Wir sprechen mit Tim Fischer, Deutschlands bekanntesten Chanson-Sänger. Ende Juli gastiert er als Conferencier im Musical „Cabaret“ in der Kölner Philharmonie.
Kölner SommerfestivalWarum Tim Fischer 35 Jahre gezögert hat, diese Rolle anzunehmen
Tim Fischer, kaum, dass Sie das erste Mal auf der Bühne standen, bot man Ihnen die Rolle des Conferencier im Musical „Cabaret“ an.
Tim Fischer: Das erste Mal mit 16 Jahren, glaube ich, und dann ging das immer so weiter. Ich fühlte mich aber lange einfach zu jung für die Rolle.
Und das, obwohl Sie mit 15 Jahren schon Zarah-Leander-Lieder sangen?
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Ich weiß, das klingt ein bisschen widersprüchlich. Ich habe die alte Zarah Leander parodiert, weil die so große Ähnlichkeit mit meiner norwegischen Großmutter hatte. Alte Menschen haben mich schon immer fasziniert. Aber bei dem Conferencier dachte ich, für den muss man echte Lebenserfahrung haben, sonst wirkt das komisch. Und nun bin ich 51 und sehr froh, dass ich beim sechsten Mal, als Ulrich Waller vom St. Pauli Theater mir die Rolle angeboten hat, endlich „Ja“ gesagt habe. Da gab es kein Zögern, es ist eine Traumrolle für mich.
Aber keine einfache Rolle?
Eine sehr spezielle Rolle, weil der Conferencier so schwer greifbar ist. Er ist wie eine Schlange, die sich permanent häutet. Man versucht zuzufassen – und hat doch wieder nur eine abgelegte Haut, eine Verkleidung in der Hand. Man weiß nie, woher er kommt, wohin er geht. Mag er die Menschen, mag er die Leute, die im Kit-Kat-Club für ihn arbeiten? Ist er von diesem Stern? Aber genau das kann ich mittlerweile verkörpern. Es gibt ein Lied im Musical, das sehr oft herausgestrichen wird, „I Don't Care Much“ heißt das im Original, „Es ist mir ziemlich egal“. Das steht für mich exemplarisch für ihn. Er zieht alles Ernste ins Lächerliche, nimmt das Schwere leicht, das Leichte schwer, verdreht permanent den Spiegel.
Es sind die letzten Tage der Weimarer Republik, aber auch das scheint ihn nicht zu berühren.
Man weiß nie, ist er nun für die Nazis oder ist er dagegen? Er lässt sich politisch nicht vereinnahmen, er windet sich wie eine Schlange.
Als Zuschauer fragt man sich, ob sein Sarkasmus Fassade oder Überlebensstrategie ist, oder ob er sich tief in sein Mark gefressen hat. Haben Sie für sich eine Antwort gefunden?
Ich denke, dass er nicht völlig zu enträtseln ist. Ich habe mich gefragt, wie er zu sich selbst steht. Als Figur in diesem zwielichtigen Cabaret wagt er sich mutig nach vorne. Denn wenn es hart auf hart kommt, muss er auch dran glauben. Er verkörpert die Sünde und das Exzentrische, er verkörpert alles, was den Nazis überhaupt nicht gefallen hat. Er ist Täter und Opfer zugleich. Das liegt auch oftmals in der Realität eng bei beieinander.
Man kann sich „Cabaret“ heute kaum anschauen, ohne an unsere eigene politische Lage zu denken.
Insofern hat das Musical einen aufklärerischen Wert. Wobei man sagen muss: Wir haben ein völlig anderes Leben. Wir befinden uns in „Cabaret“ in dieser Naivität der 1920er Jahre, alles wird leichtgenommen, jeder schläft mit jedem, es ist eine bunte, flirrende Zeit. Diese vermeintlich goldenen 20er waren allerdings nur einer ganz kleinen Gruppe vorbehalten, tatsächlich schlitterte man nach dem Ersten Weltkrieg langsam auf die nächste Katastrophe zu. Viele sind der Gefahr des aufkommenden Nationalsozialismus damals so blauäugig begegnet, weil sie noch in einer friedlichen, abgekapselten Welt lebten. Die Informationsflut, der wir heute ausgesetzt sind, gab es nicht. Sally Bowles zum Beispiel, lässt sich offensichtlich gar nicht von Politik beeindrucken, die ist nur daran interessiert, Karriere zu machen und ein paar Kröten zu verdienen.
Trotzdem: Was können wir von „Cabaret“ lernen?
Allein schon die Frage nach der Zivilcourage – Habe ich den Mut, mich zu äußern? – macht das Stück für mich zeitlos. „Cabaret“ zeigt das, ohne erhobenen Zeigefinger, in vielerlei Facetten. Wenn man es heute aufführt, spielt sicher auch das Vorausschauende eine Rolle: Lasst uns aufpassen, dass uns die politische Situation nicht wieder so entgleitet. Wie kann es sein, dass nach allem, was wir über die Vergangenheit wissen, das wieder in so eine Richtung tendiert?
Wo Sie gerade Sally Bowles erwähnten: Den Film „Cabaret“ kennen viele, aber da gibt es große Unterschiede zum Musical?
