Von der Vorderseite schaute der Verstorbene – auf Peter Peitschs schönem Porträtfoto – wohlwollend auf die zu seinen Ehren Versammelten. So, wie er dort erscheint, dürften die meisten Dieter Wellershoff erlebt haben: mit wacher, leicht skeptischer Freundlichkeit dem Gesprächspartner und überhaupt seiner Umgebung zugewandt.
Stadt Köln und Literaturhaus hatten zur Gedenkveranstaltung für den am 15. Juni Verstorbenen in die Piazzetta des Historischen Rathauses geladen, und viele waren gekommen, um sich an den „großen Kölner Autor“ – so Oberbürgermeisterin Henriette Reker in ihrer Begrüßung – zu erinnern bzw. an ihn erinnert zu werden. Neben der Familie des Verstorbenen war auch die Kölner Literaturszene – von Jürgen Becker bis Erasmus Schöfer – gut vertreten.
Irene Wellershoff, die älteste Tochter, setzte in ihrer Vergegenwärtigung des Vaters gleich zu Beginn einige der Motive, die dann im Fortgang des (mit Lesungen von Bernt Hahn und Einspielungen aus dem Hörspiel „Schneelandschaften, Schneestimmen, Schneegespenster“ mit Musik von Johannes S. Sistermanns gerahmten) Programms wiederholt benannt werden sollten: Wellershoff war ein Mensch, dem im Vergleich zur Tätigkeit des Schreibens alles andere „langweilig war“; er war „kreativ und fantasievoll, zugleich aber geerdet und realistisch“; und er war ein „Rheinländer mit preußischer Mentalität“.
Im Zentrum stand eine von Kritiker Hubert Winkels geleitete Gesprächsrunde, in der sich vier „Wellershoff-affine“ Zeitgenossen – sein Verleger Helge Malchow, die Autorin Liane Dirks, der Literaturvermittler und frühere Leiter des Kölner Literaturhauses Thomas Böhm und der Germanist Werner Jung von der Uni Essen/Duisburg – der Gestalt des Verstorbenen sowie der fortwirkenden Bedeutsamkeit seines Werks zu versichern suchten. Klar, dass da persönliche Erinnerungen lebendig wurden – Böhm und Dirks etwa zeigten sich noch posthum fasziniert von der Klarheit und Präsenz , der Denkschärfe und radikalen Ehrlichkeit des Autors: „Der sagte in zehn Minuten etwas, worüber man ein ganzes Leben lang nachdenken konnte.“ Dirks ordnete Wellershoffs psychoanalytische Sezierlust auf eine prima vista überraschende Weise ein: „Um sie so sezieren zu können, muss man die Menschen lieben.“
Drei thematische Schwerpunkte erhöhten dann den Ertrag der Diskussion. Die Frage „War Wellershoff ein Anti-68er?“ etwa provozierte unterschiedliche Antworten: Sein Schreiben, gab Malchow zu bedenken, sei stets eines gegen kollektive ideologisch-moralisierende Vereinnahmungen gewesen – und damit auch gegen die von „1968“. Jung indes verwies auf den Protest des Autors gegen die Notstandsgesetze und das emanzipatorische Potenzial seiner Realismus-Konzeption: „Man muss das in der Waage halten.“
Übereinstimmung herrschte darin, dass Wellershoff von Literaturauffassung und Schreibpraxis her mit einem Autor wie Heinrich Böll wenig anfangen konnte – und Böll, dessen Lektor er für lange Jahre war, darum wusste, Wellershoff aber wegen dessen präziser Arbeit an den eigenen Texten trotzdem schätzte. Freilich sei Wellershoff nie so erfolgreich wie der andere gewesen – die Kritik habe ihm, zu Unrecht, immer wieder den Vorwurf gemacht, „zu schlau“ zu sein und in seinen Büchern lediglich die „Verfleischlichung“ einer Theorie zu betreiben.
Und was bedeutete „Köln“ in Wellershoffs mentalem Haushalt? Er war, so Malchow, ein Aufklärer und Rationalist: „Und das bedingte immer auch ein Stück Fremdheit und Distanz gegenüber der Stadt, die er gut kannte.“ Schließlich: Der Werkausgabe bei Kiepenheuer & Witsch soll eine Briefedition folgen. Also: Wer Briefe von Wellershoff hat, möge sich bei der Familie oder Werner Jung melden.
AUSSTELLUNG IN DER STADTBIBLIOTHEK
„Die Wahrnehmung des Lebens vertiefen“ – unter diesem für Wellershoffs Werk in der Tat zentralen Selbstzitat steht eine kleine, von Gabriele Ewenz (Literatur-in-Köln-Archiv) kuratierte Ausstellung im zweiten Stock der Stadtbibliothek am Neumarkt. Sie ist während der üblichen Öffnungszeiten bis zum 22. Dezember zu sehen.
In Dokumenten, Bildern, Zeitungsausschnitten etc. wird noch einmal die außerordentliche „Rollenvielseitigkeit“ des Autors eindrucksvoll präsent: als Literaturwissenschaftler und -theoretiker, Romancier, Essayist, Theater-, Hörspiel- und Drehbuchautor – und nicht zuletzt als Lektor des Verlages Kiepenheuer & Witsch. (MaS)