Dirigent Riccardo Minasi ließ in der Kölner Philharmonie Bellinis „Norma“ aufführen. Die Erwartungen an das Stück gehen auseinander.
„Norma“ in der Kölner PhilharmonieZwischen Bürgertum und Queerness
In Heinrich Heines „Florentinischen Nächten“ kommt der Komponist Vincenzo Bellini nicht besonders gut weg: Seine Züge, so heißt es da, hätten etwas „Vages, Charakterloses“, einen „Ausdruck von Schmerz“, der den „mangelnden Geist“ ersetze. Heines Gehässigkeiten sind so besonders infam, weil mit der Physiognomie des Komponisten eigentlich die seiner Musik geprügelt werden sollte: Ihren weit gesponnenen, schönheitstrunkenen Melodien haftete gerade hierzulande immer das Urteil einer elegisch-weichen Charakterlosigkeit an.
Eine Ausnahme bildete von jeher die 1831 an der Mailänder Scala uraufgeführte „Norma“: In dieser gallischen Variante des „Medea“-Stoffes ist die Form strenger, die Deklamation schärfer, der szenische Bau stabiler als in Bellinis früheren Opern. Sogar Wagner schätzte das Stück, das es heute indes aus einem anderen Grunde schwer hat: Die suggestive Interpretation durch die „Primadonna assoluta“ Maria Callas lastet noch immer bleischwer auf der Titelrolle - besonders auf der Arie „Casta Diva“, die eine zuweilen bizarr anmutende Doppelexistenz als bürgerliche Wunschkonzert-Nummer und Ikone der Queer- und Camp-Kultur führt.
Dirigent Riccardo Minasi setzt auf Dramatik
Es gab in den letzten Jahren manchen Versuch, die Oper aus dem Würgegriff der Rezeption zu befreien und zur „Ur-Norma“ zurückzukehren. Um sich dabei nicht dem Unbill des Regietheaters auszusetzen, geschah das meist auf dem Konzertpodium - so wie nun in der Kölner Philharmonie, wo der italienische Dirigent Riccardo Minasi seine konturenscharfe und von hitziger Dramatik durchglühte Version präsentierte.
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Schon in der Ouvertüre, die den kriegerischen Konflikt zwischen Galliern und Römern auf die Klangbühne bringt, wurden keine Gefangenen gemacht: Mit staubtrockenen Akzenten, von Becken und großer Trumm derbe grundiert, preschte das Orchester voran; wo sich eine kleine Melodie an die Oberfläche traute, brannte sie gleich lichterloh. Minasi und das Ensemble Resonanz sind in dieser Spielzeit Residenzkünstler der Philharmonie; schon ihr Zugriff auf die Konzertliteratur ist von furiosem Temperament und opernhafter Gestik geprägt - um so mehr ist er es hier im echten, wenn auch virtuell präsentierten Theater.
Besetzung kommt bei der Aufführung in der Kölner Philharmonie ins Schlingern
Ein erfahrenes und entsprechend flexibles Opernorchester ist das Hamburger Ensemble freilich nicht. Minasis von sehr eigenwilligen, vielleicht auch etwas geschmäcklerischen Rubato-Ideen geprägte Konzeption der „Casta Diva“-Arie etwa brachte die Truppe erheblich ins Schlingern - da genügt es eben nicht, dem Maestro zu folgen, da muss man auch der Sängerin und den Solisten aus den eigenen Reihen zuhören.
Minasis Besetzung der Hauptrollen warf ein interessantes Licht auf seine Auffassung des Stückes. So erlebte man keine ausgeprägten Belcanto-Stimmen mit schmelzender Italianità und edlem Klangfinish; stattdessen setzte der Dirigent auf Sängerpersönlichkeiten, die Kraft und Agilität in den Dienst des dramatischen Ausdrucks stellten.
WDR Rundfunkchor zeigt sich als Luxusbesetzung
Dank Minasis philologisch gereinigter Partitur-Fassung konkurrierten die beiden gallischen Priesterinnen auch in weitgehend identischer Sopranlage um die Gunst des römischen Besatzers: Reif und reich in den Farben klang Salome Jicia als Norma, jugendlich hell und gelegentlich sogar soubrettenhaft leicht Carmela Remigio als ihre Gegenspielerin Adalgisa. Michael Spyres (Pollione) führte seinen großen lyrischen Tenor auffällig (und nicht ungefährlich) breit in die Höhe; trotzdem schossen die Spitzentöne mit unfehlbarer Attacke in den Raum.
Zu den tadellosen Comprimari Krzysztof Baczyk (Oroveso), Julien Henric (Flavio) und Anna-Maria Torkel (Clotilde) gesellte sich als wahre Luxusbesetzung der WDR Rundfunkchor - auf welcher Bühne singen die unterdrückten Gallier ihre Schlachtrufe so wohl gerundet, so gut artikuliert, so präzise koordiniert in den punktierten Auftakten? Drei Stunden des konzertanten Belcantos können sich durchaus ziehen; hier indes empfand man dank der fesselnden musikalischen Gestaltung keinen Moment der Länge. Entsprechend groß war am Ende auch der Jubel.