Der Film hat einen großen Star, Liza Minnelli. Deshalb dreht sich dort alles um ihre Rolle, Sally Bowles. In unserer Fassung gibt es zwei Liebespaare. Anrührender als die Geschichte von Sally und Clifford Bradshaw ist die von Fräulein Schneider, der alten Pensionswirtin, die sich in den Herrn Schultz, den jüdischen Obstverkäufer, verliebt. Die sind das Identifikationspärchen fürs Publikum, denen gönnt man alles Glück der Welt, fiebert mit und muss zusehen, wie die politischen Umstände diese wunderbare Liebe zerlegen. Ich bin sehr froh, dass der Regisseur Ulrich Waller und die Co-Regisseurin Dania Hohmann das so in den Fokus gesetzt haben.
Viele der Lieder aus der Weimarer Republik und auch aus der Zeit des Nationalsozialismus, die Sie schon als Jugendlicher interpretiert haben, sprechen heute fast noch mehr zu uns …
Absolut. Und ich bin sehr froh, dass ich Kollegen hatte, wie zum Beispiel Udo Lindenberg, der mir ein Gedicht von Ilse Weber aus dem KZ Theresienstadt gegeben hat, von dem er glaubte, dass ich das gut vortragen könne. Kunst ist in der Lage, etwas anderes auszudrücken als reine Fakten, man kann mit wenigen Worten eine Atmosphäre schaffen, die einem verständlich macht, was da passiert ist. Ich bin auch sehr dankbar für die Begegnung mit Georg Kreisler, mit dem ich über zehn Jahre lang befreundet sein durfte und mehrere Projekte auf die Beine gestellt habe. Bei ihm ging es auch immer wieder um diese Thematik: Die Nazis sitzen auf neuen Posten, es hat sich nichts geändert.
Wobei Sie es selbst explizit politische Lieder eher meiden. Ein ungewöhnliches Lied in ihrem Repertoire ist das Stück „Politiker können nichts dafür“ auf ihrem Album „Zeitlos“.
Ja, das kann man sagen. Das Lied hat übrigens auch einen ungewöhnlichen Schreiber, Sebastian Krämer, einen der besten zeitgenössischen Songpoeten. Ein anderer ist Thomas Pigor. Das sind Autoren, die einen auf überraschende Gedankenfilme mitnehmen, die können satirisch, politisch, aber auch ganz sensibel sein, wenn es um Liebe geht. Das haben eigentlich nur die jüdischen Autoren wie Friedrich Hollaender und Georg Kreisler gekonnt, das ist bei uns sehr selten geworden.
Sie verstehen sich als Interpret, aber für die Serie „Babylon Berlin“ haben Sie zum ersten Mal einen eigenen Songtext geschrieben.
Der „Peru Song“, eine kitschige Albernheit. Da ging es eher darum zu zeigen, worüber sich die Leute damals amüsiert haben, diese Naivität zu transportieren.
Bleibt das eine Ausnahme für Sie, selbst zu texten?
Ich tue mich ein bisschen schwer, weil ich sehr verwöhnt bin, was das Geschriebene angeht. Das Schreiben eines Songs setzt ein gewisses Handwerk und eine gewisse Übung voraus, das ist nicht mein Gebiet. Ich bin bestrebt, meinem Publikum, was das Material angeht, stets das Beste vorzusetzen, als Interpret.
Als solcher versetzt man sich auch in eine Rolle, ist das vergleichbar mit der Arbeit in einem Bühnenstück?
Es ist eine andere Arbeit, ich muss in eine richtige Rolle hineinschlüpfen und wenn ich glaubhaft wirken will, kann ich mich auch nicht distanzieren. In einem Chanson-Abend beziehe ich mich doch immer wieder sehr stark auf mich selbst, der Kern bleibt immer Tim Fischer.
Können Sie sich denn selbst in der Figur des Conferenciers wiederfinden?
Eventuell gibt es ein paar Anklänge. Man kann sich fragen, wie er so geworden ist. Vielleicht ist er durch eine harte Schule gegangen und hat seine Persönlichkeit bis zu einem gewissen Punkt aufgegeben.
Nun haben Sie bereits ihr 35-jähriges Bühnenjubiläum hinter sich. Da könnten Sie sich doch auch so etwas wie Berufszynismus antrainiert haben.
Ja, das erlebt man bei verschiedenen Künstlern, die immer dasselbe machen müssen. Schauspieler, die immer für denselben Typ besetzt werden. Ich habe das große Glück, mich viel verwandeln zu dürfen. Aber natürlich gibt es Rollen, für die ich wahrscheinlich stärker prädestiniert bin. Wie etwa für den exzentrischen Barbesitzer, den ich in „Babylon Berlin“ gespielt habe, oder eben jetzt den Conferencier. Das ist okay. Nur wenn es immer wieder die gleiche Aussage hätte, würde es mir auf Dauer keinen Spaß machen. Deswegen schätze ich ja Autoren wie Georg Kreisler, die immer einen doppelten Boden in ihren Texten haben. Das hält auch den Interpreten lebendig und frisch.
„Cabaret“ ist vom 30. Juli bis zum 4. August im Rahmen des 35. Kölner Sommerfestivals in der Kölner Philharmonie zu sehen. Karten gibt es hier.