Miriam Meckel und Léa Steinacker sind überzeugt, dass wir uns durch Künstliche Intelligenz wieder mehr aufs Menschsein konzentrieren.
Buchvorstellung auf der lit.CologneKI-Expertinnen Meckel und Steinacker: „KI ohne Darm hat keinen Charme“
Frau Meckel, Frau Steinacker, in ihrem Buch „Alles überall auf einmal“, das am 13. Februar im Rowohlt-Verlag erscheint, beschreiben Sie, dass wir durch Künstliche Intelligenz (KI) vor einem iPhone-Moment stehen, der die menschliche Evolution prägen wird. Hat Künstliche Intelligenz Ihnen beim Schreiben geholfen?
Miriam Meckel: Ich hatte erwartet, dass wir sehr viel mit KI machen würden. Und natürlich haben wir viel ausprobiert. Aber letztlich haben wir selbst geschrieben. Erstens, weil es Spaß macht. Zweitens, weil die Texte, die KI-Tools produzieren, zwar inhaltlich durchaus gut sind, aber nicht unseren individuellen Stil haben. Trotz aller Versuche ist es uns nicht gelungen, den mit ChatGPT umzusetzen.
Menschliche Autorinnen und Autoren wird es also auch weiterhin geben? Und die Zukunft von Literaturfestivals wie der lit.Cologne, auf der Sie am 6. März Ihr Buch vorstellen werden, ist nicht gefährdet?
Meckel: Nein, das wäre auch zu negativ gedacht. Da ist die Digitalisierung der Musikindustrie ein anschauliches Beispiel. Vinylplatten wurden von CDs abgelöst – als Spotify kam, gab es hysterische Diskussionen, ob jetzt jegliches Einkommen für die Musikerinnen und Musiker passé ist. Und plötzlich ist das Live-Konzert wieder auferstanden – erfolgreicher als je zuvor. KI wird uns in allem unterstützen und auch kreative Arbeiten wie das Schreiben erleichtern, aber dadurch wird auch die Besonderheit von menschlichem Werk stärker betont werden
Kürzlich veröffentlichten die Gema und ihr französisches Pendant Sacem eine Studie – laut der drohe ein erheblicher Verlust bei urheberrechtlichen Tantiemen durch KI. Vergangenes Jahr streikten auch die US-Drehbuchautorinnen und -autoren, um zu verhindern, von KI ersetzt zu werden. Wie berechtigt sind diese Sorgen?
Léa Steinacker: Wenn es darum geht, wie der kreative menschliche Anteil in so einem Prozess anerkannt und entlohnt werden kann, sind diese Sorgen schon berechtigt. Das, was die Drehbuchautorinnen und -autoren in Hollywood und den USA durchsetzen konnten, ist ein Beispiel dafür, wie wir diese Frage vielleicht zukünftig verhandeln sollten. In ihren Verträgen steht nun, dass KI ihnen nicht den Lohn wegnehmen darf. Eine sehr zukunftsorientierte Formulierung.
Die menschliche Komponente in der Wertschöpfungskette ist wichtig und muss auch entlohnt werden. Das sollte uns jetzt als Inspiration dienen, um die gesellschaftlichen Verträge neu zu verhandeln. Der Kreativität schadet KI dagegen nicht.
KI könnte neue Optionen für Künstlerinnen und Künstler schaffen
Wieso nicht? Glauben Sie, dass KI sogar förderlich für Kreativität sein kann?
Steinacker: Ja. Björn Ulvaeus hat mir mal erzählt, dass er mit ABBA schon immer sehr viel fortgeschrittene Technologie bei der Musikproduktion benutzt hat. Für ihn als Musiker und Künstler war sie immer eine Chance. Sie war immer auch Teil des Erfolgs von ABBA. Mit ihrer Avatar-Show in London haben sie sogar noch mal einen obendrauf gesetzt, indem sie eine Mischung aus der menschlichen Komponente, dem Live-Erlebnis und eben modernster Technologie geschaffen haben. Ich habe die Show gesehen und fand sie wirklich spannend.
Meckel: Ein anderes Beispiel ist Grimes, die Ex-Frau von Elon Musk. Sie hat KI zu einem Geschäftsmodell gemacht. Grimes hat einen musikalischen Avatar von ihrer Stimme erschaffen. Den kann jeder für eigene Kompositionen nutzen, muss aber eben auch dafür zahlen.
Für die Kreativbranche ist es wichtig, sich mit diesen Tools und ihren Möglichkeiten intensiv auseinanderzusetzen. Denn durch KI können auch ganz neue Optionen einer „Misch- oder Komplementär-Kreativität“ aus Mensch und Maschine entstehen. Die findet man aber nur, wenn man sich darauf einlässt.
Kann bei dieser Misch-Kreativität überhaupt unterschieden werden, was aus der Feder von Menschen, was von Maschinen stammt?
