Putlos – Der Panzer ist ein in der Kunstgeschichte eher vernachlässigtes Motiv. Spontan mag einen höchstens Neo Rauchs großformatiges Bild „Der Vorträger“ aus dem Jahr 2006 einfallen. Auf dem hilft eine männliche einer weiblichen Figur aus der Luke eines Panzers heraus, dessen Kanonenrohr von einer rosa-weißen Federboa umschlungen wird. Trotz seiner karnevalesken Verkleidung wirkt das Geschütz bedrohlich: Es zielt auf einen Bühnenmenschen, der gerade aus einem Buch vorträgt.
Aber dann findet man nach kurzer Internet-Recherche noch eine ganze Reihe von Ölgemälden und Aquarellen, in denen Maler – wie zum Beispiel der Ire William Orpen, der an der Somme gekämpft hatte – ihre Fronterlebnisse aus dem Ersten Weltkrieg verarbeiten: Panzer erscheinen in diesen Bildern zumeist als klobige Silhouetten die sich todbringend zwischen Beobachter und Landschaft schieben.
Der Flugabwehrpanzer Gepard, den der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz am Donnerstag mit Hilfe einer kleinen Leiter bestieg, erscheint im Vergleich zu solchen Bildern kaum beängstigend. Eventuell gerade weil ein eher kleiner, eher schmaler Zivilist im Anzug sichtlich gut gelaunt auf ihm herumklettert und er, der Gepard, damit automatisch als Museumsstück gelesen wird.
Tatsächlich hat die Bundeswehr den Panzer mit der Zwillingskanone bereits vor zwölf Jahren aussortiert und ihre Modelle an die Herstellerfirma Krauss-Maffei Wegmann zurückgeschickt. 30 Stück der ausgemusterten Kampffahrzeuge hat die Bundesregierung nun der Ukraine versprochen.
Auf dem Truppenübungsplatz Putlos in Schleswig-Holstein werden derzeit ukrainische Soldaten sechs Wochen lang am Gepard ausgebildet, von Firmenangehörigen des Rüstungskonzerns. Der Besuch des Kanzlers und insbesondere der viertelstündige Fototermin auf und vor Panzer (ins Innere des Gefährts, das Scholz auch besichtigte, folgte ihm kein Fotograf) sollte Deutschlands fortgesetzte Unterstützung veranschaulichen, der „Kanzler im Panzer“, wie etwa die „SZ“ halbreimend titelte.
Was schon Napoleon wusste
Freilich ist die Inszenierung solcher, um politische Wirksamkeit bemühter Bilder, keine einfache. Die Fallhöhe ist bei den gut drei Metern von Laufrolle bis Luke eine buchstäbliche. Um einen anderen Staatschef zu zitieren, der Russland die Stirn bieten wollte: „Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist es nur ein Schritt.“
Selbst Wladimir Putin, der sich bekanntlich gerne als Oben-ohne-Action-Man ablichten lässt, macht beim Panzer-Erklettern – wir haben gegoogelt! – keine besonders trittsichere Figur. Olaf Scholz aber, der laut eigenem Bekunden von solcher Symbolpolitik nicht allzu viel hält, hat sich verhältnismäßig gut gehalten. Auch wenn Bilder, die ihn am Anzugknopf nestelnd über dem phallisch aufgerichteten Geschützrohr stehend zeigen, selbstredend metaphorische Sprengsätze sind.
Bildgestalterisch interessanter ist aber die hier gezeigte Aufnahme des AFP-Fotografen Axel Heimken, die Scholz beim assistierten Abstieg vom Geschützturm zeigt. Allein schon, weil die abgebildeten Personen einen schön geschwungenen Bogen ergeben, der sich, bis zur Spitze der linken Kanone verlängert, als Goldene Spirale gemäß der mathematischen Fibonacci-Folge beschreiben lässt. Das verleiht dem Nachrichtenbild etwas Altmeisterliches.
Die Kunst und die Kriegskunst waren einst eng verwandt, Leonardo da Vinci nutzte den Goldenen Schnitt um das formschönste Abendmahl der Kunstgeschichte zu malen, aber gebrauchte seine rechnerischen und zeichnerischen Fähigkeiten auch, um allerhand todbringendes Kriegsgerät zu erfinden. Unter anderem findet man in seinen Notizbüchern auch den Entwurf zu einem, ja genau, Panzer. Mit Visierturm, widerstandsfähigen Metallplatten und die volle Reichweite von 360 Grad abdeckenden Geschützen.
Mittelalterliches Motiv nachgestellt
Es gibt aber noch einen anderen Grund, warum gerade das AFP-Foto so gelungen ist. Die Aufstellung der Figuren erinnert an ein berühmtes Motiv der mittelalterlichen bis barocken Malerei, das der Kreuzabnahme Jesu: Dem Kanzler wäre in dieser Deutung die Rolle des geopferten Heilands zugedacht, der Ausbildungsleiter sowie der CEO des Waffenherstellers Krauss-Maffei doubelten als Nikodemus und als Josef von Arimathäa, die ihrem gekreuzigten Erlöser dem Neuen Testament zufolge diesen letzten Liebesdienst erweisen.
Natürlich ist Olaf Scholz noch äußerst lebendig, aber sein Ritt auf dem Geparden, der mit einiger Verspätung die „Zeitenwende“ versinnbildlicht, von der er kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine sprach, muss ihm einiges abverlangt haben. Man stelle sich nur einmal Angela Merkel in derselben Position vor. Es ist undenkbar.
Ein deutscher Bundeskanzler auf einem Panzer, das gab es zuletzt Mitte der 1980er Jahre, als Helmut Kohl und Margaret Thatcher während einer Nato-Übung in Fallingbostel auf gemeinsame Panzerfahrt gingen, allerdings in einem britischen Challenger-Modell.
Die Premierministerin und der Kanzler feuerten damals sogar eigenhändig Sechs-Pfund-Übungsgranaten aus 1000 Meter Entfernung auf mittels eines Lasers fixierte Ziele ab. Es war der heiße Höhepunkt des Kalten Krieges. Olaf Scholz befindet sich noch in der Aufwärmphase.