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Frank Peter Zimmermann in der PhilharmonieWem da nicht das Herz aufgeht, der hat keines

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Frank Peter Zimmermann sitzt mit Geige auf einem Stuhl.

Der Kölner Violinist Frank Peter Zimmermann trat mit den Wiener Philharmonikern in der Kölner Philharmonie auf.

Der Kölner Violinist und die Wiener Philharmoniker bescherten Elgars Violinkonzert einen glorreichen Abend in Köln.

Ähnlich wie Sibelius, der finnische Zeitgenosse, ist Edward Elgar, Englands bedeutendster Komponist zwischen Purcell und Britten, bis zur Stunde im Deutschland nicht wirklich heimisch geworden. Viele Musikfreunde dürften Schwierigkeiten haben, Kompositionen aus seiner Feder jenseits von „Pomp und Circumstance“ und „Enigma-Variationen“ zu benennen. Das erstaunt umso mehr, als gerade in Deutschland einst viel dazu beigetragen wurde, Elgar auch in seinem Heimatland populär zu machen. Die britische Uraufführung des Oratoriums „The Dream of Gerontius“ war eine Pleite gewesen, erst die aufsehenerregende Düsseldorfer Produktion unter dem Elgar-Fan Julius Buths ebnete Werk und Meister auch auf der Insel im Sinne eines Re-Imports den Weg nach oben.

Der Erste Weltkrieg ließ die starke Verbindung freilich platzen, später mochte dann die so einflussreiche wie harsche Kritik Adornos an einer „reaktionären“ Spätromantik à la Sibelius und Elgar einer unbefangenen Rezeption gerade in Deutschland im Weg stehen. Während freilich ausgerechnet das Violinkonzert von Sibelius selbst hierzulande ein Renner ist, spielt das Elgar’sche Schwesterwerk aus dem Jahre 1910 auf unseren Konzertpodien so gut wie keine Rolle. Das ist bedauerlich, denn unabhängig davon, dass Daniel Harding am Pult der Wiener Philharmoniker als Brite diesbezüglich ein gewisses Sendungsbewusstsein haben mag – es ist das Werk selbst, das in seiner Substanz überzeugt. Dass ihm in der (endlich mal wieder weithin ausverkauften) Kölner Philharmonie auch dank des Kölner Stargeigers Frank Peter Zimmermann jetzt eine ziemlich glorreiche Aufführung zuteilwurde, konnte diese Überzeugung noch beflügeln.

Als Brite hat Daniel Harding am Pult der Wiener Philharmoniker wohl ein gewisses Sendungsbewusstsein

Klar, das Stück ist auch ein – Spieler wie Zuhörer fordernder – „Schinken“: opulent, lang, satt und sättigend, in seiner spätzeitlichen Überreife auch irgendwie narkotisierend. Aber hier wird nicht einfach nur dick aufgetragen: Elgars an Brahms geschulte Motiv- und Themenentwicklung ist exakt und genau konzipiert, die aufsteigende Folge von Sekund und Terz etwa prägt die komplette Verlaufsform, und wenn im Finale das schwelgerische Seitenthema des ersten Satzes wiederkehrt, dann wird damit eine zyklische Rundung vom Feinsten erzielt.

Sicher hatte der Solist zuweilen Mühe, sich gegen den üppigen und alles andere als „begleitenden“ Instrumentalapparat zu behaupten – was gleichfalls auf Elgars, nicht auf Zimmermanns Konto geht. Und die Motiv-Dialoge zwischen Solo und Orchester, von ihm immer wieder erkennbar getriggert, gingen in der allgemeinen Fülle auch leicht unter. Ansonsten ließ sich der Geiger nicht lange bitten. Zimmermann weiß natürlich, dass hier mit einem „sachlichen“ Vortrag nichts zu gewinnen ist. Da dürfen nicht nur, da müssen die saftigen Kantilenen in üppiger Rubato-Dichte erblühen, die höchsten Lagen glänzen, muss die Stradivari auch im pianissimo stark und intensiv klingen. Allemal schaffte es der Solist, nicht in den Kitsch abzugleiten (eine Gefahr, die immerhin bestehen mag). Der Balance kam in jedem Fall zugute, dass er die spielerisch-virtuosen Ausbrüche mit betont leichter Hand und makelloser Tonreinheit inszenierte.

Das Orchester hat Elgar zweifellos nicht alle Tage auf den Pulten, aber mit dem Idiom dieser Musik ist es im Prinzip vertraut. Das merkt man in jedem Takt: Die kontrollierte Schönheit des Gesamtklangs, das Gleichgewicht von warmer Fülle und Differenzierung der Partiturschichten – hier können die Wiener getrost die Qualitäten abrufen, die sie sich im Umgang mit Brahms und Strauss seit Urzeiten erworben haben. Die Hornsoli, die Streicherkantilenen – wem da als Hörer nicht das Herz aufgeht, der hat keines.

Nach dem schier Unbekannten das (vielleicht allzu) Bekannte: Dvoráks neunte Sinfonie (die von Elgars Konzert übrigens nur 17 Jahre trennen). Auch da wurde man allerdings gezwungen, konzentriert zuzuhören – was zweifellos nicht nur das Verdienst der Gäste, sondern auch das ihres Dirigenten war. Harding entwarf die „neue Welt“ nicht als einen Reigen schöner Melodien, sondern als einen dramatisch pulsierenden, in steter Bewegung befindlichen Kosmos. In diesem Sinne wurden auch die rhythmischen Gegenläufigkeiten angeschärft, bekam sogar der synkopische Einsatz der Triangel seinen genauen und als solcher wahrnehmbaren Sinn. Ein paar flackernde Einsätze und kurze flaue Strecken gab es auch, aber das fiel nicht ins Gewicht. Hardings Crescendi mochten übrigens zugleich als strettahafte Beschleunigungen erscheinen. Da war wohl eine Täuschung am Werk, die indes auf den hochgradigen energetischen Input verwies, der die Aufführung permanent unter Strom hielt.

Buchstäblich elektrisierend ging es dann mit der Zugabe zu Ende, mit der die Wiener in Köln gleichsam nach Hause gingen: mit der Elektro-Magnetischen Polka opus 110 des jüngeren Johann Strauß.