Ja, es wird noch getanzt im Moka Efti. Aber mit Leichtigkeit und Lebensfreude hat das schon lange nichts mehr zu tun. Es ist ein Tanzmarathon, bei dem das Paar, das nach endlosen Stunden als letztes völlig erschöpft auf dem Parkett steht, 1000 Reichsmark gewinnen kann. Und die können sehr viele sehr gut gebrauchen im Berlin der frühen 1930er Jahre.
Armut und Arbeitslosigkeit beherrschen die Stadt, Obdachlose hausen in Ruinen und auf den Straßen wütet die SA. Die rechten Demokratie-Feinde terrorisieren jüdische Bürger, zerstören deren Geschäfte und wollen nichts lieber, als der instabilen Weimarer Republik den Todesstoß zu versetzen.
Die Diktatur zieht herauf
Mit dem Jahreswechsel 1930/31 beginnt die neue, vierte Staffel von „Babylon Berlin“ und von den Goldenen Zwanzigern ist nicht mehr viel übrig. Der Vulkan, auf dem sie alle tanzten, ist längst ausgebrochen. Die Diktatur zieht herauf. Und mit ihr die unangenehmen Fragen, die heute so aktuell sind wie damals. Wie wehrhaft ist die Demokratie, wenn ihre Feinde sich zusammenrotten und nichts um rechtsstaatliche Prinzipien geben?
Wir wissen heute, dass die junge deutsche Republik scheiterte. Die Menschen damals wussten das nicht. Die Autoren – Achim von Borries, Bettine von Borries, Henk Handloegten, Khyana El Bitar und Tom Tykwer – und Regisseure Achim von Borries, Handloegten und Tykwer tun glücklicherweise nicht so, als sei das Ende unausweichlich gewesen.
Es geht ihnen um die Bruchstellen jener Zeit, an denen der Weg auch anders hätte verlaufen können. Und sie schauen nur auf viele einzelne Momente, es gibt nicht den einen Handlungsbogen, der nahelegt, dass der Ausgang schon lange feststand. Sie werfen ihre Zuschauer somit fast schon schutzlos in jene Zeit. Das hat eine ungeheure Wucht.
Es braucht Geduld, die Zusammenhänge zu verstehen
Die vierte Staffel von „Babylon Berlin“ feierte ihre TV-Premiere vergangenes Jahr bei Sky. Ab dem 29. September ist sie in der Mediathek des Ersten zu sehen. Sonntagabend, 20.15 Uhr, startet sie im Ersten.
Die zwölf Folgen, die von X Filme Creative Pool in Koproduktion mit ARD Degeto, Sky und Beta Film entstanden, basieren auf Volker Kutschers Roman „Goldstein“. Und die Macher halten ihre Fäden – besser als in der dritten Staffel – souverän in der Hand. Natürlich hängt fast alles mit allem zusammen, aber man braucht Geduld, um die Zusammenhänge zu verstehen.
Zu Beginn wird Kriminalassistentin Charlotte Richter (Liv Lisa Fries) in der Silvesternacht zur Leiche eines jungen Einbrechers gerufen, der vom Dach des Kaufhaus Tietz gestürzt ist. Sie ahnt und die Zuschauer wissen, dass mehr dahinter steckt. Lottes Schwester Toni (Irene Böhm) ist in den Fall verwickelt, was ihr arge Probleme bereiten wird.
Währenddessen zieht die SA marodierend durch die Straßen und die junge Kriminalistin erkennt unter den Schlägern Gereon Rath (Volker Bruch). Ist der Kommissar, der noch immer mit den Geistern der Vergangenheit ringt, ein rechter Schläger?
Volker Bruchs Verhalten während der Pandemie sorgte für Kritik
Jedes Kind weiß, dass man Rolle und Darsteller nicht gleichsetzen sollte, aber diese Bilder sind nach den Geschehnissen während der Corona-Pandemie rund um den 42 Jahre alten Schauspieler mehr als verstörend. Nicht nur hatte er im April 2021 die umstrittene Aktion #allesdichtmachen, bei der rund 50 Schauspieler die Corona-Maßnahmen der Regierung in vermeintlich ironisch-satirischen Videos kommentierten, mit initiiert.
Es wurde auch bekannt, dass er einen Mitgliedsantrag bei der Basisdemokratischen Partei Deutschlands gestellt hatte, die der Querdenker-Bewegung nahesteht. Auch wenn er diesen Prozess nach eigenen Angaben nicht abschloss, bleibt die Frage offen, wie der Hauptdarsteller einer Serie, die die Bedrohung durch den Faschismus thematisiert, selbst zu rechten Kräften in der Gesellschaft steht. Bruch gibt zurzeit keine Interviews, aber man kann diese Serie nicht schauen, ohne über diese Fragen nachzudenken.
Viele vertraute und einige neue Gesichter
All das ändert aber nichts daran, dass die vierte Staffel der teuersten deutschen Serie ein famoses, opulent ausgestattetes Gesamtkunstwerk geworden ist, bei dem neben vielen alten Bekannten – Lars Eidinger als reicher Industrieller und Muttersöhnchen Alfred Nyssen, Ronald Zehrfeld als Gangsterboss Walter Weintraub oder Fritzi Haberlandt als Elisabeth Benke – auch neue Gesichter auftauchen. So spielt Joachim Meyerhoff einen mehr als zwielichtigen Richter und Mark Ivanier den nach New York ausgewanderten Juden Abraham Goldstein, der nach Berlin zurückkehrt, um den Nyssens einen Diamanten, der einst seinem Vater gehörte, abzunehmen.
Max Raabe steuert mit „Ein Tag wie Gold“ den beschwingten Soundtrack zum nahenden Untergang bei: „Ein Tag wie Gold. In den Adern Hunderttausend Volt. Eine Nacht wie Samt und Seide.“ Die große Party ist bald vorbei, aber wenn „Babylon Berlin“ die Qualität der vierten Staffel auch künftig hält, darf diese Serie gerne noch weitergehen.