Der DJV-Vorsitzende Frank Überall im Interview über Pressefreiheit, Nachrichtenvermeidung und mangelnde Unterstützung der Politik.
Frank Überall zum Tag der Pressefreiheit„Wir müssen vorsichtig sein, sonst haben wir ein riesengroßes Problem“
Herr Überall, Deutschland ist in der Rangliste der Pressefreiheit das dritte Jahr in Folge abgestiegen. Hintergrund sind die Attacken gegen Medienschaffende, von denen es so viele gab wie noch nie zuvor. Die Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen (RSF) sieht die Bundesrepublik auf Platz 21, hinter Ländern wie Slowakei und Samoa. Haben wir die Pressefreiheit in Deutschland zu lange als selbstverständlich betrachtet?
Frank Überall: Ich habe hier im Rheinland viel als Reporter über rechtsextreme Demonstrationen berichtet. Ich kenne die Szene also ganz gut. Ich habe früher nie erlebt, dass es dort tatsächlich Gewalt gegen uns gab. Da musste man keine Angst haben, mit denen konnte man auch ins Gespräch kommen. Das hat sich ganz grundsätzlich geändert. Es hat vor allem mit Pegida in Dresden angefangen und sich dann über die ganze Republik ausgebreitet. Wir gehen mittlerweile teilweise mit Bodyguards zu Demonstrationen, weil es einfach zu gefährlich geworden ist. Diese Leute verlassen sich nicht mehr auf die Kraft ihres Arguments, sondern auf ihre ganz persönliche Schlagkraft.
Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit steht die Pressefreiheit massiv unter Druck.
Ja, weltweit ist im Moment die Pressefreiheit - wohlgemerkt ein Grundrecht - auf dem Rückzug, weil immer mehr Staaten Pressefreiheit einschränken. Wir erleben den Trend weg von der Demokratie, auch das ist eine Zeitenwende. Weniger als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt mittlerweile in einem demokratischen Staat. Pressefreiheit ist konstitutiv für die Demokratie. Wir merken plötzlich, dass wir Demokratie und auch Pressefreiheit jeden Tag aufs Neue wieder erkämpfen müssen. Sie ist nicht selbstverständlich.
Gibt es ausreichend Stimmen, die sie in Deutschland verteidigen?
Nein, genügend Mitstreiter haben wir definitiv nicht. Friedrich Merz hat ja mal gesagt, wir bräuchten eigentlich nur noch die sozialen Netzwerke und den Journalismus nicht mehr. Daraufhin habe ich ihm einen offenen Brief geschrieben. Er ist dann auch zurückgerudert. Es zeigt aber, wie schnell man in der Politik dabei ist, das, was Journalismus ausmacht, als lästig zu empfinden. Unsere Aufgabe ist es nicht, Schönwetter-Berichterstattung zu machen, sondern kritisch zu berichten. In Teilen der Politik fehlt dieses Verständnis für Pressefreiheit. Sie wird eher als lästig wahrgenommen. Das ist brandgefährlich.
Umgekehrt sind wahrscheinlich Fälle wie Patricia Schlesinger oder jetzt Mathias Döpfner auch gefährlich, oder?
Ja natürlich. Es ärgert mich kolossal, dass einzelne Personen im Moment unseren Berufsstand in Misskredit bringen. Wenn diese Menschen in Führungspositionen sind, ist es natürlich besonders dramatisch. Dann wird auch noch versucht, das Ganze zu vertuschen und klein zu reden. Sie stellen sich der Verantwortung nicht. Die Affäre Schlesinger hat ja letzten Endes zu dieser zugespitzten Diskussion um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geführt. Auch die Affäre Döpfner ist geeignet, das Vertrauen in Journalismus insgesamt zu untergraben. Das macht mich fassungslos.
Aktuell ist häufig von News-Fatigue oder selektiver Nachrichtenvermeidung die Rede. Auch der BDZV warnt davor anlässlich des Tages der Pressefreiheit. Worin sehen Sie die Ursachen für diese Vermeidungsstrategien?
Es gibt ja multiple Krisen. Die Corona-Krise mit all ihren Folgen, Krieg vor der eigenen Haustür, die Inflation. Wir erleben plötzlich eine Situation, wo vieles ins Wanken gerät. Selbst ich als Medienschaffender denke manchmal, ich möchte gerne mal einen ruhigen Abend haben und guck erst morgen wieder rein. Gleichzeitig hängen wir ständig an der News-Nadel. Dass das irgendwann auch zu viel ist, ist nachvollziehbar. Wir leben in extrem aufgeregten Zeiten. Wenn viel berichtet wird, tritt immer eine gewisse Müdigkeit auf. In der Tat müssen wir vorsichtig sein. Nachrichtenvermeidung ist das eine, Nachrichtenverweigerung ist dann irgendwann ein riesengroßes Problem.
Wie kann man der entgegenwirken?
Ich bin froh, dass es den neuen Zweig des konstruktiven Journalismus gibt. Damit meine ich nicht positiven Journalismus. Lösungsorientierter Journalismus konfrontiert uns nicht nur mit den heftigen Entwicklungen, sondern sucht ganz bewusst danach, welche Lösungsmöglichkeiten es gibt. Ich denke, das ist einer der Ansätze, wie man auch die Menschen wieder zurückholen kann.
