In unserer Reihe „Mein Kulturmonat“ gibt Laurenz Leky, Leiter des Theaters im Bauturm, Tipps für den Juni.
Mein Kulturmonat mit Laurenz Leky„Da habe ich dieses New York Gefühl“
Gastro auf der Aachener Straße, das wird nie funktionieren! Das dachten die Theatermacher, als sie in ihrer Gründungsphase vor 40 Jahren die Gelegenheit hatten, das heutige Café im Bauturm zu übernehmen. Eine historische Fehleinschätzung – aber damals war die Aachener noch eine öde Ausfallstraße. Heute sind wir gesegnet mit unserer Lage hier. Du fällst aus dem Theater und es brummt. Diese ganze Meile mit den Restaurants und Cafés ist eine Entwicklung der frühen 2000er. Wegen dieser Hipstermeile, dieses kulturellen Bar- und Kneipenzentrums und der Renaissance der Volksbühne am Rudolfplatz spricht man auch vom Broadway am Ring. Als ich nach dem Studium und der Arbeit an Stadttheatern in Leipzig, Osnabrück und Frankfurt hierhin zurückkam, war sie plötzlich da.
Auf gewisse Weise sind wir in der freien Szene viel eingeschränkter als im städtischen Theater. Es ist extrem, wie prekär wir alle hier arbeiten. Andererseits haben wir abseits des Finanziellen einen nahezu unbegrenzten Gestaltungsspielraum. Das ist ein solches Geschenk, das möchte man nicht mehr missen, wenn man es einmal gehabt hat. Die künstlerische Qualität, die Art und Weise, wie aktuelle, relevante Diskurse hier verhandelt werden - ich glaube, dass die freie Szene in Köln auf sehr hohem Niveau arbeitet.
Die freie Theaterszene in Köln ist gut vernetzt
Dazu kommt auch eine kulturpolitische, solidarische Vernetzung, die seit der Corona-Pandemie unheimlich zugenommen hat. Es gibt den Verein der darstellenden Künste, in dem sich Theater, Musik, Tanz und zeitgenössischer Zirkus miteinander vernetzen. Bei aller prekären finanziellen Lage und zunehmender Verschärfung dieser Situation - wir gehen hier auf Sparhaushalte in Köln zu - ist diese Solidarität eine unglaubliche Inspiration und eine Ressource der Kraft.
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Wir alle erarbeiten Großartiges unter widrigsten Bedingungen. Und manchmal entsteht selbst aus größter Not etwas ganz Tolles – zum Beispiel das Depot in Mülheim: Ein vielschichtiger, unkonventioneller Ort, der wirklich in die Stadt ausgreift, also das Gegenteil eines Elfenbeinturms. Es ist unheimlich einladend, ob als Garten, mit der tollen Gastronomie, mit unterschiedlichsten sehr innovativen Spielstätten.
So etwas entsteht im Chaos. Und das ist symptomatisch für Köln. Ich würde ungern in diese Dauerschleife einsteigen: Wir sagen, wir brauchen mehr Geld, und die Politik sagt: Wir verstehen das, wir haben aber nicht mehr Geld. Ich würde mir wünschen, dass man sagt: Wir haben hier Akteure mit Erfahrung. Krise ist für uns der Dauerzustand, wir können Krise. Setzt euch doch mit uns mal zusammen und überlegt: Was ist möglich, wenn wir uns mal wirklich miteinander auseinandersetzen?
Laurenz Leky über die Kölner Kulturszene
Wir Kölner sind obsessiv mit uns selbst beschäftigt, Selbstbesoffenheit und ewiges Lamento sind zwei Seiten einer Medaille. Ich bewege mich gerne dort, wo Kultur jenseits der etablierten Institutionen entsteht, zum Beispiel im Bildungszentrum für muslimische Frauen in Ehrenfeld. Das ist entstanden aus einer Initiative muslimischer Frauen, die sich selbst weiterbilden wollten. Mittlerweile bieten die ein Bildungsprogramm in der Dimension einer Volkshochschule an, das sich längst nicht mehr nur an muslimische Frauen richtet. Es gibt Väterkreise, man kann Sprachen lernen und alle möglichen Kurse belegen - es gibt aber auch ein Café mit einem Mittagstisch, man kann sich wunderbar in den Innenhof setzen. Und es gibt eine tolle Kleiderkammer, wo ich neulich ein tolles blaues Cord-Sakko für fünf Euro gekauft habe. Ich liebe diesen Ort.
Wir haben in Köln den Karneval, das Scala-Theater, die Volksbühne und das Hänneschen. Da wird häufig so unterschieden: die Hochkultur, die freie Szene, das kölsche Theater, der Boulevard. Dabei arbeiten wir längst zusammen. Das vergangene Karnevalsmotto war ja „Wat e Theater – wat e Jeckespill“. Das Festkomitee ist auf die freie Theaterszene zugekommen und hat uns eingeladen. Wir haben bei der Prinzenproklamation im Gürzenich mitgewirkt. Wir haben eine Fußtruppe im Rosenmontagszug gebildet. Das alles gehört zu Köln. Ich fände es toll, wenn wir die Vielfalt mit Selbstbewusstsein annehmen und begreifen, dass sie es ist, die diese Stadt ausmacht.
Köln ist Zirkusstadt
Es gibt hier auch, was die Wenigsten wissen, das ganze Jahr über die Möglichkeit traditionellen Zirkus zu sehen. Der Circus Charles Monroe ist ein Familienbetrieb, der von Veedel zu Veedel zieht und nur im Winter pausiert. Ich gucke die mir mehrfach im Jahr an. Meine Liebe zur Kultur kommt vom Zirkus: Als Kind bin ich immer heimlich unterm Zaun durch, um mich bei Roncalli ins Zelt zu schleichen. Bernhard Paul hat den Zirkus Roncalli hier in Köln gegründet. Ich halte ihn für den vielleicht größten, innovativsten lebenden Zirkusmann weltweit.
