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Georgine Kellermann vor dem CSD„Wir sind zu träge im gegenseitigen Unterstützen“

Lesezeit 10 Minuten
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Georgine Kellermann     

  1. Vor drei Jahren fasste die deutsche Journalisten Georgine Kellernmann den Entschluss, sich öffentlich als Transfrau zu offenbaren.
  2. Seitdem kämpft sich öffentlichkeitswirksam für die Rechte von Transmenschen.
  3. Vor dem Start des CSD sprach Kellermann im Interview über die Bedeutung des Tages, über ihr Verhältnis zu Alice Schwarzer und warum sie die Sozialen Medien trotz der vielen Hasskommentare gegen Sie schätzt.

KölnFrau Kellermann, nach zwei Jahren Corona-Pause findet endlich wieder die große CSD-Demo in Köln statt. Was verbinden Sie persönlich damit?Kellermann: Das wird mein erster CSD in Köln - ich bin früher nie hingegangen, weil ich ja nicht als ich selbst da hätte hingehen können, gerade in Köln nicht. Ich hätte da ja viele Bekannte und Kolleginnen und Kollegen vom WDR getroffen - und ich war eben bis zum September 2019 noch nicht öffentlich eine Frau.

Glauben Sie, dass ein CSD heute jenseits der Party noch wichtig ist?

Ich glaube, dass wir in einer neuen Phase sind. In den Anfängen der CSDs hat man für Toleranz geworben. Und unsere Gesellschaft ist inzwischen viel toleranter als sich manch ewig Gestriger das wünscht.

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Aber wir sind trotzdem noch nicht da, wo man sagen kann: Bei uns kann jeder so leben wie er oder wie sie leben möchte. Und für dieses Recht sind die CSDs immer noch ein Ausdruck. Die ideale Gesellschaft ist natürlich eine, die einen CSD nicht mehr braucht. Aber ich glaube, selbst in einer idealen Gesellschaft werden wir weiterhin CSDs feiern - um daran zu erinnern, wie wichtig es einmal war, sie zu haben.

Zur Person

Georgine Kellermann, 65, wurde als Georg in Ratingen geboren. Sie war Korrespondentin für die ARD in Washington und Paris und führte die WDR-Studios in Bonn und Duisburg. Im Juni 2019 übernahm sie die Leitung des WDR-Studios in Essen, kurze Zeit später offenbarte sie sich als Frau.

Ist die Gesellschaft denn wirklich so viel toleranter geworden?

Ja, diese Toleranz erlebe ich zumindest in meinem privaten Umfeld: Wenn ich zu Hause auf den Markt gehe, dann sprechen Leute mich ganz freundlich an, die mich im Fernsehen gesehen haben oder ein Interview mit mir in der Zeitung gelesen haben. Und dann merke ich: Da ist kein Dünkel mehr.

Jede Gesellschaft entwickelt sich. Und ich glaube, dass unsere Gesellschaft gerade an einem ganz wichtigen Punkt ist, wo sie sich in dieser Entwicklung auch immer weiter öffnet. Das mag sich sehr ideal und vielleicht auch ein bisschen naiv anhören, aber ich erlebe das tatsächlich.

Was glauben, Sie, woran das liegt?

Ich glaube, dass die Sozialen Medien viel sichtbar gemacht haben und diese Sichtbarkeit hat dazu geführt, dass sich immer mehr Menschen auch mit solchen Themen beschäftigt haben.

Aber gerade in den Sozialen Medien ist es doch um die Toleranz nicht allzu gut bestellt…

Diejenigen, die Transmenschen ablehnen, sind in der Minderheit - aber sie wettern besonders laut. Und das kritisiere ich immer an meiner Bubble: Wir sind da zu träge im gegenseitigen Unterstützen, während die Trans-ablehnende Bubble sich gegenseitig immer weiter pusht. Alles liked und retweetet. Wenn Sie sich dann aber angucken: Wer macht das eigentlich? Dann sind es immer dieselben Leute. Teilweise Trolle, die jeden Tag einen neuen Account gestalten, nur um Leute zu beleidigen.

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Als Mitarbeiterin des WDR und Transfrau sind Sie für manche Hass-Kommentatoren und -Kommentatorinnen gleich zweifach ein rotes Tuch. Wie kommen Sie damit klar?

Ja, da wird dann tatsächlich sowas geschrieben wie: Mein Fetisch würde von Zwangsbeiträgen finanziert - das ist ja auf so vielen Ebenen einfach nur peinlich idiotisch, dass ich mich damit nicht auseinandersetze. Ich bin in den Sozialen Medien als Aktivistin für mein Thema unterwegs und nicht als Vertreterin des Öffentlich Rechtlichen Rundfunks. Aber auch als Aktivistin gehe ich nicht auf jeden Hass-Post ein. Wenn ich eine gute Vorlage kriege, dann setze ich die schon mal um, aber auf einer ganz anderen Ebene. Ich beleidige - im Gegensatz zu vielen anderen - keine Menschen.

