Vom französischen Grenadier bis zum biblischen König: Florian Boesch geht eigene Wege beim romantischen Liedrepertoire.
Kölner PhilharmonieSänger Florian Boesch taucht tief in seine Figuren ein

Der österreichische Bariton Florian Boesch
Copyright: Andreas Weiss
Der österreichische Bariton Florian Boesch ist auf dem Konzertpodium mehr zu Hause als auf der Opernbühne. Dennoch spürt man in seinen Liedinterpretationen stets einen unmittelbar dramatischen Impuls: Hinter jedem Lied steht eine Szene, hinter jedem lyrischen Ich ein plastisch geformter Charakter. Besonders deutlich wurde das bei den Heine-Vertonungen von Robert Schumann, die im Zentrum seines (leider schlecht besuchten) Liederabends in der Kölner Philharmonie standen.
Boesch tauchte tief ein in die Fieberdelirien jenes verwundeten französischen Grenadiers, der von den künftigen Siegen seines Kaisers Napoleon träumt. Er ließ einen eisigen Windhauch durch den Palast des frevelhaften biblischen Königs Belsazar gehen, dem eine Schrift an der Wand sein tödliches Schicksal bezeichnet. Und ganz fern von historischer und mythischer Größe erstand die jammervolle Figur des „armen Peters“, der seinen Platz in der Welt verloren hat – wenn er ihn denn je besaß.
So spontan und spielerisch erlebt man Liedkunst nicht alle Tage
Boesch scheute sich nicht, bei diesen Kernstücken des romantischen Liedrepertoires ganz eigene Wege zu gehen. Die Musik stand jederzeit im Dienst des Textes, der Gesang im Dienst eines kompromisslosen Ausdruckswillens. Hier wie auch in Schumanns „Gesängen des Harfners“ und einer originell zusammengestellten Brahms-Gruppe gab es kaum je ein stabiles Tempo. Boesch gestaltete die Lieder als metrisch freie Monologe, die ganz vom Sprachfluss beherrscht werden.
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Sein britischer Klavierpartner Malcolm Martineau parierte nicht nur gewandt (fast) jede eigenwillig angezogene oder gedehnte Phrase, er nahm Boeschs Ideen auf, führte sie weiter und spielte den Ball an den gleichfalls wach reagierenden Sänger zurück – so spannend, so spontan und spielerisch erlebt man Liedkunst nicht alle Tage.
Etwas schwerer machte es Florian Boesch dem kritischen Ohr mit Heines und Schumanns „Dichterliebe“, die den zweiten Teil des Abends bildete. Er sang fast alle der 16 Lieder in tiefen Transpositionen, was natürlich zulässig ist, aber eigentlich nicht seinem Stimmcharakter entspricht. Und selbst in diesen für ihn doch eher bequemen Tonarten mied er oft den vitalen körperlichen Zugriff zugunsten einer flach-fahlen und luftigen Klanggebung mit halber Stimme. Sicher, da geht es um seelische Nöte, um Kränkung, Verletzung und Verlust. Aber ein bisschen geschummelt war es schon auch.