An manchen Orten gehen Kultur und Natur auch ineinander über, zum Beispiel in der Orangerie oder dem Stadtgarten. Ich liebe den Green Room dort. Das ist praktisch die Außenterrasse - um die Ecke von der Gastronomie gibt es eine Bühne unterm freien Himmel. Interessanterweise sagen Leute, die in den Bauturm gehen, oft: Dieses Hinterhoftheater, das Café, die Gastronomie, dieses pralle Leben erinnert sie an New York. Der Ort strahlt eine urbane Freiheit aus. Ich bin ja jeden Tag hier, deswegen gehe ich zum Stadtgarten, um das zu erfahren, da habe ich dieses New York Gefühl.
Kunst ist eine Schule der Differenzierung
Ein Natur- und Kulturort, den ich in Köln über alles liebe, ist das Restaurant Wildwechsel in Dünnwald. Einer der Wirte ist mein Kollege Jörg Kernbach. Die machen dort regelmäßig Live-Hörspiele im Gastraum, in denen sie das Publikum miteinbeziehen. Neben dem Restaurant ist ein Minigolfplatz, das Waldschwimmbad und ein Wildpark, der nahtlos in den Dünnwalder Wald übergeht. Das ist in dieser Zusammenstellung von Peter Baum in den 30er Jahren initiiert worden. Er war Sozialdemokrat und hat das als Bollwerk gegen den Nationalsozialismus gegründet, als Ort der Freizeit, der Begegnung und des demokratischen Austausches. Die Nazis haben ihn in das KZ Sachenhausen deportiert, wo er umgekommen ist.
Ein wesentlicher Moment der Demokratie ist die Begegnung mit Menschen, die man nicht kennt. Ich glaube spätestens seit Corona sollten alle begriffen haben, wie wichtig die Präsenzkultur ist. Bleiben wir allein zuhause oder treten nur über das Internet in Kontakt mit der Welt, besteht die Gefahr, dass wir nur noch mit Leuten zu tun haben, die eh unsere Meinung teilen. Außerdem ist Kunst eine Schule der Differenzierung. Wir versuchen die Dinge in ihrer Ambivalenz darzustellen und gerade nicht die vorgefertigte Meinung zu liefern, sondern die Zuschauerin oder den Zuschauer anzuregen, sich ein eigenes Bild zu machen, das wahrscheinlich ambivalent bleiben wird, vielleicht schmerzhaft ist, das aber auch inspirierend oder lustvoll sein kann. Das ist unsere Leistung, und die ist unheimlich wichtig, um die Welt in ihrer Komplexität zu begreifen. Und in dem Wunderbaren, was das Leben ausmacht, jenseits von einzelnen Zuschreibungen und Parolen.
Drei Veranstaltungstipps für den Juni
1. Circus Charles Monroe, 1. und 2. Juni
Der Circus Charles Monroe macht mit unglaublicher Freude traditionellen Zirkus voller Poesie. Sie sind noch bis zum 2. Juni in Longerich, auf dem Wiesenplatz an der Ecke Neusser Straße/Militärringstraße, erreichbar mit den Linien 12, 15 und 122, Haltestelle Wilhelm-Sollmann-Straße.
Circus Charles Monroe, 1. Juni um 17 Uhr, 2. Juni um 11 Uhr am Wiesenplatz Neusser Str./Militärringstraße. Eintritt 15 Euro, für Kinder 13 Euro. Alle Infos gibt es hier.
2. Ustad Noor Bakhsh im Green Room im Stadtgarten, 12. Juni
Der 80-jährige Ustad Noor Bakhsh stammt aus der pakistanischen Region Belutschistan. Mit seinem Debütalbum „Jingul“ wurde er weltweit bekannt, jetzt will er auch das Publikum des Kölner Stadtgarten mit seinem Benju begeistern, einer Zither mit Klappen.
Mittwoch, 12. Juni, Einlass 19 Uhr. 18 Euro im Vorverkauf. Alle Infos gibt es hier.
3. Live-Hörspiel im „Wildwechsel“ in Dünnwald, 13. Juni
Am 13. Juni gibt es im Restaurant Wildwechsel das Live-Hörspiel „Tod auf dem Nil“ mit Susanne Pätzold, bekannt u.a. aus der TV-Sendung „Switch“. Direkt neben dem Restaurant ist ein Minigolfplatz, der Wildpark und das Waldschwimmbad.
Restaurant Wildwechsel, Peter-Baum-Weg 24, 51069 Köln. 13. Juni, 19:30 Uhr. Um telefonische Reservierung wird gebeten: 0221 - 968 126 38.
Zur Person
Laurenz Leky, geboren 1977 in Köln, ist Schauspieler und Theaterleiter. Er studierte Schauspiel am Mozarteum in Salzburg und arbeitete am Theater der Jungen Welt Leipzig, dem Theater Osnabrück und dem Schauspiel Frankfurt. 2010/11 machte er einen Master in Conflict Resolution am Department of Peace Studies, University of Bradford in Großbritannien. Er arbeitete im Krisengebiet im Osten der Demokratischen Republik Kongo im Bereich Theater als Mittel der Konflikttransformation und bis zum Krieg regelmäßig mit Jugendlichen aus schwierigen Familienverhältnissen in Russland. Seit der Spielzeit 2016/2017 leitet er gemeinsam mit Bernd Schlenkrich und René Michaelsen das Theater im Bauturm in Köln. Er ist der Bruder der Autorin Mariana Leky.