Wie gehen Sie mit schwerwiegenden Beleidigungen und Hass um?

Vor einiger Zeit ist „HateAid“ - eine Organisation, die Opfer von Gewalt im Netz unterstützt – auf mich zugekommen. Und über diese Betreuung bin ich auch sehr froh, wir haben schon mehrere Anzeigen laufen. (Georgine Kellermann zeigt eine Mail mit diversen brutalen und obszönen Angriffen und Beleidigungen) Das alles hier hat Twitter für nicht löschungswürdig befunden!

Fühlen Sie sich da politisch und juristisch auch im Stich gelassen?

Natürlich! Deutschland ist sehr rückständig in der Beziehung. Dass muss man sich mal überlegen: Der Innensenator von Hamburg Andi Grote, ist kürzlich auf Twitter als „Pimmel“ beleidigt worden. Dafür ist ein ganzes Sondereinsatzkommando losgeschickt worden in Hamburg! Und Sie glauben nicht, wie viele Briefe ich inzwischen habe: „Ein Täter konnte nicht ermittelt werden. Das Verfahren ist eingestellt“. Sowohl für strafrechtlich relevante Beleidigungen bei Twitter als auch bei Facebook. Und da ging es um weitaus Gravierenderes als „Pimmel“.

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Lange trat Georgine Kellermann als Georg vor die Kameras.

Warum, glauben Sie, sind die großen Internetkonzerne da so ignorant?

Die Plattformen verdienen mit jedem Klick Geld - auch und gerade mit den Hass-Klicks. Ich finde, Internetkonzerne wie Facebook und Twitter müssen verpflichtet werden, das, was sie mit Hass verdienen, wieder für die Bekämpfung des Hasses auszugeben. Und ich glaube, da käme eine ziemlich gute Summe heraus, mit der man Staatsanwaltschaften und Ermittlungsbehörden oder auch „HateAid“ ausstatten könnte. Um so den Hass wirkungsvoller zu bekämpfen. Das ist meine Forderung an die Politik.

Das kann doch nicht Sache der Betroffenen sein, das alles anzuzeigen. Das geht doch nicht! Sie können Twitter in Deutschland noch nicht mal anschreiben bei Beleidigungen. Es gibt überhaupt keinen Support – nur diese Melde-Bögen. Und wie das dann ausgeht, habe ich ja gerade schon erzählt...

Aber auf der anderen Seite haben Sie auch ein durchaus positives Verhältnis zu den Sozialen Medien?

Also zunächst einmal habe ich durch das Internet gelernt: Du bist nicht alleine. Das wusste ich vorher auch, aber es war dann noch mal ein bisschen deutlicher und nur durch die sozialen Medien bin ich eigentlich da, wo ich heute bin. Meine Offenbarung (den Begriff mag ich lieber als „Outing“) fand zunächst einmal aus Versehen und auf einem Bahnsteig statt. Aber dann habe ich meine Identität als Frau auf Facebook öffentlich gemacht. So viele Leute auf einmal hätte ich früher ja nie erreicht. Ich glaube, dass die sozialen Medien Menschen wie mir insgesamt sehr geholfen haben. Deswegen halte ich sie - bei allem Fluch - immer noch für einen Segen.

Würden sich selbst als Feministin bezeichnen? Es gibt in der Szene ja durchaus auch trans-kritische bis -feindliche Strömungen.

Ja, ich sehe mich als Feministin und werde zum Beispiel auch oft von feministischen Organisationen eingeladen. Das sind auch immer sehr wertschätzende Begegnungen, über die ich mich total freue. Es gibt ganz viele Feministinnen, die sagen: Feminismus ist für alle da - auch für Transfrauen. Und dann gibt es diese kleine Gruppe, die sagt: Ihr wollt uns unsere Rechte, die wir uns über Jahrzehnte erkämpft haben, wegnehmen. Und da hört mein Verständnis auf. Ich weiß nicht, welche Rechte durch meine Existenz oder durch die Existenz von trans Frauen weggenommen werden.

Wie sehen Sie die Rolle von Alice Schwarzer in der Debatte? Sie hat ja kürzlich eine „Streitschrift“ zur Transsexualität herausgebracht.

