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Grimme-PreisSerien und Privatsender sind die großen Gewinner

Lesezeit 4 Minuten

Constantin Schreiber erklärt Flüchtlingen in kurzen Beiträgen, wie Deutschland funktioniert.

  1. Die von n-tv realisierte Online-Reihe „Marhaba – Ankommen in Deutschland“ wurde mit dem Spezialpreis ausgezeichnet.
  2. Auch weitere Serien von Privatsendern standen auf der Liste der Preisträger.
  3. Jan Böhmermann und auch Olli Dittrich erhielten zum wiederholten Male die Auszeichnung.

Köln – Es ist eine erstaunlich simple Idee. Der n-tv-Moderator Constantin Schreiber klärt in seiner Online-Reihe „Marhaba – Ankommen in Deutschland“ in inzwischen mehr als einem Dutzend Beiträgen auf Arabisch Neuankömmlinge über die Gepflogenheiten in Deutschland auf. Und weil er dies auf eine sehr offene, direkte und keinesfalls oberlehrerhafte Art tut und schon handelte, als andere noch im „Man müsste mal“ verharrten, hat die Jury „Information und Kultur“ des Grimme-Preises Constantin Schreiber mit einem Spezialpreis ausgezeichnet. Es sei bemerkenswert, dass ausgerechnet der kleine Privatsender n-tv dieses Angebot für die Neuankömmlinge realisiert habe, so die Jurybegründung.

Dass ein Privatsender einen Grimme-Preis gewinnt, ist selten, erst recht im Wettbewerb „Information und Kultur“, zuletzt gelang dies der Pro-Sieben-Produktion „Galileo Spezial – Karawane der Hoffnung“ im Jahr 2010. Doch die Entscheidung passt in den Trend dieses Jahres. Wurden 2015 nur öffentlich-rechtliche Formate ausgezeichnet, stammen in diesem Jahr gleich vier preiswürdige Produktionen von Privatsendern. Neben „Marhaba“ gewinnen auch „Weinberg“ (TNT Serie), „Deutschland 83“ (RTL) und „Club der roten Bänder“ (der erste Grimme-Preis für den Kölner Privatsender Vox). Was direkt zum nächsten Trend führt: Serien. Gleich drei von vier Gewinnern im Bereich „Fiktion/Spezial“ sind Serien. Das ist vor allem deshalb erstaunlich, weil eigentlich der Fernsehfilm als Stärke deutscher Produktionen gilt. Mit der Vox-Produktion „Club der roten Bänder“ im neu geschaffenen Wettbewerb „Kinder/Jugendliche“ sind es sogar vier Serien. „Wir sehen hier die Renaissance eines Formats“, sagte Grimme-Direktorin Frauke Gerlach bei der Bekanntgabe der Preisträger in Essen.

Zweiter Grimme-Preis für Böhmermann

Neben vielen Premieren gibt es auch in diesem Jahr Sieger, die schon mehrfach von der Jury ausgewählt wurden. So kann sich Olli Dittrich für „Schorsch Aigner – der Mann, der Franz Beckenbauer war“ (WDR) über einen Grimme-Preis in der Kategorie Unterhaltung freuen – es ist schon sein vierter. Ein Spezialpreis geht an den satirischen Beitrag „#Varoufake“ im „Neo Magazin Royale“ (ZDFneo). Mit dem Verwirrspiel über Echtheit oder Manipulation des sogenannten Stinkefingers des griechischen Finanzminister Gianis Varoufakis sei es Moderator Jan Böhmermann gelungen, „die Inszenierungsmechanismen der Boulevardindustrie zu entlarven“, lobte die Jury. Damit habe sich Böhmermann als „bester Medienkritiker Deutschlands qualifiziert“, sagte der Jury-Vorsitzende Hans Hoff. Für Böhmermann ist es der zweite Grimme-Preis.

Bis es so weit ist, dass Grimme-Direktorin Gerlach die Gewinner vorstellen kann, ist es ein langer Weg. Denn Vorschläge für preiswürdige Produktionen kann im Prinzip jeder machen. Aus diesen wählen dann die Nominierungskommissionen die Formate aus, über die die Jurys beraten. Insgesamt waren das in diesem Jahr 76 Produktionen und besondere Einzelleistungen aus mehr als 800 Einreichungen. Und so kommen Anfang Februar fünf Jurys in Marl zusammen. Es herrscht eine merkwürdige Atmosphäre in dieser Stadt, deren besten Zeiten schon lange hinter ihr liegen. Der „Marler Stern“, ein Einkaufszentrum neben dem Rathaus, ist Symbol dafür, dass man hier einst Großes vorhatte und nun mit der Realität einer sterbenden Stadt leben muss.

Mehrtägiger Bewertungs-Marathon

Doch vielleicht ist es deshalb genau das richtige Umfeld, um eine Woche lang fernzusehen. Und zwar von morgens bis abends. Jede nominierte Produktion wird erst geschaut und dann diskutiert, um im Anschluss in einem mehrstufigen Auswahlverfahren die Gewinner zu bestimmen. Es ist ein aufwendiger und langer Prozess, in dem die Jurys zum Teil auch heftig debattieren.

Der in diesem Jahr erstmals verliehene Preis für eine „Besondere journalistische Leistung“ zeichnet den Beitrag „Tödliche Exporte“ (SWR/BR) aus. Die Jury lobte die „außergewöhnliche investigative Recherche“ zum Thema illegaler Waffenhandel. Der Film von Daniel Harrich geht der Frage nach, wie es sein kann, dass demonstrierende Studenten in Mexiko mit deutschen Waffen erschossen wurden. Gefehlt hätten in diesem Jahr preiswürdige Beiträge zu den Themen Krieg und Rechtsextremismus, bedauerte der Jury-Vorsitzende Fritz Wolf.

Ebenfalls zum ersten Mal wird in der Kategorie Unterhaltung ein Innovationspreis verliehen. Er geht an das Format „Streetphilosophy“ (RBB/Arte). „In einer halben Stunde großen Philosophen oder großen Fragen nachzuforschen – das ist ungewöhnlich“, so das Juryurteil.

Die Auszeichnungen werden am 8. April 2016 im Theater der Stadt Marl verliehen.

Die Autorin war Mitglied der Jury „Information und Kultur“

Alle Preisträger

Fiktion/Spezial: Patong Girl (ZDF), Deutschland 83 (RTL), Weissensee (MDR / DEGETO), Weinberg (TNT Serie)

Information & Kultur/Spezial: Die Folgen der Tat (WDR / SWR / NDR), Göttliche Lage (WDR / ARTE), Marhaba – Ankommen in Deutschland (n-tv), Tödliche Exporte (SWR / BR), Vom Ordnen der Dinge (ZDF / ARTE)

Unterhaltung/Spezial/Innovation: #Varoufake der Sendung „Neo Magazin Royale“ (ZDFneo), Schorsch Aigner (WDR), Streetphilosophy (RBB / ARTE)

Kinder & Jugend/Innovation: Club der roten Bänder (Vox), ENE MENE BU (KiKA)Publikumspreis Marler Gruppe: Kunst und Verbrechen (ZDF/3sat)