Das 13. Week-End-Festival im Stadtgarten rückte Köln mal wieder ein wenig näher in die Mitte der globalen Pop-Avantgarde.
Kölner Week-End-FestAuf Tauchfahrt in den Musikgeschichte
Bridget St John ist das fehlende Puzzleteilchen im Mosaik der Popgeschichte. Sie sang mit John Martyn, Mike Oldfield und Kevin Ayers, trat mit Nick Drake und Paul Simon auf, der junge David Bowie buchte sie für seinen Folk-Club Beckenham Arts Lab und später als Support Act für seine Ziggy-Stardust-Show. St John war die Lieblingssängerin des legendären Radio-DJs John Peel, er brachte ihre ersten drei Alben auf seinem Dandelion-Label heraus. Und doch ist die mittlerweile 78-Jährige hierzulande fast vergessen.
Auf dem dreitägigen Week-End-Fest im Stadtgarten konnte man nun ihren ersten Deutschlandauftritt erleben, zusammen mit der Kölner Cellistin Emily Wittbrodt hatte St John ihre Songs, Coverversionen und Traditionals neu arrangiert, nahm die Festivalbesucher mit auf Tauchfahrt in ihre musikalische Biografie, die Altstimme immer noch so einnehmend, als lausche man der Warhol-Chanteuse Nico an einem selten sonnigen Tag.
Das Kölner Week-End-Fest bietet jede Menge Neu- und Wiederentdeckungen
Solche Neu- oder Wiederentdeckungen erwartet man inzwischen geradezu vom Week-End. Man ist eben verwöhnt, das bestkuratierte Festival der Stadt fand bereits zum 13. Mal statt. Jessica Pratt, Singer-Songwriterin aus Los Angeles, zeigte sich dagegen tief beeindruckt davon, nach Bridget St John die Bühne betreten zu dürfen.
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Aber die Ehre hatte sie sich allemal verdient. Auf ihrem vierten Album „Here in the Pitch“ hat Pratt ihre hypnotischen Folksongs ins Cinemascope-Format des gehobenen Pops der 1960er übersetzt, sie selbst schwärmt von „atmosphärischen Schneekugel-Produktionen“, man denke an die dunklen Hymnen der Walker Brothers oder Brian Wilsons Minisinfonien auf „Pet Sounds“.
Die meiste Zeit hört man nur die hohe Stimme der Wasserstoff-Blondine – sie klingt wie ein zehnjähriges Mädchen, das täglich eine Schachtel ungefilterter Zigaretten inhaliert – und die straff gespannten Nylon-Saiten ihrer Gitarre. Die vier Mitmusiker dürfen nur austupfen, hier ein warmer Basslauf, eine Keyboardfläche, wenige Töne eines Sopransaxofons, ein paar Schläge auf das Tomtom. Doch der Effekt ist bestechend, großes Kino ganz intim, der Schneekugelvergleich beschreibt das schon ganz gut.
Der Horizont des Festivals reicht freilich sehr viel weiter, vom feingliedrigen R'n'B des New Yorker Sängers Dawuna über die Wienerin Conny Frischauf, die frühe Kraftwerk-Töne mit verspielt-konkreter Poesie verbindet, bis zum lebensbejahenden Soul der Londonerin Lizzie Berchie. Oder vom spirituellen, ungemein erhebenden Jazz des Chicagoer Percussionisten Kahil El'Zabar (Dizzy Gillespie lobte ihn einst als besten seiner Zunft), bis zur etwas trocken und diffus geratenen Mischung aus Jazz, Dub und introspektiver Elektronik des Tara Clerkin Trios.
Mit The Twit 1, II, Three des Hip-Hop-Produzenten Tim Purnell und Dumbo Tracks des Von-Spar-Drummers Jan Philipp Janzen stellten sich auch zwei vielversprechende Kölner Projekte vor. Janzen hatte vor zwölf Jahren zusammen mit seinen Von-Spar-Kollegen und Pavements Stephen Malkmus eine waghalsige Live-Version von Cans „Ege Bamyasi“ – dem wohl besten Kölner Album aller Zeiten – auf die Bühne gebracht, das war so etwas wie die Initialzündung des Week-End-Festes: eine unwahrscheinliche, in aller Eile durchgeprobte Kollaboration, die gleichwohl spektakuläre Ergebnisse zeitigt. Dumbo Tracks, live mit Smile-Frontfrau Rubee Fegan am Sprechgesang und Elektronik-Produzent Julian Stetter am Bass, erkundete dubbige Hallräume und ging trotzdem dunkel funkelnd nach vorne. Am Freitagabend war das eine willkommene Abwechslung nach den von Grillenzirpen begleiteten Entspannungsanleitungen des New Yorker New-Age-Urgesteins Laraaji Venus Nadabrahmananda.
Dass man sein Publikum freundlich mitnehmen und dabei kompromisslos experimentell und politisch bleiben kann, hatte am ersten Festival-Abend Camae Ayewa alias Moor Mother bewiesen. „Meine Seele ist im Lärm verankert“, hob die Poetin und Aktivistin aus Philadelphia an, und verknüpfte in der Folge ätzende postkoloniale Kritik mit insistierend-repetitiver Begleitung zu einer neuen, drängenden Art von Lecture-Performance. Seit acht Jahren ist Moor Mother eine der spannendsten Stimmen des Jazz. In Köln konnte man sie zuletzt häufiger erleben, als Teil des Pharoah-Sanders-Projekts „Harvest Time“ und als Gastkünstlerin der Brückenmusik im Hohlraum der Deutzer Brücke.
Man muss sich auch das Week-End-Fest als Teil eines globalen Geflechts denken, seinem Macher Jan Lankisch kann Köln dafür danken, mit jeder Ausgabe wieder ein wenig näher ins Zentrum des Geschehens zu rücken. Wo man schon einmal war, daran erinnert auch die Illustration, die Rosemarie Trockel dem Festival als diesjährige Optik geschenkt hat.
Am Tag nach ihrem Auftritt sieht man Bridget St John im Kompakt-Plattenladen wieder, gefeiert wird die Neuauflage von „Kiss Me Again“ auf Week-End-Records, ein New-Yorker Clubklassiker des früh verstorbenen Cellisten und Avantgarde-Genies Arthur Russell und des The-Gallery-Betreibers und Studio-54-DJs Nicky Siano, aufgenommen unter dem Projektnamen Dinosaur. Siano steht zuerst dem Russell-Biografen Richard King Rede und Antwort, bevor Kölner Musiker – darunter auch wieder Emily Wittbrodt – unter der Leitung von Jorik Bergman die Maxi-Single in einer halbstündigen, discogemäß mitreißenden Liveversion neu interpretieren: Das war der geheime Höhepunkt des Festivals und man bekam ihn ganz umsonst.