Köln – Das Kölner Kulturjahr begann mit einem Knall: Oberbürgermeisterin Henriette Reker präsentierte einen neuen Intendanten für das Schauspiel Köln, den Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach quasi im Alleingang gefunden hatte. Der Kandidat stieß auf wenig Gegenliebe.
Vielen Theaterexperten galt er – trotz langer Jahre an der Spitze des Salzburger Landestheaters – als unbeschriebenes Blatt. Sie zweifelten an seiner Eignung für eine großstädtische Bühne. Als die Kritik nicht abreißen wollte, zog der Kritisierte selbst souverän die Reißleine – und verzichtete dankend auf den Kölner Job, nicht ohne anschließend der Stadt Provinzialität vorzuwerfen.
Die Stadtspitze stand dementsprechend bedröppelt da. Damit hatte man schlicht nicht gerechnet. Nach einigen Tagen kündigte die Oberbürgermeisterin schließlich an, zur Intendantenwahl nun eine mit Fachleuten besetzte Findungskommission unter ihrem Vorsitz zu berufen. Das war vor über einem Monat.
Jetzt haben sich mehr als 50 in Köln lebende oder sich der Stadt verbunden fühlende Kulturschaffende mit einem Offenen Brief an Henriette Reker gewandt. Initiiert haben ihn die Autorin Traudl Bünger, die Kulturjournalistin Dorothea Marcus und die Verleger Tobias Philippen und Marc Schäfers. Zu den Erstunterzeichnern gehören unter anderem die Autorin Elfriede Jelinek, Schauspielerinnen Corinna Harfouch und Maria Schrader sowie die Komikerin Cordula Stratmann.
Unter der Überschrift „Zeit für eine neue Vision“ fordern sie darin die Oberbürgermeisterin auf, beim Findungsprozess stärker auf Transparenz und künstlerische Qualität zu setzen. Die Intendantensuche solle auf der Höhe des zeitgenössischen Diskurses stattfinden. Wir drucken den Brief im Wortlaut ab.
Der offene Brief im Wortlaut
Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Reker,
durch den Rücktritt des designierten Kandidaten hat sich eine zweite Chance für Köln eröffnet, den Prozess der Intendant*innenfindung zu gestalten und dabei die Frage mitzudenken: Wie soll ein Stadttheater der Zukunft in Köln aussehen? Wir, Akteur*innen im Kulturleben von Köln, NRW und darüber hinaus, wünschen uns, dass das Sprechtheater in der viertgrößten Metropole Deutschlands die wichtige Rolle ausfüllt, die diese Bühne für eine multikulturelle Millionenstadt – aber auch für die gesamte deutschsprachige Theaterlandschaft – haben muss. Diese Rolle bedeutet eine große Verantwortung, gerade in Zeiten, in denen die offene Gesellschaft von rechts angegriffen wird. Wir glauben, dass die Institution Theater ihr nur entsprechen kann,
- wenn mit größerer Transparenz als bisher die Kriterien offengelegt und öffentlich diskutiert werden, nach denen die neue Intendanz gewählt wird.
- wenn die neue Intendanz gewillt ist, neue Struktur-, Partizipations- und Kooperationskonzepte umzusetzen. Das sollte die Aufgeschlossenheit für aktuelle Diskurse umfassen. So ist zur Zeit eines der wichtigsten Themen des zeitgenössischen Theaters, dass sich das Modell Stadttheater nicht zuletzt aufgrund althergebrachter, oft männlich geprägter Hierachien in einer Krise befindet. Längst gibt es Ideen für Mitbestimmungsmodelle, kollektivere Arbeitsstrukturen, gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Menschen unterschiedlicher Communities. So hat Köln die größte türkische Community der Bundesrepublik. Der Ansatz der letzten Jahre, sie in die konzeptionelle und künstlerische Arbeit einzubeziehen, sollte unbedingt weiter entwickelt werden.
- wenn öffentlich diskutiert wird, welches Theater diese Stadt braucht – und in diese Diskussion auch die reiche Kulturszene u. a. aus den Bereichen Literatur, Musik, Film und Bildende Kunst einbezogen wird.
- wenn die neue Intendanz überregionale künstlerische Strahlkraft mitbringt. Die Stadt hat ein sehr gut aufgestelltes Haus, und das sollte auch so bleiben – damit sich Köln weiterhin auf Augenhöhe zwischen Bochum, Bonn, Oberhausen, Dortmund und Düsseldorf behaupten kann.Aus gutem Grund, wie wir finden, leistet sich unsere Gesellschaft Institutionen wie das Schauspiel Köln. Besonders in Zeiten, in denen die Grundwerte demokratischen Zusammenlebens in Frage gestellt werden, bedarf es bei dieser Personalie ganz besonderer Sorgfalt. Das Schauspiel Köln soll in der Stadt und bundesweit gleichermaßen gesellschaftliche Relevanz entfalten können. Künstlerisch wie politisch. Mit Sicherheit sind viele hochkarätige Kandidat*innen und Teams bereit, diese Aufgabe zu übernehmen.
Wir bitten Sie darum, dafür Sorge zu tragen, dass die Entscheidungsfindung fundiert und mit Hilfe anerkannter Fachleute erfolgt, die sich mit diesen Themen auseinandersetzen. Nur so kann das Schauspiel Köln ein kommunikatives, diskursives, international vernetztes Zentrum der Stadtgesellschaft bleiben und der Umzug in die Stadtmitte gelingen. Nur so kann Theater ein widerständiger Ort der Kunst, ein für alle offener Ort der Begegnung und mithin ein würdiges Aushängeschild der Stadt Köln sein.
Unterzeichnet von:
Dogan Akhanli (Journalist & Autor)
Pit Bach (Gründer und ehemaliger Sprecher des Kölner Kulturrats)
Sibylle Berg (Autorin)
Björn Bicker (Autor und Theatermacher)
Martin Breitfeld(Lektor Kiepenheuer & Witsch)
Yvonne Büdenhölzer (Leiterin des Berliner Theatertreffens)