Tash Sultana im Kölner TanzbrunnenEsoterischer Trip mit einem geschlechtslosen Genie
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Köln – Er fällt einem nur äußerst selten bewusst auf: der Jungle aus Kategorien und Schubladen, durch den wir uns in unserem Denken, Sprechen, Bewerten tagtäglich hindurch navigieren. Ob es nun binäre Unterscheidungen sind, wie Mann oder Frau, oder aber Musikgenres, die am besten fein säuberlich in Schubladen einsortiert werden müssen. Allein auf sprachlicher Ebene ist es geradezu eine Herausforderung, sich nicht an derartige Muster anzupassen.
Eine Tatsache mit der Tash Sultana geradeheraus konfrontiert. Tash kommt aus Australien, ist letzten Monat 24 Jahre alt geworden und macht mittlerweile äußerst erfolgreich Musik (da – schon wieder Kategorien: Nationalität, Alter, Tätigkeit). Doch Tash will sich weder als Person in Kategorien einordnen lassen, noch ist das musikalisch möglich. Denn Tash definiert sich weder als Frau, noch als Mann. Non-binär nennt sich das. Musikalisch könnte man sie* nun als Multiinstrumentalistin* bezeichnen, denn alle 15 Instrumente auf ihrem* 2018 erschienenem Debütalbum „Flow State“ hat sie* selber eingespielt, doch auch das wäre zu einfach. Passender ist wahrscheinlich der Begriff Genie.
Auch am Freitagabend wird Tash dieser Beschreibung im so gut wie ausverkauften Kölner Tanzbrunnen wieder einmal mehr als gerecht. Rund 11.000 Menschen strömen trotz mörderischer Temperaturen vor die Bühne, auf der Tash barfuß umherhüpfend mal rockige, mal soulige, mal synkopierte Reggae-Gitarrenriffs auf ihrer* Loopstation übereinanderschichtet, hinzu kommen Hip-Hop-Rhythmen, Beatboxing und übereinandergetürmte Gesänge. Da kann einem beim Zuhören schon mal schwindlig werden. Vielleicht ist es aber auch nur das Wetter, das die Rettungskräfte auf Trab hält, weil bei einigen Konzertbesuchern der Kreislauf schlapp macht. Dabei haben die Veranstalter von FKP Scorpio und Prime Entertainment die Mitnahme leerer Halbliter-Plastikflaschen auf das Gelände erlaubt und zudem kostenlose Wasserstationen bereit gestellt.
Tash hingegen ist die Hitze aus ihrer* Heimat offenkundig gewohnt und tanzt, rennt, hüpft, schwebt über die Bühne, lässt wunderbar verspielte Gitarrenriffs durch die Luft fliegen, schnappt sich im nächsten Moment die Trompete und reckt sie gen Himmel, dann gleiten ihre* Finger schon wieder über das Keyboard und all das geschieht mit solcher Leichtigkeit, das man meinen müsste, es stünde eine ganze Band auf der Bühne. Doch es ist nur Tash, die* sich dort in minutenlangen Jams verliert, deren* Songs alle um die 10 Minuten dauern – oder? Die Melodien fließen so mühelos ineinander über, dass es beinah unmöglich ist, festzustellen, wann ein Song endet und der nächste beginnt.
Auf den drei schmalen Leinwänden im Hintergrund fliegen esoterische Mandalas umher, die Musik steigert sich in halluzinatorische Zustände, Tash Sultana schreit kurz auf und lässt sich wieder in den psychedelischen Taumel der neon-grell leuchtenden Arrangements fallen. Das Publikum fällt mit ihr*, es taucht erst nach guten 45 Minuten kurz wieder aus der musikalischen Trance auf, als Tash zum ersten Mal spricht. Sie* freue sich, dass sie* vor sich Menschen jeden möglichen Geschlechts, jeder Sexualität, jeder Ethnie sieht. Und fordert im nächsten Moment auf, nicht über „diesen Scheiß“ nachzudenken. „Lasst uns einfach die Musik genießen!“ Jubel brandet auf, zusammen mit „Can’t Buy Happiness“.
Den letzten Song vor der Zugabe, „Jungle“, singt das Publikum gemeinsam mit Tash: „Willkommen im Dschungel/ Du musst deine Augen schließen und sehen“.