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Psychologe im InterviewÜber die Beziehung zu Haustieren: „Sie sind ein Alltags-Therapeutikum“

Lesezeit 5 Minuten
Zwei junge Katzen im Tierheim Köln-Dellbrück

Zwei junge Katzen im Tierheim Köln-Dellbrück

Der Kölner Psychologe Stephan Grünewald erklärt die emotionalen Ausschläge, wenn es um Hunde oder Katzen geht.

Herr Grünewald, diese Woche war von einer Spendenaktion für die OP einer kranken Katze im Tierheim mit großer Resonanz zu lesen. Am Tag darauf folgte ein Bericht, die Heime seien überfüllt mit Tieren, die von ihren Besitzern abgegeben oder ausgesetzt werden. Wie passt das zusammen?

Stephan Grünewald: Beides ist Ausdruck einer ganz intensiven Beziehung zwischen Mensch und Haustier.

Intensive Beziehung? Wenn der zur Corona-Zeit angeschaffte Hund kurzerhand ins Tierheim abgeschoben wird?

Stephan Grünewald, Psychologe und Geschäftsführer des Kölner „rheingold“-Instituts

Stephan Grünewald, Psychologe und Geschäftsführer des Kölner „rheingold“-Instituts

Bleiben wir fürs Erste mal bei der kranken Katze. Haustiere lösen generell einen Beschützer- und Versorger-Wunsch aus. Sie sind kleiner, wirken unschuldig, wehrlos und hilfsbedürftig. Die Menschen suchen sich das Tier aus, von dem sie denken: Es passt zu mir, es ist mir ähnlich, fast könnte man sagen wesensverwandt – ein Seelenspiegel. Aus der Art, wie die Tiere auf den Menschen reagieren, entstehen die vom Soziologen Hartmut Rosa beschriebenen Resonanzbeziehungen.

Was meinen Sie damit?

Vor allem Hunde zeigen unvermittelt ihre Freude oder Dankbarkeit. Das gibt dem Menschen ein Gefühl der Selbstwirksamkeit und des Angenommen werdens – so wie man ist. Während wir in unseren Studien eine Enttäuschung über die Menschen mit ihrem Egoismus, ihrer Falschheit, ihrer Bosheit oder Respektlosigkeit feststellen, werden die Treue, Verlässlichkeit und Folgsamkeit der Tiere idealisiert. Bei Hunden mit ihrer geradezu bedingungslosen Anhänglichkeit wird das noch stärker erlebt als bei Katzen mit der ihnen eigenen Autonomie. Dafür ist der Betreuungsaufwand bei Hunden größer.

Und dann … landen sie im Tierheim.

Das ist die Kehrseite derselben Grundkonstellation. Mit einem Haustier kann man sich ins Haus holen, was in unserer digitalisierten Welt zu kurz kommt: das Sinnliche, das Körperliche, ja das Animalische. Im Streicheln der Tiere, im gemeinsamen Kuscheln erleben die Menschen sinnlich-besinnliche Momente. Die Tiere geben einem das Gefühl von Nähe, Ruhe, Trost und Geborgenheit. Sie sind eben nicht nur ein Seelenspiegel, sondern auch ein Alltags-Therapeutikum. Sie können uns eine feste Struktur geben. Dadurch lassen uns Haustiere aber auch sehr schnell in die Zwänge des Analogen geraten: Sie müssen gefüttert und ausgeführt werden, sie fordern Aufmerksamkeit und Zeit. Dadurch kommt es zu Kipp-Effekten – vor allem wenn jetzt nach der familiären Corona-Häuslichkeit der Wunsch nach Ungebunden sein und Reisefreiheit wieder größer wird.

Gibt es noch weitere Kipppunkte?

Haustiere sind eine Projektionsfläche für viele unserer uneingelösten Wünsche. Daraus kann aber auch ein unrealistischer Erwartungsüberschuss resultieren, der irgendwann zur Enttäuschung und Trennung führt. Tiere können uns zwar dabei helfen die eigene Natur zu entdecken, sie können aber nicht die Widersprüche und Probleme unseres Lebens aufheben.

Millionenfach geklickte Katzenbilder und -videos; Morddrohungen, wenn jemand seinen Hund im heißen Auto vergessen hat oder eine Katze quält… Wie kommt es zu diesen extremen emotionalen Ausschlägen gerade in der digitalen Kommunikation bei allem, was mit Tieren zu hat?

Das hängt vor allem mit der Selbstbespiegelung des Menschen in Tieren zusammen: man sieht sich im Tier, und man sieht das Tier in sich. Viele Menschen bezeichnen sich ja selbst als „Schmusekatze“, als „Streuner“ oder „Jagdhund“. Die Selbstspiegelung des Menschen in Tieren führt dazu, dass er alles, was ihnen positiv oder negativ widerfährt, auf sich selbst bezieht. Zudem regt man sich buchstäblich tierisch auf, weil man sich ja als Beschützer sieht und dem wehr- und schuldlosen Tier beistehen möchte.

Gibt es womöglich auch ein Moment des „Schuldausgleichs“ für das, was der Mensch den Tieren antut, die er täglich verzehrt?

Nach unseren Studien wird das eher auseinandergehalten. Haustiere und Schlachtvieh haben in der Wahrnehmung fast nichts miteinander zu tun. Für den eigenen Fleischkonsum greift man eher zu anderen Rechtfertigungsmustern. Beim Kauf von Biofleisch suggeriert man sich, dass das dafür geschlachtete Tier davor ja „ein gutes Leben“ hatte.

Geht im Verhältnis zum Haustier das Bewusstsein für die Grenze zwischen Tier und Mensch verloren? Die Suche nach einem verschwundenen Kind, so hört man es manchmal, könnte nicht tränenreicher, dramatischer und aufwendiger sein als nach einem entlaufenen Hund.

Subjektiv sind die Sorgen, die Ängste des Hundebesitzers um sein geliebtes Haustier auch durchaus vergleichbar. Auch wenn er weiß, dass es einen Unterschied zwischen seinem Hund und einem Kind gibt. Aber da Sie auf Kinder zu sprechen kommen: Haustiere sind für ihre Besitzer tatsächlich wie Kinder – aber nicht wie Kinder, die erwachsen werden und das Haus verlassen, sondern einen ihr Leben lang begleiten. Das ist etwas ganz Eigenes, Besonderes.

Ist es denn auch noch gesund?

Das kommt darauf an. Als Ersatz für Kinder oder den Partner taugen Tiere nicht. Und wenn es in Richtung Vermenschlichung geht – mit Kleidchen für die Katze oder Mundwasser für den Hund, dann heißt es schon: Obacht!

Nun legen sich aber viele Menschen doch genau dann ein Tier zu, wenn die Kinder aus dem Haus sind oder der Partner gestorben ist.

Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen Ersatz und Ergänzung. In der Ergänzungslogik – ich bin einsam und brauche einen Begleiter – ist ein Haustier hilfreich und heilsam. Als Ergänzung kann der Kontakt mit dem Haustier das Zusammenleben mit Menschen fördern. Aber als Ersatz für ein erfülltes soziales Leben überfordert man das Tier.

Stephan Grünewald ist Geschäftsführer des Kölner „rheingold“-Instituts. Er spricht auf ksta.de aus psychologischer Sicht über gesellschaftlich relevante Themen.