Das Gürzenich-Orchester trat in der Kölner Philharmonie mit dem Dirigenten Ivor Bolton auf. Sie führten Werke von Haydn, Britten und Beethoven auf.
Andrew Staples in der Kölner PhilharmonieGürzenich-Orchester lässt sich nicht nervös machen
Wer aus Schalldokumenten die Stimme von Benjamin Brittens bevorzugtem Gesangsinterpreten und Lebenspartner Peter Pears kennt, konnte am Sonntag in der Kölner Philharmonie gleichsam ein Déjà-vu mit den Ohren erleben. Der Tenor Andrew Staples, Landsmann des Komponisten, sang dort im Gürzenich-Konzert dessen hierzulande selten gespieltes und gehörtes „Nocturne“ opus 60 – de facto einen durchkomponierten Liederzyklus auf englische Gedichte, die thematisch um die Schönheiten und noch mehr die Abgründe der Nacht kreisen.
Und siehe da: Staples verfügt nicht nur über ein kristallklares, in der Klang- und Farbengebung außerordentlich bewegliches, Lyrisches und Szenisches genau differenzierendes, auch im pianissimo substanzreiches und tragendes Organ, sondern eben auch über ein Timbre, das dem von Pears verblüffend ähnelt. Das ist genauso weit weg von den Stentor-Tenören der kontinentalen Wagner-Tradition wie von der demonstrativen Belcanto-Brillanz der lateinamerikanischen Vertreter des Stimmfachs in unseren Tagen. Britten wäre, so darf man vermuten, mit dieser Vorstellung seiner Musik sehr einverstanden gewesen.
Das Kölner Gürzenich-Orchester bleibt trotz Ivor Boltons Dirigat ruhig
Am Pult des an diesem kalten Herbstmorgen in allen Belangen gut disponierten und blitzblank aufspielenden Orchesters (ein besonderes Lob gebührt den Bläsern, die gerade bei Britten immer wieder exquisite Glanzlichter auf den Streicherteppich setzten und damit die intensiven nächtlichen Naturbilder der Partitur ins rechte Licht rückten), stand mit dem illustren Barock- und Klassik-Experten Ivor Bolton ebenfalls ein Brite.
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Bei der Arbeit schaut man dem eine verschrobene Liebenswürdigkeit ausstrahlenden Künstler besser nicht zu: Bolton ist kein Mann eines mechanischen Durchschlagens, aber er ruckelt, fuchtelt und wackelt kleinteilig in einer Weise, die die Frage nahelegt, ob ein Weniger nicht mindestens genauso gut wäre. Vor allem aber transportiert er damit eine Nervosität, darob man sich wundern durfte, dass sie nicht auch ins Ensemble ausstrahlte.
Aufführungen von Haydn, Britten und Beethoven in Köln
Indes gab es am Ergebnis nichts zu beanstanden: Bereits bei Haydns dritter Londoner Sinfonie, der Nummer 95 in c-Moll, saßen die Einsätze mustergültig, kamen die Kontraste zwischen harscher Devise und gesanglicher Fortsetzung dramaturgisch genau platziert, wurden die Stimmengewichte in flexiblem Wechsel immer neu justiert. Haydns Optimismus hat es ja generell nicht so sehr mit Moll, aber wenn es dann mal kommt, schöpft er zumindest die damit verbundenen Möglichkeiten harmonischer Anspitzung zupackend aus. In Boltons durch den Geist der Historischen Aufführungspraxis beflügelten Interpretation profitierte davon zum Beispiel der ganze erste Satz mit der hier immer wieder nachdrücklich herausgestellten kleinen Vorhaltssekunde.
Nach der Pause dann Beethovens Pastorale. Hier erfreuten – zumal im ersten Satz – die Raumeffekte, die Entfernung und die Wiederkehr des Klangs, aber auch das gut austarierte Verhältnis von Spannung und Lösung, die immer wieder als Ereignis gestaltete Befreiung der Musik aus ihrem „selbstverschuldeten“ Auf-der-Stelle-Treten. Trotzdem wurde hier die Haydn- und Britten-Höhe nicht ganz wieder erreicht – was nichts mit der Spielqualität zu tun hatte. Es fehlte vielmehr zuweilen, etwa im Gewitter des vierten Satzes, an einem vollends losgelassenen Klang. Stand da jemand ganz leicht auf der Bremse?