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Kölner PhilharmonieCecilia Bartoli rührt das Publikum zu Tränen

Lesezeit 4 Minuten
Cecilia Bartoli schwarz gewandet als Orfeo und Mélissa Petit als Euridice in Weiß.

Cecilia Bartoli (l.) und Mélissa Petit gastierten mit „Orfeo ed Euridice“ in Köln

Die Star-Sängerin gastierte in Köln mit einer halb-szenischen Aufführung von Glucks „Orfeo ed Euridice“. Unsere Kritik.

Es war nicht die einzige, wohl aber die spektakulärste Überraschung der halb-szenischen Aufführung in der Kölner Philharmonie: Entgegen Glucks Original, das auch in der hier präsentierten, ohne Akteinteilung durchgespielten Fassung von „Parma 1769“ das gattungstypische Happy End vorsieht, endete die halb-szenische Aufführung seiner berühmtesten Oper, „Orfeo ed Euridice“, in rabenschwarzer Finsternis: kein Preis des Gottes Amor am Schluss, sondern die verlöschende Wiederholung des einleitenden Trauerchores im sich verdunkelnden Saal. Euridice ist endgültig tot, weil Orfeo sich entgegen dem göttlichen Gebot bei der Rückkehr aus dem Hades nach ihr umgeschaut hat. Und Orfeo wohl auch, im Selbstmord geendigt.

Tatsächlich kehrt die – hier den Verhältnissen auf dem Philharmonie-Podium angepasste – Produktion von den Salzburger Pfingstfestspielen 2023 mit dem Chor Il Canto di Orfeo (!) und dem Orchester Les Musiciens du Prince aus Monaco unter Gianluca Capuano zur antiken Stofftradition mit jenem tragischen Ende zurück, das dem Aufklärungszeitalter dann unerträglich war. Allerdings wirkt Glucks „fine lieto“ mit dem Deus-ex-machina-Effekt seit jeher irgendwie aufgesetzt und unecht, Gluck scheint in der alternativen Version sozusagen zu seinen eigenen besseren Möglichkeiten zurückzufinden. Auf der anderen Seite hängt nun die festlich-„positive“ Ouvertüre gleichsam in der Luft – es sei denn, man deutet sie nicht als Hinweis auf den guten Ausgang, sondern auf das Freudenleben des Liebespaares im thrakischen Hain, bevor Euridice dem fatalen Schlangenbiss zum Opfer fällt.

Der Zuhörer vergaß die Differenz von Sängerin und Rolle auf eine Weise, die ihn zum Taschentuch greifen ließ

Aber auch sonst begegneten etliche neue Lesarten der Partitur. Der Super-Hit des Werkes, Orfeos Klage „Che farò senza Euridice“ nach dem definitiven Verlust der Geliebten, kam jetzt nicht, wie üblich, im getragenen Larghetto, sondern in einem verzweiflungsvollen Agitato. Erst die zweite Wiederholung des Refrains brachte diesen dann so, wie man es gewohnt ist. Nicht nur hier, aber hier eben auch lief Cecilia Bartoli, die in einen schwarzen Hosenanzug gekleidete Hauptattraktion des Konzerts, musikalisch und darstellerisch zu Höchstform auf. Es geht ja nicht einfach darum, dass jemand beim dritten Mal langsamer und leiser singen muss. Es geht um den schließlich völlig nach innen gewandten Schmerz, der als solcher glaubwürdigen Ausdruck gewinnen muss. Das gelang Bartoli auf eine wahrlich zu Herzen gehende Weise. Da konnte der Zuhörer die Differenz von Sängerin und Rolle auf eine Weise vergessen, die ihn zum Taschentuch greifen ließ.

Beim Sotto voce der zweiten Wiederholung war auch vom hochdramatisch-expressiven Druck anderer Szenen – nahezu quälend in ihrer Intensität die Unterweltszene mit der heimkehrunwilligen Euridice – nichts mehr zu spüren. Und allemal faszinierend ist, wie die Stimme auch dann, wenn sie sich eher zu verhehlen denn mitzuteilen scheint, trägt und den Raum füllt.

Bartolis Mezzo klingt in der Altlage und in der Höhe gleich unangestrengt und füllig

Phrasenführung, Detailgestaltung, Abstufungsnuancen – all das gelingt dem sympathischen Star mit einer Eindringlichkeit, die über die Jahre nicht nachgelassen hat. Was auffällt, ist der immer wieder kaum überbrückte Bruch zwischen den Stimmlagen: Bartolis Mezzo klingt in der Altlage und in der Höhe gleich unangestrengt und füllig, aber dazwischen gibt es keine Vermittlung. Hört man ihr „Oben“ und „Unten“ gleich hintereinander, möchte man es spontan nicht für möglich halten, dass da dieselbe Sängerin am Werk ist.

Klar, dass es die Sopran-Partnerin (als Amor und Euridice) neben der eben sturmwindartig präsenten Bartoli schwer hat. Die (rollenangemessen weißgewandte) Französin Mélissa Petit stemmte die schwere Aufgabe bei ihrem Philharmonie-Debüt indes mit der Bravour eines unverbrauchten jugendlichen Strahlens. Eine fabelhafte Kombination.

Partiturbedingt stark gefordert ist der Chor, dessen Mitglieder sich wiederholt leuchtenbewehrt über das Podium bewegten oder unter die Orchestermusiker mischten. Auch er setzte ein Merkmal dieser Produktion opulent und nachdrücklich um: die extrem klaffenden Gegensätze zwischen Klängen nahe der Stille und einem schon schmerzhaften Sich-Aufbäumen mit drastischer, teils zischender Artikulation.

Viel Gutes taten schließlich Capuano und das Originalklang-Ensemble der Musiciens du Prince für die charakteristische Klangwerdung der unterschiedlichen – und von Gluck auch so bezeichneten – Sphären. Hier etwa die Aggressivität des Furientanzes mit Hörner-Invektiven wie Ohrfeigen, dort, in der Geigenbewegung, das sanfte Fließen der Bäche in den elysischen Gefilden – da gerieten Stimmungsbilder von fast magischer Suggestivität. Nur das Hammerklavier störte etwas mit seinen zuweilen arg aufdringlichen Einlassungen. Wie auch immer: Am Schluss erhoben sich die Besucher begeistert. Zu Recht: Die Qualität dieses halbszenischen „Orfeo“ toppt viele Produktionen an etablierten Opernhäusern.