Köln – Bücher von Überlebenden der Nazi-Vernichtungslager gibt es viele, aber keines ist wie dieses: Als 1992 im Göttinger Wallstein-Verlag Ruth Klügers Autobiografie „Weiter leben. Eine Jugend“ erschien, wurde die interessierte Öffentlichkeit nahezu mit einem Tabubruch konfrontiert.
Wer (wieder einmal) ein Buch der Verzweiflung, der Klage, der (lesbaren) Trauer erwartet hatte, wurde verstörend enttäuscht: In „Weiter leben“ waltet äußerste Kälte, Distanz und Ernüchterung – und zwar auf der Darstellungsebene, nicht nur im Bereich des Dargestellten, der Höllen von Theresienstadt und Auschwitz: „Der Tod, nicht Sex war das Geheimnis, worüber die Erwachsenen tuschelten, wovon man gern mehr gehört hätte“, lautet der erste Satz.
Ruth Klüger 1931 geboren
Ruth Klüger – 1931 als Kind jüdischer Eltern in Wien geboren und 1947 aus dem unwirtlichen Europa in die USA emigriert, wo sie als Germanistik-Professorin an den Universitäten Princeton und Kalifornien (Irvine) lehrte (geforscht und publiziert hat sie unter anderem über Kleist) – Ruth Klüger also war hierzulande bis zu diesem Zeitpunkt den wenigsten ein Begriff gewesen, danach war sie es für die meisten – jedenfalls derjenigen, die sich überhaupt für das Thema interessierten.
Deutschland hat sie sich später – auch im Rahmen einer Gastprofessur in Göttingen – wieder genähert. Schließlich kam das Jahr 2015 mit der Grenzöffnung für die Flüchtlinge. Es sei für sie eine Ehre, vor der Regierung von Kanzlerin Angela Merkel eine Rede im Deutschen Bundestag zu halten, sagte die vielfach Ausgezeichnete im Januar darauf, kurz vor dem 71. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung, im Berliner Parlament.
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„Dieses Land, das vor 80 Jahren für die schlimmsten Verbrechen des Jahrhunderts verantwortlich war, hat heute den Beifall der Welt gewonnen dank seiner geöffneten Grenzen und der Großzügigkeit, mit der Sie syrische und andere Flüchtlinge aufgenommen haben und noch aufnehmen.“
Jetzt ist Ruth Klüger 88-jährig nach langer Krankheit im Kreis ihrer Familie in Irvine gestorben. Ab und zu sei sie mit Freunden nach Las Vegas gefahren, um in den dortigen Casinos zu spielen, ist aus ihrem Umfeld zu hören. Klüger habe darob geplant, à la Dostojewski einen Spieler-Roman zu schreiben. Dazu ist es nicht mehr gekommen.