In der Kölner Philharmonie spielte Gil Shaham Beethovens Violinkonzert. Der Auftritt dürfte schwer zu überbieten sein.
Gürzenich-KonzertEine Sternstunde dank Michael Sanderling und Gil Shaham
Am Schluss des zweiten Satzes von Beethovens Violinkonzert gibt es eine zauberhafte Stelle: Die Sologeige spielt ganz leise ihre Dreiklänge über dem ebenfalls in dreifachem pianissimo intonierten Motiv der Hörner. Dann fährt in diese Klangpoesie, die Überleitung zum Rondo startend, schroff das Orchester hinein – es ist wie das Erwachen aus einem schönen Traum. So muss man diese Peripetie allerdings auch spielen. Am Sonntag gelang das dem amerikanisch-israelischen Geiger Gil Shaham und dem Gürzenich-Orchester unter Michael Sanderling im philharmonischen Abokonzert ganz ausgezeichnet – mit beredter Eindringlichkeit und einer unabweisbaren szenischen Anmutung. Dabei zeitigte diese Passage nur einen von vielen schönen Augenblicken, die in der Summe die Interpretation dieses Renners im Konzertsaal zu einer Sternstunde werden ließen – in allen Belangen, auf allen Seiten.
Sanderling, beim Gürzenich-Orchester stets gern gesehener Gast, holte aus dem Werk heraus, was auf Anhieb kaum sein eigen zu sein scheint (weil etwa die Themen des ausufernden Eröffnungssatzes einander ziemlich ähnlich sind): kontrastintensive Dramatik. Das geschah zum Beispiel bei der Präsentation des zweiten Themas im Allegro ma non troppo, das zunächst mit lyrischer Noblesse, bei der Moll-Wiederholung aber fast schon wie ein aggressiver Militärmarsch einherkam. Und das dominante Klopfmotiv ließ an drohender Nachdrücklichkeit nichts zu wünschen übrig. Wie dann aus dem Quasi-Stillstand der Durchführung der Anlauf zur Reprise gelang, das hatte gleichfalls große Kraft und dramaturgische Intensität.
Gil Shaham war ein fabelhafter Partner mit beseeltem Ton und riesiger Ausdrucksbreite
Shaham war bei all dem ein fabelhafter Partner. Ein glasklarer, dabei stets vitaler und beseelter Ton mit strahlender Höhe und eine genau konturierte Phrasenführung, eine riesige Ausdrucksbreite zwischen beherztem Zugriff und poetischer Entrückung, ein schönes Gleichgewicht zwischen Zögern und Nach-vorne-Gehen, und das alles in vollendeter Kongruenz mit den Orchesterstimmen – diese souveräne Darbietung dürfte so schnell nicht zu toppen sein. Apart, aber auch ein bisschen merkwürdig muteten die zusätzlichen – teils paukenbegleiteten – Kadenzen im Finale an. Hatte man sich da von Beethovens eigener Klavierversion des Violinkonzerts inspirieren lassen? Als Zugabe steuerte Shaham mit herzlichem Gestus die unverwüstliche Gavotte en rondeau aus Bachs dritter Violinpartita bei.
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Das Orchester wartete am Morgen des Volkstrauertages mit blitzblankem Sound auf, den es dann nach der Pause auch in Schönbergs Bearbeitung von Brahms´ Klavierquartett opus 25 einbrachte. Solche Orchestrationen haben leicht etwas von Musik aus zweiter Hand, und es stellt sich immer die Frage, ob eine Originalkomposition nicht allemal besser wäre. Sie muss im vorliegenden Fall aber energisch verneint werden. Schönbergs Brahms-Version ist eben kein Aufguss, sondern trotz beibehaltener Originalnoten etwas völlig Neues, ein als Synthese überzeugender Hybrid aus Romantik und zweiter Wiener Schule.
Die Instrumentation, etwa die Verteilung des Klavierparts auf Melodieinstrumente, ist an Fantasie und Farbigkeit kaum zu übertreffen, auch übrigens an Detaildeutlichkeit nicht – man hört vieles genauer und präsenter als im Original. Brahms´ kompositorische Meisterschaft, die er selbst gerne versteckte, kommt hier so richtig heraus. Und der Schlusssatz, die in die ungarische Puszta entführt, offenbart sogar einen Humor, den man dem Mann, der angeblich niemals lachte, nicht unbedingt zutraut. Der Melodienschmelz der Geigen (und zumal der Bratschen), die Leuchtkraft und Präsenz der Bläser, insgesamt das von Synkopen befeuerte Pulsieren des Apparats – auch hier lief das Ensemble zu großer Form auf. Der Beifall war dann auch entsprechend.