Köln – Christian Drosten hat sich auf Twitter mit scharfen Worten zu einem Interview geäußert, das das Magazin „Cicero“ zuvor mit dem Hamburger Physiker Roland Wiesendanger geführt hatte.
„Cicero bietet einem Extremcharakter die Bühne und provoziert persönliche Angriffe gegen mich durch suggestive Fragen“, erklärte der Direktor des Instituts für Virologie der Berliner Charité in einem Twitter-Beitrag. Die Interview-Antworten Wiesendangers seien im „Andeutungs- und Wertungsbereich“ stehengelassen, „belastbaren Tatsachenbehauptungen“ sei ausgewichen worden. „Das ist kein Interview, sondern ein Vorkommnis“, so Drosten.
Christian Drosten: „Betreibt hier jemand eine Kampagne?“
Der Virologe zeigte sich zudem verwundert darüber, dass „zeitgleich“ in der „Neuen Zürcher Zeitung“ ein „bis hin zu Formulierungen inhaltsgleiches Interview“ erschienen sei. „Betreibt hier jemand eine Kampagne?“, fragte Drosten.
Wiesendanger hatte bereits im Vorjahr mit einer viel kritisierten Veröffentlichung zu einer angeblichen Labor-Herkunft von Sars-Cov-2 für Wirbel gesorgt. Als „nichtwissenschaftlichen Aufsatz“ hatte die Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften der Universität Hamburg Wiesendangers „Studie“ daraufhin in einer Stellungnahme bezeichnet und sich von den „indizienbasierten Aussagen“ distanziert.
Wiesendanger beschuldigt Drosten eines Vertuschungsversuchs
Nun legte der Hamburger Physiker im Interview mit dem Politik-Magazin noch einmal nach. Wiesendanger zufolge spreche weiterhin viel dafür, dass das neuartige Coronavirus aus einem Labor entstamme und nicht durch Zoonose auf natürlichem Wege entstanden sei. Drosten, so Wiesendanger, habe zusammen mit anderen Top-Wissenschaftlern wie dem US-Immunologen Anthony Fauci durch einen offenen Brief im Wissenschaftsmagazin „The Lancet“ dafür gesorgt, dass die „Labortheorie“ schnell verworfen worden sei. Laut Wiesendanger sei es zu diesen „Vertuschungsversuchen“ gekommen, obwohl die am offenen Brief beteiligten Forscher noch Tage vorher anderer Ansicht gewesen seien.
Wenn klar würde, dass Sars-Cov-2 aus dem Labor stamme, sei das verheerend für die Top-Virologen um Drosten und Fauci, führte der 60-Jährige seine Theorie aus. „Das fürchtet man natürlich in der Virologie und will deshalb alles tun, damit diese Vermutung, dieses Verdachtsmoment aus der Welt geschafft wird“, sagte Wiesendanger, der im Interview keine stichhaltigen Belege für seine Behauptungen lieferte.
Drosten: „Keine gesicherten Beweise“ für Labortheorie
Drosten reagierte unterdessen am Freitagmittag erneut auf die Aussagen Wiesendangers und verwies ebenfalls auf Twitter auf einen Artikel, der von einer Gruppe von Forschern, zu der auch Drosten gehörte, im Sommer 2021 in „The Lancet“ veröffentlich worden war.
„Wir sind der Meinung, dass neue, glaubwürdige und von Fachleuten überprüfte Beweise in der wissenschaftlichen Literatur den stärksten Hinweis darauf liefern, dass sich das Virus in der Natur entwickelt hat, während die Vermutung, dass die Pandemie durch ein Leck im Labor ausgelöst wurde, nach wie vor keine wissenschaftlich gesicherten Beweise enthält“, hatten die Wissenschaftler damals erklärt und sich für „wissenschaftlich fundierte Untersuchungen“ ausgesprochen. „Behauptungen und Mutmaßungen sind nicht hilfreich“, hieß es weiter.
Herkunft von Sars-Cov-2 nicht zweifelsfrei geklärt
Die Herkunft des Coronavirus ist umstritten. Als es Ende 2019 in der chinesischen Stadt Wuhan auftauchte, deutete vieles darauf hin, dass die Infektionen auf einem Tiermarkt entstanden waren. Der Erreger sei wahrscheinlich von Fledermäusen über ein anderes Tier auf den Menschen übergesprungen, hieß es. Nach zwei Jahren ist die Herkunft von Sars-CoV-2 aber weiter nicht zweifelsfrei geklärt.
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Der Charité-Direktor bekam am Donnerstagabend und im Laufe des Freitags unter dem Hashtag „#SolidaritätMitDrosten“ viel Zuspruch für seine Kritik an Wiesendanger und „Cicero“, das Magazin hatte in einer Reaktion auf Drostens Kritik zwischenzeitlich angeboten, ein Streitgespräch zwischen Wiesendanger und Drosten zu organisieren und dieses zu „dokumentieren“.
Große Solidarität mit Christian Drosten auf Twitter
Unzählige Twitter-Nutzer erklärten sich solidarisch mit dem 49-Jährigen. So äußerte sich auch der Bundesdatenschutzbeauftrage Ulrich Kelber (SPD). „Natürlich gilt #SolidaritätMitDrosten, wenn ein Wissenschaftler, der transparent und vorbildlich arbeitet, von Extremisten und skrupellosen medialen Helfern attackiert wird“, schrieb dar ehemalige Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz.
Kritik an Drostens Bewertung Wiesendangers als „Extremcharakter“ gab es unterdessen von Dietrich Brüggemann. Der Filmregisseur hatte im Vorjahr mit der Aktion „#allesdichtmachen" für Wirbel gesorgt. Brüggemann, 50 Schauspieler und ein weiterer Regisseur hatten die staatlichen Corona-Maßnahmen mit satirisch übersteigerten Videos kritisiert und dafür viel Kritik bekommen, da eine Nähe zu sogenannten „Querdenkern“ und der AfD gesehen wurde.