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„Berlin, Berlin“ in Kölner PhilharmonieEnsemble fegt singend über die Bühne und feiert das Nachtleben der 1920er Jahre

Lesezeit 4 Minuten
Das Ensemble von „Berlin, Berlin“ auf der Bühne.

Fegt singend und tanzend über die Bühne: das Ensemble von „Berlin, Berlin“.

Eine Hommage an die Musik der 1920er Jahre und ein Fest für die Augen: Noch bis zum 2. Juli ist „Berlin, Berlin“ in der Kölner Philharmonie zu sehen.

Auf jeden Rausch folgt die Ernüchterung. Das gilt für wilde Partys und es gilt auch für die 1920er Jahre, die auf den Trümmern des Ersten Weltkriegs versuchten, die Freude am Leben wiederzufinden und die in der noch größeren Katastrophe endeten.

Viel wird heute darüber spekuliert, ob man Parallelen ziehen darf zwischen jener Dekade und unserer Zeit. Und so läuft es manchem im Publikum am Mittwochabend in der Philharmonie zu Beginn des Gastspiels von „Berlin, Berlin“ sicher kalt den Rücken runter, wenn ein Nazi im Ledermantel auf die Bühne stürmt und Gauland-zitierend „Wir werden euch jagen“ brüllt. Die braune Gefahr, sie ist auch heute nicht gebannt. Und am Ende der Show weht eine riesige Hakenkreuzfahne über der Bühne.

Berlin, Berlin: Das legendäre Nachtleben der 1920er Jahre

Geschichtsvergessend will die Show, die schon einmal in Köln zu Gast war und nun in überarbeiteter Fassung zum Start des Sommerfestivals in der Philharmonie zurückgekehrt ist, nicht sein. Das ist gut und wirkt zugleich ein wenig hilflos. Gründe und Folgen des Untergangs der Weimarer Republik sind eben in einer bunten Revue nur schwer zu behandeln.

Denn eigentlich soll es hier ja um das legendäre Nachtleben jener Jahre gehen, um Stars wie Marlene Dietrich (Lena Müller), die Friedrich Hollaenders berühmten langsamen Walzer „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ singt und den Männern dabei den Kopf verdreht. Den komponierte er zwar im Jahr 1930, aber geschenkt.

Die Dietrich war der Star jener Zeit, sie wurde der größte Hollywood-Star, den Deutschland je exportierte. Schon als Weltsensation gefeiert wurde Josephine Baker, als sie nach Berlin kam. Paige Fenlon macht sie auch hier zum Ereignis.

Aber der Star dieser Revue, die ein feierlustiges Volk im Admiralspalast vereint, ist Anita Berber. 29 Jahre alt wurde die Sängerin nur, unsterblich wurde sie durch das berühmte Bild von Otto Dix, unter dem Jil Clesse auch an diesem Abend sitzt und mit großer Stimme Cabaret singt, der ja im Übrigen auch nicht aus dieser Zeit stammt.

Darstellerin von „Berlin, Berlin“ in Smoking auf der Bühne.

Hommage an die Musik jener Zeit und ein Fest für die Augen: „Berlin, Berlin“ überzeugt auf der Bühne.

In Clesses Darstellung werden die Widersprüche und Brüche der 20er Jahre lebendig. Die Sehnsucht nach Lebensfreude und Hoffnung auf eine bessere Zukunft, die Notwendigkeit zu verdrängen und eine diffuse Angst vor dem, was kommt.

Ansonsten ist diese Revue, die sich glücklicherweise gar nicht erst an einer durchgehenden Handlung versucht, sondern vom Admiral (Simon Stockinger), dem Besitzer des Nachtclubs, lose zusammengehalten wird, aber vor allem ein Fest für die Augen und eine Hommage an die unsterbliche Musik jener Zeit, die das „Berlin Berlin-Orchestra“ famos live spielt.

Berlin, Berlin: Evergreens überzeugen

Die Wechsel zwischen deutsch- und englischsprachigen Songs, zwischen ruhigen Stücken und plötzlichen Ausreißern wie der Hommage an das Singspiel „Im weißen Rößl“ sind mitunter etwas wild, aber man verzeiht es gerne. Deutsche Klassiker wie „Es gibt nur ein Berlin“, „Raus mit den Männern aus dem Reichstag“, die wunderbaren Stücke „Es ist so schön am Abend bummeln zu geh'n“ und „Mein Bruder macht beim Tonfilm die Geräusche“ stehen neben amerikanischen Klassikern wie „Puttin on The Ritz“ und „Anything Goes“.

Die Comedian Harmonists dürfen noch einmal ein Medley ihrer größten Hits singen und überzeugen mit Evergreens wie „Wochenend und Sonnenschein“ und „Mein kleiner grüner Kaktus“. Und wann immer es die Gelegenheit gibt, fegt das Ensemble singend und tanzend über die Bühne.

Doch irgendwann ist alles vorbei. Die Hakenkreuzfahne weht, es bleibt nur die Hoffnung auf eine bessere Welt. Und Urberliner Kutte (Sebastian Prange) träumt von einem vereinten, bunten, lebensfrohen Berlin. Es hat sehr lange gedauert, aber er hat recht behalten. Und das ist doch sehr tröstlich.


„Berlin, Berlin“ ist noch bis 2. Juli in der Philharmonie zu sehen. Im Rahmen des Sommerfestivals folgen vom 4. bis 9. Juli „Ballet Revolución“, „Yamato - The Drummers of Japan“ und die Interpretation von Carl Orffs „Carmina Burana“ durch La Fura dels Baus (18. bis 23. Juli). Tickets gibt über die Hotline der Philharmonie unter 0221 280 280 oder unter tickets-direkt.de.