Instrument des JahresWas Köln zur Geschichte des Schlagzeugs beigetragen hat
Köln – Die Trommeln sprechen. Sie sprechen in einer Sprache, die sich den Ohren der weißen Herren verschließt. Sie kennen Trommeln nur als Taktgeber im Krieg. Jeder Schlag aufs Fell gibt die Richtung vor und die Richtung heißt Tod. Aber diese Trommeln könnten Sklaven zur Flucht verhelfen. Sie könnten Aufstände auslösen.
Nichts ist bewiesen, aber umso größer ist die Angst der Plantagenbesitzer. Also erlassen amerikanische Sklavenhalter-Staaten wie Louisiana oder South Carolina Mitte des 18. Jahrhunderts sogenannte „No Drumming Laws“. Und verbieten den Menschen, die sie als ihren Besitz erachten, das Trommeln und auch den Besitz der Instrumente, die sie aus ihrer afrikanischen Heimat mitgebracht hatten.
Ironischerweise führen diese Gesetze zur Entwicklung des Drumsets und damit zur Erfindung der modernen Musik an sich. Statt der Trommel nutzen die Sklaven ihren eigenen Körper, Hände klatschen auf Oberschenkel, Füße stampfen den Boden. Sie nutzen auch Stöcke und Fässer und was ihre Umgebung sonst noch parat hält. Und dazu kommen andere Instrumente wie das Tamburin, das Banjo, oder die Fiedel.
Die Trommel als Diskursmaschine
Die Trommeln sprechen immer noch. Aber jetzt sprechen sie mit dem ganzen Körper und seinen künstlichen Verlängerungen. Und sie sprechen über das gesamte Klangspektrum hinweg. Das ist das Drumset, wie es sich im späten 19. Jahrhundert entwickelt hat, vor allem unter schwarzen Marching Bands in New Orleans. Die schnarrende kleine Trommel, die tieftönende Bassdrum, die mittigen Tomtoms und die scharf zischenden Becken der Hi-Hat. Ein Ein-Mann-Orchester. Aus der sprechenden Trommel ist eine Diskursmaschine geworden.
Seit zwölf Jahren wählen die Landesmusikräte von elf Bundesländern ein Instrument des Jahres, angefangen mit der Klarinette. Die Aktion soll ein breites Publikum für das jeweilige Instrument begeistern. 2022, haben die Landesmusikräte beschlossen, ist das Jahr des Drumsets. Obwohl das ja eigentlich viele Instrumente ist.
Ringo Starr macht Ludwig reich
Der andere Ursprung des Drumsets liegt im Varieté-Theater und im Zirkus. Hier spielt der Schlagzeuger William F. Ludwig, Sohn eines deutschen Emigranten. Die Arbeit ist unregelmäßig, das Equipment mäßig. Also gründet Ludwig zusammen mit seinem Bruder 1909 in Chicago die Ludwig Drum Company. Zuerst entwickelten die Brüder ein Fußpedal für die Bassdrum. Dann kleine Trommeln, Pauken, etc. Bis das Drumkit vollständig ist.
Die Ludwigs haben Erfolg. Aber weltberühmt wird ihre Marke erst am 9. Februar 1964, als die Beatles ihr amerikanisches Debüt in der Ed Sullivan Show geben. Ringo Starr hatte sich für ein Ludwig-Drumset entschieden, weil ihm dessen Farbton „Black Oyster Pearl“ so gut gefiel. Und weil er stolz war, ein amerikanisches Produkt erworben zu haben, hat er den Namen „Ludwig“ zusammen mit dem Logo der Beatles auf das Fell seiner Bassdrum malen lassen. Der Umsatz der Ludwig Drum Company verdoppelt sich.
Keith Moon in der Muppet Show
Als Schlagzeuger landet Starr nur selten unter den Besten. Er hat das Pech, in derselben Ära zu spielen wie Hal Blaine, Anführer einer eingeschworenen Bande von Studiomusikern namens The Wrecking Crew. Blaines klanglicher und rhythmischer Erfindungsreichtum hat 150 Singles in die Top Ten geführt. Oder wie der unbezähmbare Keith Moon von The Who, der das Drumset zurück in den Zirkus führte und in den Krieg, nicht als Taktgeber, sondern als Allzweckwaffe.
Das Tier in der Muppet Show ist Keith Moons Porträt in Filz. Und vielleicht noch mehr als der früh verstorbene Hotelzimmerzerstörer verantwortlich für die Idee, dass Schlagzeugspielen im Venn-Diagramm die Schnittmenge von Wutanfall und Virtuosität einnimmt.
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Dabei ist der Drummer idealerweise doch eher der Ruhepol einer Band: Wie die Beatles erst durch Ringo zu den Beatles werden, kann man sich zurzeit in Peter Jacksons „Get Back“-Dokumentation anschauen: Starr thront hinter seinem erhobenen Ludwig-Set und behält in feinfühliger Gleichmütigkeit die Übersicht über seine Bandkollegen. Seine Beckenschläge sprechen Bände, sein Rhythmen umhegen die auseinanderstrebenden Temperamente.
Ist es nicht sogar Drummer, der das jeweilige Genre vorgibt? Der Puls des Ride-Beckens im Swing, der Wumms der doppelten Bassdrum im Heavy Metal, die Timbales mit Kuhglocke in den Spielarten der afro-kubanischen Musik von Tito Puente bis Sheila E.
Kölner Innovationen
Auch Köln hat Drum-Geschichte geschrieben: Karlheinz Stockhausen etwa braucht in seinem Stück „Mikrophonie I“ noch nicht einmal ein vollständiges Drumset, um das gesamte Klangspektrum zu bedienen: Ihm genügt ein Tamtam (ein großer chinesischer Bronzegong), zwei Mikrofone und einige elektronische Filter, um ein Orchester an unerhörten Sounds aus dem überdimensionalen Becken zu kitzeln. Einige Jahre später fand Jaki Liebezeit als Schlagzeuger der von Stockhausen-Schülern gegründeten Band Can eine neue Freiheit als schlagwerkende Mensch-Maschine mit einem motorisch treibenden, ultraexakten Metronom-Beat.
So sprechen die Trommeln heute beredeter als je zuvor. Manche Rhythmen sind ihre eigenen Stars: Berühmt ist Bernard „Pretty“ Purdies „Purdie-Half-Time-Shuffle“, zu hören etwa auf Steely Dans „Babylon Sister“. Noch berühmter sind dessen Weiterentwicklungen: Von Jeff Porcaro auf Totos „Rosanna“, von John Bonham auf Led Zeppelins „Fools in the Rain“. Clyde Stubblefields Drum-Break auf James Browns „Funky Drummer“ ist als Sample auf mehr als 1400 Aufnahmen zu hören.
Und für rhythmisch Herausgeforderte gibt es ja immer noch Stampf Stampf Klatsch, Stampf Stampf Klatsch. Um bei Queens „We Will Rock You“ mitzumachen, braucht man noch nicht mal ein Drumset. Hände und Füße genügen, der Rhythmus ist als Gemeinschaftserlebnis im Stadion entworfen worden. Das Trommeln kann man nicht verbieten.