamte Region zu erkennen. Wenn der Verbund nicht kommt, wird es eine andere Lösung geben, dann könnten beispielsweise die rechtsrheinischen Krankenhäuser kooperieren.

Es wirkt so, als ob Sie Ihre Leistungen zu wenig gewürdigt sehen.

Ich wurde vor zwei Jahren mit großer Mehrheit wiedergewählt! Das empfinde ich als Bestätigung und Würdigung meiner Arbeit. Man wird immer zweimal gewogen: einmal in der Amtszeit und einmal danach. Und ich sage Ihnen: Meine Amtszeit ist ein Modernisierungsjahrzehnt. Das wird man noch merken.