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Krimi-Autorin Donna Leon über Femizide„Fast ein Nationalsport Italiens“

Lesezeit 3 Minuten
Donna Leon bei der lit.Cologne Spezial Oktober 2024

Donna Leon bei der lit.Cologne Spezial Oktober 2024

Donna Leon las im Kölner Tanzbrunnen aus ihrem nunmehr 33. Venedig-Krimi und gab Einblicke in ihr bewegtes Leben.

Drei italienische Zeitungen lese sie am Tag, erzählt die amerikanisch-schweizerische Krimi-Autorin Donna Leon, die viele Jahre in Italien lebte, am Wochenende bei der lit.Cologne Spezial. Aktuell gehe es darin fast täglich um brutale Femizide. Der Mord an Frauen sei heute „fast ein Nationalsport Italiens“, sagt die 84-Jährige sichtlich erschüttert. Warum, fragt sie, werden die männlichen Täter immer mit Nachnamen genannt, die ermordeten Frauen aber bei ihrem Vornamen? Es sind gesellschaftspolitische Themen wie diese, die Donna Leon umtreiben und die sich auch durch ihre Kriminalromane ziehen wie ein roter Faden.

Ihren ersten Venedig-Krimi – und überhaupt ihr erstes Buch – schrieb sie 1992, im Alter von 50 Jahren. Inzwischen ist Donna Leon beim 33. Fall des venezianischen Kommissars Guido Brunetti angelangt. Ihre Bücher wurden in 35 Sprachen übersetzt, haben zahlreiche Literaturpreise gewonnen und genießen Kultstatus in der Krimi-Welt. Nun stellte sie im Kölner Tanzbrunnen ihr neustes Buch vor. Mit dabei war Annett Renneberg, die in den deutschen Verfilmungen die Sekretärin des Polizeichefs, Signorina Elletra, spielte und am Abend aus der deutschen Übersetzung las.

Zwischen Jugendbanden in Venedig und Irak-Krieg

Der neuste Fall von Comissario Brunetti dreht sich um sogenannte Babygangs – Gruppen von Jugendlichen, die sich über soziale Medien zusammentun, um in der Stadt Unruhe zu stiften. Doch die Ermittlungen führen den Kommissar über den Vater eines der randalierenden Jungen zurück in die Zeit des Irak-Krieges Anfang der 2000er-Jahre. Er findet Verbindungen zu dem Attentat von Nassiriya, bei dem 19 dort stationierte italienische Polizisten durch die Explosion einer Autobombe auf tragische Weise ums Leben kamen. Der Vater des Jungen, einer der wenigen Überlebenden, wurde als vermeintlicher Retter seiner Kameraden zu Italiens Nationalheld. Doch je mehr die venezianischen Ermittler über seine Vergangenheit in Erfahrung bringen, desto weniger heldenhaft erscheint er.

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Auf der ständigen Suche nach dem Warum

Wohin die Handlung ihrer Bücher führt, das weiß Donna Leon zu Beginn des Schreibprozesses selbst noch nicht, wie sie auf der Bühne im Gespräch mit Moderatorin Shelly Kupferberg lachend zugibt. Dabei mischt Leon nicht nur in diesem Band reale geschichtliche und politische Ereignisse Italiens in ihre Fiktion. Sie interessiert sich nicht vordergründig dafür, wer es gewesen ist, fragt vielmehr nach dem Warum. Ihr Protagonist ist auf der ständigen Suche nach Gerechtigkeit – und nach dem richtigen Weg in der verwinkelten Stadt auf dem Wasser, voller Kanäle, Paläste und Brücken, in der niemand Adressen benutzt.

Donna Leon beschreibt seine Fußmärsche so detailliert, dass man sie auf der Stadtkarte verfolgen kann. Der verbrecherischen Welt voll von Gewalt, Betrug und menschlichen Abgründen stellt sie das private Familienidyll des Kommissars gegenüber. Seine Ehefrau Paola, mit der er zwei Kinder hat, ist die Tochter eines wohlhabenden und einflussreichen Grafen. Mit ihr diskutiert Brunetti nicht nur seine Fälle, sondern immer auch über Kunst und Literatur.

Denn Paola arbeitet als Professorin für Englische Literatur – wie Donna Leon es vor ihrer Karriere als Schriftstellerin selbst getan hat, erst in Italien, später im Iran und in China. Dass sie so viel gereist ist, habe auch etwas damit zu tun, dass ihre Eltern ihr einen gesunden Umgang mit Ambitionen vorgelebt hätten. Das habe ihr die Freiheit gegeben, das zu tun, was sie wirklich will, erzählt sie im Kölner Tanzbrunnen. Mit ihrer sympathischen, klugen und humorvollen Art konnte sie das Publikum auch an diesem sehr kurzweiligen Abend begeistern.


„Feuerprobe: Commissario Brunettis dreiunddreißigster Fall“, Donna Leon, Diogenes Verlag, 336 Seiten, 26 Euro.