David Byrnes Label Luaka Bop hat ein vergessenes Album des 2022 gestorbenen Saxofonisten neu aufgelegt. Und feiert das in der Jazz-Metropole Köln.
Konzert im StadtgartenWie Köln die Jazz-Legende Pharoah Sanders ehrt
Vor etwas mehr als einem Jahr starb der Saxofonist Pharoah Sanders im Alter von 81 Jahren. Jeder Tod ist ein Verlust. Aber wenn eine Jazz-Legende wie Sanders stirbt, fühlt sich das an, als würde ein Faden reißen, der die Gegenwart mit einer Vergangenheit verbindet, die nun unweigerlich ins Reich des Ungefähren, nur Halb-Erinnerten stürzt. Er war es, der seinen Mentor John Coltrane in dessen letzten Jahren zu neuen, ekstatischen Höhen trieb, um dann mit einer Reihe bahnbrechender Alben auf Impulse Records dessen spirituelles Erbe weiterzuführen.
Immerhin war es Pharoah Sanders vergönnt, kurz vor seinem Tod noch ein fantastisches Alterswerk zu veröffentlichen: „Promises“, eine gemeinsam mit dem britischen Elektroniker Floating Points und dem London Symphony Orchestra eingespielte Suite. Die erschien auf dem von Talking Heads David Byrne gegründeten Label Luaka Bop.
Das hat nun ein weiteres, verschüttetes Meisterwerk des Musikers als aufwendige Box wiederveröffentlicht: Eine schlicht „Pharoah“ betitelte Platte, 1977 in kleiner Auflage gepresst, die der Meister damals nicht besonders schätzte, um die sich jedoch mit den Jahren ein regelrechter Kult entwickelt hatte, sodass man Glück und einige hundert Dollar benötigte, um ein abgegriffenes Exemplar zu ergattern.
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Das lag vor allem an dem Stück, das die gesamte erste Seite des Vinyls einnimmt: „Harvest Time“, eine Zwei-Akkord-Meditation, die dem Hörer tiefen Frieden vermitteln kann und zugleich von einer inneren Unruhe durchpulst ist – es ist das scheinbare Paradox im Herzen von Sanders' Kunst: Im wildesten Überblasen die größte Stille zu finden.
Camae Ayewa alias Moor Mother hatte im August bereits die Kölner Brückenmusik bespielt
Das New Yorker Label feiert die Veröffentlichung mit einer Reihe von Konzerten in unterschiedlicher Besetzung. Am Montagabend fand im ausverkauften Kölner Stadtgarten die einzige deutsche Ausgabe des „Harvest Time Projects“ statt, in der das Free-Jazz-Kollektiv Irreversible Entanglements unter anderem auf den Bassisten und Bandleader Joshua Abrams traf und den Gitarristen Tisziji Muñoz, der auch auf der Originalaufnahme von „Pharoah“ zu hören ist.
Camae Ayewa, als Avantgarde-Musikerin besser bekannt unter dem Namen Moor Mother, beschwor nach einigen Minuten rituellen Geklöppels den Geist des Saxofonisten, den Geist von Frieden und Liebe, der seine Improvisationen leitete, zitierte Titel und Zeilen aus seinem Werk, hauchte ihnen neues Leben ein. Anfang August hatte die US-Amerikanerin noch unter dem Titel „Mirrortimemirror“ die alljährliche Brückenmusik im Hohlraum der Deutzer Brücke gestaltet, der Übergang von dieser afrofuturistischen Utopie zu Sanders' Erntezeit wirkt da fast fließend. Oder sollte man Erntedankzeit sagen?
Denn die neun Musiker auf der Bühne schienen vom Geist des Saxofonisten geradezu beseelt, auch wenn sie keineswegs in Heldenverehrung erstarrten. Ein Doppelpaar aus Schlagzeug und Kontrabass trieb die Gruppenimprovisation voran, zu immer neuen Höhen führte sie vor allem Muñoz, der sich abwechselnd mit Aquiles Navarro an der Trompete und Keir Neuringer am Sopransaxofon duellierte – was freilich arg militaristisch klingt für ein Konzert, das im Grunde wie ein rauschhafter Gedenkgottesdienst funktionierte.