Ich wäre heute nicht da, wo ich bin, wenn Alice Schwarzer in den 60er-,70er- und 80er-Jahren nicht die deutsche Gesellschaft umgemodelt hätte, was Frauenrechte angeht. Und dafür bin ich ihr dankbar. Ich schätze auch ihre Lebensleistung sehr - bis zu dem Punkt, wo sie mit dem Kachelmann-Prozess angefangen hat. Das war, glaube ich, der Punkt, an dem sie falsch abgebogen ist. Und heute stimme ich mit ihr absolut nicht mehr überein und ich finde, sie hat eigentlich auch längst den Punkt erreicht, wo sie Platz für neue Generationen machen sollte. Denn der Feminismus hat sich weiterentwickelt. Aber Alice Schwarzer hat sich nicht weiterentwickelt.

Manche Feministin kommt nicht damit klar, dass trans Frauen sich oft sehr traditionell feminin kleiden und schminken. Also quasi die vermeintlichen Erwartungen des Patriarchats an eine Frauenrolle erfüllen.

Der liebe Gott hat für mich die falsche Verpackung gewählt. Und mit meinen lackierten Fingernägeln und auch mit den High Heels, die ich gerne trage, mit den Röcken und den Kleidern versuche ich diese falsche Verpackung ein Stück weit zu kaschieren.

Und ich lasse mir von niemandem - weder vom Patriarchat noch von den Feministinnen - sagen, wie ich mich anziehen soll. Sondern das ist eine ganz persönliche Geschichte.

Es sind inzwischen zwei Transfrauen im Bundestag – ist das wichtig für Sie – politisch aber auch persönlich?

Ich finde es ein total wichtiges Zeichen, und die beiden müssen sich ja von der AfD richtig widerliche Beleidigungen anhören.

Ja, diese Sichtbarkeit ist wichtig und auch, dass die Grünen so dazu stehen. Und als Tessa Ganserer beispielsweise so angegriffen wurde, haben ja auch die anderen Parteien gesagt: Nicht mit uns! Für uns ist Ganserer eine Frau und hat alle Rechte hier zu sein. Aber Trans-Feindlichkeit führt bisweilen auch zu den merkwürdigsten Koalitionen: Da verbünden sich die radikalen Feministinnen (von denen die allermeisten mit Sicherheit nicht rechts, sondern links sind) mit der AfD zum Beispiel.

Welche Rolle spielt das biologische Geschlecht für die Tatsache, ob ein Mensch Mann oder Frau ist?

Das spielt sich nicht in der Unterhose ab, das spielt sich im Kopf ab.

Dessen bin ich mir absolut sicher. Es gibt heute Leute, die kommen zu mir und sagen: Du bist meine Freundin. Und das hätten sie dem Georg nicht gesagt. Das sagt mir auch eine langjährige Lebensgefährtin, die heute meine beste Freundin ist: Ich bin heute ein ganz anderer Mensch.

Können Sie das beschreiben?

Ich habe mich mehr geöffnet - ich war schon immer ein empathischer Mensch, aber ich bin nochmal ein Stück empathischer geworden. Dabei war ich ja schon immer eine Frau – nur nicht öffentlich. Aber ich glaube, ich stehe einfach nicht mehr so unter Druck. Weil ich die Rolle nicht mehr spielen muss, die ich ein Leben lang spielen musste. Insofern kann ich meine Energie auf andere Dinge verwenden. Ich glaube, dadurch ist meine Kreativität nochmal ein Stück gewachsen.

Mann und Frau – wofür ist es denn überhaupt wichtig, das zu benennen?

Immer, wenn eine Kollegin kommt und sagt: Ich erwarte ein Kind. Dann wünsche ich mir so sehr, die zu sein. Weil ich das nie schaffen werde.

Und dabei geht es mir nicht nur darum, das Kind zur Welt zu bringen. Sondern zu wissen, das Kind wächst in mir, dieses Gefühl der Nähe, der Verbundenheit. Das ein Mann niemals haben wird - es sei denn, er ist trans Mann.

Was bedeuten Ihnen Schönheitsideale?

Ich sollte mal für das Funk-Format „Mädelsabende“ ein kleines Video zum Thema „Body Positivity“ aufnehmen und ich weiß gar nicht mehr, was ich dazu gesagt habe, aber am Ende habe ich gesagt: „Und manchmal denke ich, ich bin die schönste Frau der Welt!“ Und ich habe das gemeint. Und das war ein Knaller. Das wird mir immer noch vorgeworfen. Es gibt ja tausende Operationen, um das Gesicht weiblicher wirken zu lassen, beispielsweise. Aber ich habe so eine Höllen-Angst vor Skalpellen. Und dann modelliere ich mit 65 Jahren mein Gesicht, so um, wie die Leute es sehen wollen?! Ich brauche das alles zum Glück nicht. Wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich mich und freue mich, dass ich endlich die bin, die ich schon immer war.