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Reinoud Van Mechelen in der Kölner PhilharmonieSo knüpft man an eine Pariser Opern-Legende an

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Reinoud van Mechelen

Reinoud van Mechelen

Der Tenor Reinoud Van Mechelen sorgte in der Kölner Philharmonie für einen großen Abend - und knüpfte dabei an den Mythos eines historischen Sängers an.

Gut zwei Jahrzehnte lang, von 1733 bis 1755, zählte der Tenor Pierre de Jéliote zu den großen Stars der Pariser Oper. Die Zeitgenossen bewunderten ihn für seinen großen Tonumfang und sein schönes Timbre; als er seinen Abschied von der Bühne nahm, ging geradezu eine Schockwelle durch die Szene. In der Kölner Philharmonie unternahm der belgische Tenor Reinoud Van Mechelen eine Annäherung an den legendären Sänger, die sich - sinnig unterteilt in die Stationen seiner Karriere - zu einem klingenden Lebensbild weitete.

Kölner Philharmonie belebt weltberühmten französischen Tenor neu

Der Mythos historischer Sängerpersönlichkeiten beruht ja nicht zuletzt darauf, dass niemand genau weiß, wie sie gesungen haben. Und vermutlich würde man angesichts einer über die Jahrhunderte hinweg veränderten Stilistik hier auch manches eher befremdlich finden. Ein einigermaßen zuverlässiges Zeugnis geben immerhin die Werke, die für sie geschrieben wurden. Im Falle Jéliotes wird man hier besonders bei Jean-Philippe Rameau fündig, der dem Tenor etliche Rollen in die geläufige Stimme komponierte.

Pierre de Jéliote war ein „Haute-Contre“, ein fest mit der französischen Barockoper verbundener Stimmtypus, der sich durch eine besondere Beweglichkeit und Leichtigkeit in der Höhe auszeichnete. Es war gewissermaßen die französische Antwort auf die italienische Kastratenpraxis - wobei hier die besondere Färbung nicht durch einen operativen Eingriff, sondern eine ausgefeilte Stimmtechnik erzielt wurde.

Reinoud Van Mechelen sorgt für einen großen Abend in Köln

Reinoud Van Mechelen hat sich diese Technik auf eindrucksvolle Weise zu eigen gemacht: Wenn er in einer Arie aus Rameaus „Le Temple de la Gloire“ von zwei Flöten begleitet den Gesang der Vögel imitierte, dann konnte man etwas von der Faszination nachvollziehen, den eine solche schwerelos schwebende Klangqualität auf Jéliotes Publikum ausgeübt haben muss. Nicht minder überzeugend agierte Van Mechelen aber auch da, wo es auf gemeißelte Deklamation und dramatische Koloratur-Wucht ankommt, so etwa in François Rebels „Muses, je viens encore“. Man fragte sich indes, ob dem großen Vorgänger angesichts solcher sängerischen Kraft und Verve nicht der Puder von der Perücke geflogen wäre.

Reinoud Van Mechelen gestaltete dieses über fast 100 pausenlose Minuten gespannte Programm in all seinen Wechseln zwischen den Stimmregistern und Seelenzuständen mit bewundernswerter Konzentration und Kondition - und das nicht nur sängerisch, sondern auch bei der Leitung seines tüchtigen Barockensembles „a nocte temporis“. So festgeschraubt diese Musik in ihren Manieren, Ornamenten und Kadenzformeln auch zuweilen scheinen mag - hier war immer Raum für das Individuelle und Charakteristische, für das plastische Rollenportrait und die feine emotionale Schattierung. Ein großer Abend.