Meckel: Man kann zumindest feststellen, ob ein Mensch am kreativen Prozess beteiligt ist. Das ist ja auch der Ansatz des Hollywood-Vertrages. Wenn ein Mensch beteiligt ist, muss sein Anteil berücksichtigt und entsprechend vergütet werden.
Steinacker: Außerdem wird die menschliche Rolle im Delegieren an die Maschinen immer wichtiger werden. Es wird sicherlich Menschen geben, die in einer Organisation genau für diesen Workflow zuständig sind. Denn wenn die Mensch-Maschinen-Interaktion nicht gut läuft, wird auch das Ergebnis nicht gut.
Menschengemachte Kunst wird zukünftig zum „Premium-Produkt“
Der Neurowissenschaftler Boris Konrad behauptete in einem Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, dass nichts dagegenspreche, wenn KI uns zukünftig viel abnimmt. Auch wenn das bedeutet, dass etwa Synchronsprecher irgendwann obsolet werden. Wie stehen Sie dazu?
Meckel: Ich finde das schon problematisch – auch wenn KI natürlich in diesen Bereich eingreifen wird. Die ersten Beispiele, wie KI mit der eigenen Stimme trainiert werden kann, gibt es bereits. Die Ergebnisse sind beeindruckend. Auch hier brauchen wir Lizensierungsverträge, um den „Stimmurheber“ entsprechend zu entlohnen.
Steinacker: Es mag sein, dass wir uns bald generische Nachrichten von einer KI-Stimme vorlesen lassen werden, vielleicht sogar in der Stimme einer gewissen Person. Trotzdem wird es einen Unterschied machen, ob diese Person wirklich da ist, ich beispielweise bei einer Live-Lesung dabei bin. Dann wird die menschliche Variante ein „Premium-Produkt“ sein. Denn es ist ein ganz anderes Erlebnis, ob man eine künstlich produzierte Stimme hört oder den tatsächlichen Menschen dahinter erlebt. Es wird beides geben, aber der Anwendungsfall wird einen Unterschied machen.
Durch diese neuen KI-Werkzeuge entsteht auch die Möglichkeit, Stimmen von bereits Verstorbenen wieder zum Leben zu erwecken. Zum Beispiel bei der neuen Pumuckl-Serie, bei der durch KI Hans Clarin wieder die Titelfigur spricht. Theoretisch wäre ein brandneuer Song von Elvis also auch denkbar, der aber ja kein Mitspracherecht bei Text oder Musik hat.
Steinacker: Wir werden die ethischen Grenzen vor allem beim Thema Zustimmung in vielen Fällen neu ziehen müssen. Das gilt auch für Videos. Noch nie gab es die Möglichkeit, sich so passgenau ein bewegliches visuelles Konterfei zu erstellen. Deshalb sollten wir uns über neue Beweispflichten für die Authentizität der Person Gedanken machen.
Gefühle und Intuition statt Maschinen – dank KI zurück zum Menschsein
Das Menschliche bekommt durch KI wieder einen neuen Stellenwert. Gleichzeitig stellt sie gewissermaßen unser Menschsein infrage. Was macht uns Menschen eigentlich aus und was grenzt uns aktuell – und auch zukünftig – von der Maschine ab?
Steinacker: Das kann man ganz gut mit einem Satz zusammenfassen: KI ohne Darm hat keinen Charme! Wir Menschen sind nicht nur denkende Wesen, ein kognitives System, sondern auch ein Haufen Biologie. Da gibt es bei vielen ein grundsätzliches Missverständnis in der Tech-Szene. Die versucht schon lange, durch KI hauptsächlich die Prozesse im Gehirn nachzuahmen. Dabei haben wir bis jetzt weitgehend verkannt, dass wir ein zweites Gehirn haben – nämlich den Darm.
Der spielt bei der Produktion und Verbreitung von Hormonen und Neurotransmittern im Körper eine große Rolle. Die wiederum sind ein wichtiger Bestandteil unseres Bewusstseins, machen unsere Launen und unsere Wahrnehmung aus. Sie beeinflussen unser gesamtes Gefühl des menschlichen Daseins. Unser menschliches Bewusstsein kann man daher als Alleinstellungsmerkmal sehen.
Meckel: Wir Menschen sind seit einiger Zeit dabei, uns selbst zu „maschinisieren“. Wir versuchen immer effizienter, schneller und regelhafter zu werden. Wie langweilig! Nutzen wir doch die KI, um all das erledigen zu lassen und konzentrieren uns darauf, was uns als Menschen so besonders macht: Gefühle und Intuition.
