Zum George-Enescu-Musikfestivals spielte Dirigent Cristian Măcelaru mit dem WDR Sinfonieorchester in Bukarest. Das Aufführungsniveau kann sich sehen lassen.
Rumänienreise des WDR SinfonieorchestersDieses Festival ist so gut wie Salzburg und Luzern
Ende August ist es warm in Bukarest, sehr warm – nachmittags klettert das Thermometer in der rumänischen Hauptstadt auf 37 Grad. Das urbane Leben, tagsüber erkennbar reduziert, erwacht so richtig erst nach Einbruch der Dunkelheit, dann allerdings mit Macht. Die Flaniermeilen füllen sich, die Restaurants auch, der Autoverkehr ist lebhaft, von überall her kommt Musik, temperamentvoll bricht die mediterrane Fiesta aus. Der Krieg in der Ukraine ist nur gut 300 Kilometer entfernt – und doch irgendwie weit weg. Der Tourist merkt jedenfalls nichts davon, wenn ihn, zum Beispiel, als Besucher des George-Enescu-Musikfestivals, kurz nach 22 Uhr (oder später) eines der großen Konzerthäuser in die Bukarester Nacht entlässt.
WDR spielt im Romanian Athenaeum
Diese „Venues“ liegen im Herzen der Innenstadt, könnten allerdings unterschiedlicher nicht sein: Das Romanian Athenaeum etwa ist ein stilvoller klassizistischer Bau, 1885 bis 1888 nach Plänen des französischen Architekten Albert Galleron erbaut. Kuppel, Fresken aus der rumänischen Geschichte und trotzdem ein intimes Ambiente mit nischenartigen Logen – rundum ein Ort zum Wohlfühlen. Die Sala Palatului hingegen, auch Grand Palace Hall genannt, ist ein gigantisches Konferenzzentrum, 1960, also tief in der kommunistischen Ära, für 4000 Besucher erbaut, wie geschaffen für die Jubel-Parteitage der Genossen.
Diese Vergangenheit ist der Koloss bis heute atmosphärisch nicht losgeworden, und wer dort eine konzertante Aufführung von Verdis „Otello“ wirklich genießen will, tut es am besten mit geschlossenen Augen. Aufführungsprobleme gibt es auch: Die Bühne ist extrem breit, aber nicht tief, zwischen dem linken und dem rechten Rand des Orchesters scheint ein Ozean zu liegen.
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Cristian Măcelaru lobt das Aufführungsniveau in Bukarest
Der Kontrast ist bezeichnend für das Bukarest dieser Tage: Das Erlesene steht da in hartem Schnitt neben dem Scheußlichen, das imperiale 19. Jahrhundert neben Architektur-Stalinismus, das liebevoll Restaurierte neben dem eindrucksvoll Verwahrlosten. Cristian Măcelaru, seit 2022 (für zunächst sechs Jahre berufener) künstlerischer Leiter, will diese Rahmenbedingungen jedenfalls für „sein“ Enescu-Festival verbessern – das alle zwei Jahre stattfindet, jeweils vier Spätsommerwochen lang dauert und (anno 2023) 90 Konzerte umfasst: „Das Aufführungsniveau ist hier nicht schlechter als in Salzburg oder Luzern, aber die Infrastruktur muss aufholen“, stellt er im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ fest.
„Parkplätze unter die Erde, Gärten und Gastronomie zwischen den Veranstaltungsorten wie in Paris, und ein neuer Konzertsaal, wo das Orchester in der Mitte spielt.“ Schließlich will er energisch die Zugangsschwellen senken, mit entsprechender Programmation ein neues, junges Publikum generieren, die Veranstaltungsformate diversifizieren. Für all das hat er, wie er sagt, die Unterstützung und auch die finanziellen Zusagen der Regierung, die immerhin 95 Prozent des zwölf Millionen Euro umfassenden Budgets gewährt (der Rest kommt von Sponsoren). Die Regierung wechselt freilich in Rumänien häufig, „und dann fängt man wieder von vorne an“.
Măcelaru ist auch Bukarester Festivalleiter
Konzertsaal mit Orchesterpodium in der Mitte? Wer da an die Kölner Philharmonie denkt, liegt nicht falsch. Schließlich tritt Măcelaru dort mit dem WDR Sinfonieorchester regelmäßig auf. Der Personalunion von Kölner Chefdirigent und Bukarester Festivalleiter, der mit seinem Engagement seinem Heimatland „etwas zurückgeben“ möchte, verdankt sich auch die Tatsache, dass das Orchester soeben zwei Auftritte beim Enescu-Festival absolvieren konnte. Beim ersten stand, temperamentvoll-eindringlich, vielleicht etwas überengagiert Jörg Widmann am Pult – er dirigierte sein eigenes teils neoromantisches zweites Violinkonzert mit seiner Schwester Carolin als Solistin und Mendelssohns Reformationssinfonie.
Beim zweiten kochte der Maestro selbst – bei Orchesterfassungen von Mahler-Liedern (interpretiert von Matthias Goerne, der den Solopart mit leichtem Knödel-Appeal, wenig individualisierendem Ausdruck und mäßiger Textverständlichkeit sang) und Bartóks in jeder Hinsicht überragend gespieltem „Holzgeschnitzten Prinzen“ (das nämliche Programm erklingt am heutigen Freitag und am morgigen Samstag auch im Kölner WDR-Abokonzert). Das Publikum applaudierte spontan und heftig, wenn auch vergleichsweise kurz. Das scheint zu den Bukarester Usancen zu gehören, genauso wie das Sektglas während des Konzerts, das erlaubte Zu-Spät-Kommen und Fotografieren.
Auf einer Reihe mit Salzburg und Luzern
Keine Frage: Einen besseren Botschafter als Măcelaru für das nach Rumäniens bedeutendstem Komponisten benannte und seit 1958 bestehende Festival und für die Kulturszene des Landes überhaupt hätte man sich in Bukarest kaum wünschen können. Das derzeit überwiegend von rumänischen Musikfreunden (aus dem ganzen Land, nicht nur aus der Hauptstadt) besuchte musikalische Großereignis liegt geografisch – und das ist zweifellos ein Nachteil – am Rand der europäischen Kulturwelt.
Dem Programm merkt man das freilich nicht an: Die Liste der Gäste reicht vom Concertgebouw Orchestra über das Gewandorchester bis zum London Philharmonic, von Herbert Blomstedt über Zubin Mehta bis zu Simon Rattle, von Gautier Capuçon über Kirill Gerstein bis zu Yuja Wang. Die rumänischen Orchester und Solisten setzen eigene Akzente, und auch die Agenda zeigt einen entsprechenden „Shift“: Sicher liegt ein Schwerpunkt auf dem europäischen Kanon des 19. und 20. Jahrhunderts, aber Enescu wird halt eklatant häufiger aufgeführt als in anderen Musikmetropolen, und das gilt auch für seine Zeitgenossen sowie, vor allem, für die aktuellen rumänischen Komponisten.
Bukarest in einer Reihe mit Salzburg und Luzern? Tatsächlich, Măcelaru dürfte diesbezüglich den Mund keineswegs zu voll nehmen. Es gibt freilich, abgesehen von der geografischen Lage, einen eklatanten Unterschied: „Wo Sie in Salzburg für ein Ticket 500 Euro auf den Tisch legen müssen, kommen Sie hier mit 50 aus.“
(Anmerkung: Die viertägige Informationsreise unseres Autors nach Bukarest wurde von George-Enescu-Festival und vom WDR Sinfonieorchester bezahlt.)