- Helge Schneider tritt seit Dutzenden Jahren in der Kölner Philharmonie auf.
- Verändert haben sich dabei eigentlich nur die Lieder. Die Unberechenbarkeit ist auch heute noch das, was die Schneider-Show so unterhaltsam macht.
- Ein Drahtseilakt zwischen Halbwitzen, Jazz-Soli und improvisierten Monologen.
Köln – Hochrot lachend beugt sich Thomas Alkier über seine Floortom. Der versierte Jazz-Schlagzeuger hat schon in jungen Jahren mit Größen wie Charlie Mariano, Dizzy Gillespie und Volker Kriegel gespielt. Und er ist auch auf Helge Schneiders Debütalbum zu hören, „Seine größten Erfolge“, erschienen 1990. „Spitzen-Schlagzeug: jeder Schlag trifft eine Trommel“ hat Schneider, der damals als „singende Herrentorte aus dem Ruhrgebiet“ seinen späten Durchbruch erlebte, in den Linernotes zum Stück „Gefunkt“ vermerkt.
Kölner Philharmonie: Helge Schneider meistert Drahtseilakt
Jetzt schlägt Alkier in der Kölner Philharmonie also 30 Jahre später erneut die Trommel, als Teil von Schneiders aktueller, ausgezeichneter (und laut Schneider jederzeit auswechselbarer) Begleitband The Helges, zu der noch der Bassist Ira Coleman und Henrik Frischlader an der E-Gitarre gehören. Er schlägt sie einmal mehr zu Schneiders eckigem Elektroinstallateurs-Funk, der bereits 1986 — im Eröffnungsjahr der Philharmonie — in Werner Nekes Kultfilm „Johnny Flash“ Premiere gefeiert hatte, in einer übrigens recht schlapp dahergeorgelten Version von Schneiders Schlager-Alter-Ego Roy Kabel. Es ist also eine Menge Zeit vergangen. Aber Alkier lacht noch immer, schüttelt sich ob der Schneider‘schen Monologe, als hörte er sie zum ersten Mal.
Und so geht es ja auch den rund 2000 Zuschauern in Köln — Samstags- und Sonntagabend folgen jeweils nochmal so viele — von denen wohl nur die Jüngsten Helge Schneider zum ersten Mal erleben: Sie lachen, als träfe sie dessen höherer Blödsinn im Stadium humoristischer Jungfräulichkeit. Dabei weiß doch jeder Zuschauer ganz genau, wie eine Schneider-Show abläuft (der diesjährige Tournee-Gaga-Titel lautet „Die Wiederkehr des blaugrünen Smaragdkäfers“), nämlich unberechenbar. Man verfolgt sie im Augenblick ihres Entstehens, ein immer wieder umwerfender Drahtseilakt.
Musikalisiertes Denken von Helge Schneider
Hegel konnte sich bekanntlich bei der Musik nichts denken, Helge aber hat das Denken musikalisiert. Seine Bühnenmonologe improvisieren frei über die immer gleichen Themen, scheuen weder Geräusch, noch Abschweifungen, die zielsicher in Sackgassen führen. „Komik, eine Zweigstelle der Philosophie“ hat der Filmemacher und Autor Alexander Kluge jüngst einen Abend getauft, zu dem er auch seinen langjährigen Mitstreiter Schneider geladen hatte.
Vielleicht ist es aber auch genau andersherum, und die tiefsten Erkenntnisse zum Wesen des Daseins entstehen beim Free-Jazz-Geblödel, dessen Ornette Coleman natürlich Helge Schneider ist.
Am tolldreistesten ist dessen Drahtseilakt, wenn er über fast gar nichts spricht, wenn er zum Beispiel Schritt für Schritt beschreibt, wie ein Arbeiter morgens seiner Frau beim stundenlangen Milchsuppenkochen zuschaut, oder wie er, Schneider, sich selbst ein Ei kocht, oder Reis im Plastikbeutel. Wenn er am Ende eines solchen Selbstgespräches dann seufzend feststellt, dass Eierkochen auch nicht mehr das ist, was es einmal war, dann meint der Komödiant wohl eigentlich den Verlust der leeren Zeit, des von keiner Push-Benachrichtigung unterbrochenen Alltagsleerlaufs. Kurz, eine Zeit, in der das reine Dasein noch zu spüren war.
Eine Fülle von Gesten und Halbwitzen
Schneider wird dieses Jahr 65 Jahre alt, ist das also nur ein Fall von analoger Altherren-Nostalgie? Zumal er ja beständig eine längst untergegangene, bundesrepublikanische Welt aus Fernsehnachmittagen mit Karel Gott und trüben Fußgängerzonen mit Eduscho-Filialen beschwört? Einmal spielt er an der Farfisa-Orgel immer wieder die Mainzelmännchen-Melodie nach, als Ground Zero kindlicher Fernsehunterhaltung.
Doch was man angesichts der digital zerhäckselten Aufmerksamkeitsökonomie verliert, beziehungsweise längst verloren hat, das merkt man spätestens am Morgen nach dem zweieinhalbstündigen Zeittotschlagen mit Schneider: Eine solche Fülle von Gesten, Halbwitzen, Betonungen, musikalisch erfüllten und absichtsvoll vergeigten Momenten stürmt da auf einen ein, dass es beinahe unmöglich scheint, hier etwas als besonders gelungenen Geniestreich hervorzuheben.
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War es die Erzählung vom „Lonely Pony“, das sich an Kasseler mit Sauerkraut überfressen und von einem zufällig des Weges kommenden Arzt gerettet wurde, die nach jeder Halbstrophe von einem Morricone-mäßigen Vuvuzela-Solo von Carlos Boes ins Breitwandformat geblasen wurde, der dazu, kaum, dass er links von der Bühne abgegangen war, schon wieder zu deren Mitte zurück eilen musste? Oder die Schilderung einer gemeinsamen Kaffeefahrt mit Duke Ellington nebst dessen Mutter, die Schneider dann zu der sicherlich in diesem Moment erfundenen Kindheitserinnerung führt, wie er als Vierjähriger eine alte Dame vorm Tod durch eine schmorende Heizdecke bewahrt habe — und das Publikum zu der Erkenntnis, dass angebrannte Omas nach Würstchen riechen? Und das alles nur, um eine zuerst forsch auf dem Vibraphon angeschlagene, dann wundervoll ausgeschmückte Version von Ellingtons „Mood Indigo“ anzusagen?
Längst nutzt Helge Schneider den eigenen Backkatalog wie Jazz-Standards, über die er dann, Vokuhila-perückt wie in seinen Anfangstagen, nach Lust und Laune improvisiert. Wer einfach nur „Katzeklo“, „Es gibt Reis, Baby“ oder die „Wurstfachverkäuferin“ hören wollte, wird schließlich auch bedient. Aber wie!