Wissenschaftler sehen durch das Phänomen der Nachrichtenvermeidung ein Grundprinzip der Demokratie gefährdet: die Kontrolle öffentlichen Handelns.
Wir kennen es beispielsweise aus den USA. Wo insbesondere Lokaljournalismus wegfällt, grassiert die Korruption zum Beispiel in den Rathäusern. Das belegen Studien. Wir müssen aufpassen, dass wir keinen Rutschbahneffekt bekommen in diese Richtung, zumal eben manche sich dann sogenannten alternativen Medien zuwenden. Wir müssen auch in der Sprachwahl vorsichtig sein und das, was Journalismus ist, klar abgrenzen von all dem, was sonst so im Internet rumschwirrt. Deswegen nenne ich die sozialen Netzwerke konsequent auch soziale Netzwerke und nicht soziale Medien. Es wühlt mich auf, dass Fakten ausgeblendet und sowohl Wissenschaft als auch Journalismus nicht mehr ernst genommen werden. Kolleginnen und Kollegen aus der Wissenschaft sind auf die Straße gegangen mit sogenannten Marches for Science. Ich glaube, wir sind schon fast in der Situation, wo wir Marches for Journalism brauchen. Wir müssen deutlicher machen, welchen Wert unser Berufsstand hat.
Wie kann das gelingen?
Beim Metzger wird im Moment auch mehr auf Bio-Qualität geachtet. Bei Lebensmitteln insgesamt wird viel mehr nach der Herkunft gefragt. Beim Lebensmittel Nachrichten ist das auch so. Wir sind es als Journalistinnen und Journalisten nicht gewohnt, unsere Arbeit zu erklären. Das müssen wir aber. Das Stichwort ist Medienkompetenz. Ich kann nur etwas verteidigen, das ich verstehe und schätze. Darum müssen wir kämpfen in dieser Gesellschaft, das ist gerade wichtiger denn je. Als ich als DJV-Vorsitzender angetreten bin, habe ich mir nicht vorstellen können, dass unser Beruf so grundsätzlich infrage gestellt wird. Wir müssen Journalismus auf die Bühne tragen. Es geht darum, dass es starke Marken gibt und wir Journalistinnen und Journalisten auch als Marke auftreten. Das ist in der Wissenschaft und auch in der Praxis durchaus umstritten, aber der Trend wird sich nicht aufhalten lassen.
Aber manche wird man auch dadurch nicht erreichen, oder?
Sektenähnliche Anhängerschaften sind ja nun nichts komplett Neues. Ich empfinde es fast als Ehre, dass kritisch nachgefragt wird. Wir brauchen uns da nicht zu verstecken. Wir müssen diesen Ball aufnehmen und unsere Arbeit erklären. Es gibt aber sicherlich einen harten Kern, den wir nicht erreichen werden. Viele Querdenker sind Argumenten nicht mehr zugänglich, da ist der Verweis auf Sekten durchaus berechtigt.
Gerade die Verlage haben aber gerade wirtschaftlich sehr zu kämpfen. Ist der Politik bewusst, dass einige Medienhäuser sich in einer bedrohlichen Situation befinden? Lösungen für eine Ausgestaltung einer Zustellförderung sind immer noch nicht gefunden.
Das Problem ist, dass die Medienpolitik auf Bundesebene wenig zu sagen hat und immer zusammen mit der Kulturpolitik marschiert. Ausstellungseröffnungen sind natürlich die schöneren Termine für Politikerinnen und Politiker, und Medienpolitik ist sehr komplex, besonders im Föderalismus. Bis zu einem gewissen Grad kann ich nachvollziehen, dass man da zurückhaltend ist. Hinzu kommt die Sorge vor Staatsfinanzierung und Staatskontrolle, was wir aus historischen Gründen in Deutschland so nicht wollen. Gleichwohl sind wir in einer Situation, wo es eben tatsächlich um die Wurzel geht.
Aber die Regierung streitet zurzeit vor allem über Zuständigkeiten.
Da kann ich nur sagen: Rauft euch endlich zusammen! Das ist doch albern, das ist keine Politik. Politik muss das Machbare gestalten. Man kann sich trefflich über einzelne Details streiten, aber dieser Streit muss jetzt stattfinden. Die Uhr läuft ab. Funke versucht in Thüringen im Moment in einem Modellprojekt, keine Tageszeitung mehr zuzustellen. Im ländlichen Bereich sind auch Menschen unterwegs, die eben nicht so digitalaffin sind. Wenn wir die tatsächlich nicht mehr erreichen, wird es gefährlich. Es ist wichtig, schnell zu Entscheidungen zu kommen und nicht weiterhin den schwarzen Peter hin und her zu schieben. Es muss sich jemand verantwortlich erklären und dann auch die Stürme, die da kommen, durchstehen.
Zur Person: Frank Überall (52) ist seit 2015 Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV). Der Journalist und Politik- und Medienwissenschaftler lehrt zudem an der HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln.