Das Kammerorchester Wien-Berlin trifft in der Philharmonie auf den Pianisten Rudolf Buchbinder
Rudolf Buchbinder in der PhilharmonieDer Pianist lässt es funkeln
Nur eine einzige Frau in einem immerhin 16-köpfigen Ensemble? Das darf man eklatant aus der Zeit gefallen nennen, aber dem Kammerorchester Wien – Berlin, das das jüngste Meisterkonzert in der Kölner Philharmonie bestritt, ist die hinter einer solchen Frage stehende „Wokeness“ offensichtlich wurscht.
Nun ja, wenn man als Hörer die Augen schließt, kann man das genderspezifische Missverhältnis verdrängen – und darf, der Musik lauschend, schlicht und einfach feststellen: Diese Mischformation aus den besten Musikern der Wiener und Berliner Philharmoniker (Konzertmeister ist Rainer Honeck, der Bruder des Dirigenten Manfred Honeck), eignet eine ausgezeichnete, den Sound der beiden Spitzenorchester überzeugend synthetisierende Klangkultur.
Frischer und temperamentvoller Klang
Die offenbarte gleich die einleitende zehnte Streichersinfonie von Mendelssohn. Das Ensemble spielte sie nicht zackig, sondern tendenziell weich, rund und gesanglich, mit typischer Mendelssohn-Anmutung eben, aber trotzdem frisch und temperamentvoll. Das ist eine Kombination von Gegensätzen, die man erst mal hinkriegen muss.
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Die reine Streicherbesetzung limitierte die Programmoptionen, aber ob man ins Zentrum des Abends ausgerechnet die kammermusikalische Reduktionsfassung von Chopins e-Moll-Klavierkonzert stellen musste, darf leise bezweifelt werden. Sicher waren die Orchesterkünste des Komponisten überschaubar, aber der Bläserapparat gehört dramaturgisch halt doch dazu. Dessen Fehlen fiel auch deshalb auf, weil Rudolf Buchbinder am Flügel wenig Neigung zeigte, seine konzertante Dynamik dem reduzierten Begleitapparat anzupassen.
Der Wiener Grandseigneur eines wahrhaft klassischen, souverän-erfüllten und dabei ganz auf äußere Effekte verzichtenden Klavierspiels ließ es erwartbar funkeln und glitzern, rauschen und singen, dass es eine Freude war. Bemerklich war allenfalls eine ganz kleine Portion von Routine, von Restkälte, von Weigerung, sich Chopins spezifischem Klavieridiom vollends zu überlassen – etwa dem Gegensatz zwischen der das Metrum definierenden linken Hand und der fantastischen Entgrenzung des Diskants. Das merkte man zumal am Kontrast zur Zugabe, einer mit wunderbaren Wiener Rubati gespickten, dabei hochvirtuosen und vom Publikum zu Recht bejubelten „Fledermaus“-Paraphrase.
Am Schluss (vor einer Joseph-Strauß-Zugabe) stand die inspirierte Wiedergabe von Dvoráks schöner Streicherserenade Opus 22, die böhmische Folklorismen und zwischen den einzelnen Stimmgruppen verhandelte Kanonkünste in ein bemerkenswert stimmiges Gleichgewicht bringt. Dieses Gleichgewicht zwischen Konstruktion und Emphase bestimmte auch die Interpretation – wobei es einigermaßen beruhigend ist, dass auch einer derart superben Formation Fehler unterlaufen. Der erste Satz beginnt der Partitur zufolge pianissimo, erst die Themenwiederholung in der ersten Violine ist piano zu spielen. Bei Wien– Berlin kam das – warum eigentlich? – genau umgekehrt.