Unser Leben beruht auf einem komplexen Zusammenspiel von Hormonen, Neurotransmittern, unserem Gehirn und unseren Sinnen. Das soll erst einmal jemand in Robotern nachbauen. Und vielleicht müssen wir das auch gar nicht schaffen. Es ist doch schön, auch mal innezuhalten und sich darauf zu besinnen, wie sich KI und Mensch ergänzen können.
Dank KI könnten wir zukünftig weniger arbeiten – aber trotzdem produktiv sein
All die Sorgen und Ängste, dass Künstliche Intelligenz etwa die Kunstschaffenden ersetzt, sind also unberechtigt und KI wird uns sogar dabei helfen, dass Menschen wieder mehr Mensch sein können?
Steinacker: Vor allem, wenn man die Offenheit und Neugier hat zu lernen, wie mit ihr umzugehen ist. Eine Studie der Harvard Business School hat kürzlich sehr schön gezeigt, dass KI im Arbeitsfluss bei individuellen Kreativaufgaben helfen kann. Bei kollektiven Kreativaufgaben kann sie aber auch zu monotoneren Ergebnissen führen. Das zeigt uns wunderbar, wann die KI hilft und wann eine Gruppe Menschen viel kreativer und dabei effizienter ist.
Wir müssen also ganz genau hinschauen: gar nicht auf der Ebene von Arbeitsplätzen, sondern ganz konkreten Arbeitsaufgaben. Die meisten von uns werden im Arbeitsalltag viele Aufgaben durch KI komplementieren können. Das bedeutet jedoch nicht, dass unser ganzer Job wegfällt. Diese Unterscheidung müssen wir vornehmen, dann kann KI als Werkzeug uns im Arbeitsalltag wirklich helfen. Sie sorgt womöglich dafür, dass wir etwas weniger arbeiten müssen und trotzdem sehr produktiv sind.
Meckel: Das ist auch ein wichtiges Argument gegen die These, dass KI die Menschheit ausrotten wird. Das ist – Verzeihung – Bullshit! Wir müssen uns wirklich dumm anstellen als Menschheit, wenn sich diese Gefahr manifestieren soll. Und dann haben wir uns unser Ende auch redlich verdient. Wir wären dann nur eine Zwischenstufe der Evolution gewesen und mussten Tschüss sagen, weil wir nicht anpassungsfähig waren.
Expertin erwartet spannende Zeiten: KI-Assistenten könnten schon bald ganze Reisen buchen
Das lassen sich viele vielleicht auch von dystopischen Science-Fiction-Szenarien inspirieren. Aber, um mal bei der Realität zu bleiben: Auf welche Entwicklungen können wir uns in naher Zukunft denn bei KI wirklich einstellen und vielleicht sogar freuen?
Meckel: Ein interessanter Trend sind sogenannte Large Action Models. Das sind personalisierte KI-Agenten, die nicht nur Bilder und Texte kreieren, sondern ganze Erledigungsstränge ausführen. Mit nur einer Anfrage können Sie beispielsweise eine ganze Reisen buchen. Am Ende gibt es nur noch die Bestätigung meines Hotels, meiner Tickets und für alles, was ich vor Ort machen will. Dann werden meine Zahlungssysteme mit meinem Assistenten verbunden sein. Das wird dann noch mal eine andere Welt als die, an die wir uns gerade zu gewöhnen versuchen.
Dann werden bestimmt neue Sorgen und neue Ängste auftreten. Ist das ein normaler Teil des Prozesses?
Meckel: Ja, wir als Menschheit sind im Moment in einem evolutionären Aushandlungsprozess mit der KI – und mit uns selbst. Der wird immer wieder neue Fragen aufwerfen. Und wir müssen immer wieder neue Antworten darauf finden. Ich finde das persönlich wirklich inspirierend. Ich bin neugierig auf die Zukunft. In so einer Zeit zu leben ist doch spannend, oder nicht?
„Alles überall auf einmal“ erscheint am 13. Februar beim Rowohlt-Verlag (400 Seiten, 26 Euro). Miriam Meckel und Léa Steinacker werden ihr Buch bei einer Lesung in der Kölner Flora im Rahmen der lit.Cologne am 6. März vorstellen. Einige wenige Tickets (ab 18,35 Euro) sind noch verfügbar unter litcologne.de
Zu den Personen
Miriam Meckel ist Professorin für Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen. Sie war Chefredakteurin und Herausgeberin der „Wirtschaftswoche“, zudem Staatssekretärin für Medien und Internationales in Nordrhein-Westfalen.
Léa Steinacker ist Sozialwissenschaftlerin und Unternehmerin, studierte in Princeton und Harvard und promovierte an der Universität St. Gallen über die sozialen Auswirkungen von künstlicher Intelligenz. Als Journalistin schrieb sie unter anderem für die „Wirtschaftswoche“.
Meckel und Steinacker gründeten 2019 gemeinsam „ada Learning“, eine Weiterbildungsakademie für Zukunftskompetenzen.