Herr Bosbach, Herr Rach, die Bilder der Flutkatastrophe aus unserer Region gehen derzeit um die Welt. Hätten Sie jemals damit gerechnet, dass so etwas in Deutschland passieren kann?
Bosbach: Wir hatten ja schon in der Vergangenheit eine Fülle von Starkregen-Ereignissen, das Kellergeschoss unserer Kanzlei hat schon einmal in gleicher Weise unter Wasser gestanden – glücklicherweise nur erheblicher Sachschaden. Ich kann mich auch noch gut erinnern, als ich Anfang der Siebziger Jahre als Supermarktleiter in Refrath aktiv war und der Keller mit seinem gesamten Warenbestand über einen Meter unter Wasser gestellt wurde. Aber diese hohe Zahl von Opfern und die Tatsache, dass ganze Ortschaften weggeschwemmt worden sind: Da ist man fassungslos und kann gar nicht die richtigen Worte finden.
Rach: Ich kann nur sagen: helfen, helfen, helfen. Geld ist das, was im Moment am meisten gebraucht wird. Es gibt ja etliche Menschen, die gar nicht versichert waren gegen die Schäden oder die sich nicht versichern konnten, weil ihre Häuser in der Nähe eines Flusses stehen.
Wie sehr wird die Flutkatastrophe den Wahlkampf dominieren?
Bosbach: Bitte jetzt kein parteipolitisches Hickhack. Das Letzte, was wir jetzt brauchen, sind parteipolitische Schuldzuweisungen. Und bei der Schadensregulierung bitte schnell, unbürokratisch handeln und keine Erbsenzählerei, wenn die Angaben glaubhaft und plausibel sind. Beliebt ist ja die Frage nach Rechnungen und Quittungen. Aber wenn alles weggeschwemmt wurde, macht das keinen Sinn. Klar ist aber auch: Was man mit Geld kaufen kann, lässt sich im Zweifel immer noch verschmerzen, aber die ganzen Emotionen, die an einem Haus hängen, das sind ja Erinnerungen über Jahrzehnte. Diesen Schaden kannst du nicht beziffern. Vom Verlust der Angehörigen ganz zu schweigen.
Es wird bereits diskutiert, ob die Flutkatastrophe der grünen Partei Stimmen bringen wird. Oder ob doch eher Armin Laschet profitiert, der jetzt als Krisenmanager gefragt ist.
Bosbach: Außer der AfD hat ja keine Partei den Zusammenhang der Flutkatastrophe mit dem Klimawandel geleugnet. Das ist mittlerweile in den anderen Parteien unumstritten. Unterschiedliche Auffassungen gibt es allerdings bei der Frage welche politischen Konsequenzen daraus jetzt gezogen werden müssen.
Rach: Die Bilder von Armin Laschet, wie er während der Rede des Bundespräsidenten Steinmeier lacht, sind natürlich unglücklich. Jemand, der Kanzler werden will, muss in so einer Situation sich und seine Mimik im Griff haben. Wegen solcher Dinge wird die Katastrophe dann zur Partei-Auseinandersetzung. Es ist schändlich und schädlich, wenn das passiert.
Wie beurteilen Sie den Lacher, Herr Bosbach?
Bosbach: Niemand weiß besser als Armin Laschet selber, dass das ein grosser Fehler war. Die Kritik ist berechtigt, und deshalb bin ich auch sehr froh, dass sich Laschet mittlerweile mehrfach glaubhaft entschuldigt hat. Da hilft auch der Hinweis nicht, dass Steinmeier seinerseits im Hintergrund gelacht habe, während Laschet sprach. Armin Laschet steht im Wahlkampf und damit unter permanenter öffentlicher Beobachtung. Das war mehr als unglücklich, wird uns allerdings auch nicht bis zum 26. September beschäftigen können, weil diese Debatte kein einziges Problem löst.
Armin Laschet steht auch für ein Interview in der „Aktuellen Stunde“ des WDR in der Kritik, wo er gesagt hat, das Ereignis sei für ihn kein Grund, die Klimapolitik zu ändern. Stimmen Sie ihm zu?
Bosbach: Der Klimaschutz steht doch seit Jahren auf der politischen Tagesordnung ganz oben. In der Beurteilung der Lage gibt es zwischen den Partien gar keine großen Unterschiede, es geht eher um die Frage: Was machen wir wann und wie? Setzen wir eher auf Gebote oder Verbote oder auf moderne Technologien, auf nachhaltige Innovationen? Und unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung von CO 2 wäre es vermutlich klüger gewesen, zunächst aus der Kohleverstromung und erst dann aus der Kernenergie auszusteigen.
Rach: Das ist schon eine Aussage, für die man Armin Laschet kritisieren kann. Ein solches Ereignis ist natürlich ein Grund, schneller und entschlossener zu handeln. Nicht nur müssen wir unsere Politik und auch unsere Wirtschaftspolitik ändern, sondern wir alle müssen auch unser Verhalten radikal ändern.
Vor der Flutkatastrophe gingen Nachrichten von der Hitzewelle in Kanada mit mehr als 50 Grad um die Welt. Das Gefühl bei vielen dürfte gerade sein: Die Lage wird ernst, wir müssen noch mehr tun.
Bosbach: Das ist ja auch nicht falsch. Man muss mir nur ganz konkret sagen, was mit „noch mehr“ genau gemeint ist. Wir stellen ein Prozent der Weltbevölkerung und verursachen zwei Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes. Bei den Strompreisen sind wir schon jetzt Spitze. Wenn bestimmte Produkte deshalb nicht mehr bei uns produziert werden, sondern an anderen Standorten, hilft das der CO 2 Bilanz nicht. Wir können politisches Vorbild sein, die Technologieführerschaft anstreben – alleine das Weltklima retten, das können wir nicht.
Rach: Das ist zwar richtig, aber diese zwei Prozent halten für mich immer ein bisschen als Unschuldslamm her. Hinter dieser Argumentation kann man sich gut verstecken. Deutschland wird in der gesamten Welt geachtet und geschätzt. Wenn wir in Deutschland anfangen und der Welt beweisen, dass man Klimaschutz betreiben kann, ohne massiv auf Wohlstand und Entwicklung zu verzichten, dann haben wir eine Vorbildfunktion für China und die USA. Dann folgen uns alle.
Die Grünen verbrennen sich durchaus die Finger mit konkreten Vorschlägen, sei es ein künftiges Verbot von Inlandsflügen oder das Tempolimit auf Autobahnen. Ist es ehrlich, wenn die CDU suggeriert, dass Klimaschutz zu haben ist, ohne dass sich die Menschen einschränken oder Fliegen teurer werden müsste?
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Bosbach: Wir sind gerade im NRW von internationalen Großflughäfen umgeben. Wenn nur in Deutschland die Ticketpreise stark steigen, werden viele eben ab Amsterdam oder Brüssel fliegen. Uns ich möchte nicht, dass sich Flugreisen nur noch Gutverdiener leisten können.
Rach: Wenn meine Fahrt mit dem Taxi zum Flughafen teurer ist als der Flug von Hamburg nach Mallorca, dann kann da etwas nicht stimmen. Es spricht auch kein Argument für eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen, wir wissen, dass ein Tempolimit von 130 CO2 spart. Wir könnten auch ruhig eine Kerosinsteuer europaweit für Flugbenzin einführen. Auch bei schweren Schiffsmotoren könnte man sich europaweit einigen, dass diese bestimme Normen erfüllen müssen. Dann hätten wir echten Fortschritt.
„Wochentester“ starten mit neuen Folgen
Der Podcast „Die Wochentester“, in dem Wolfgang Bosbach und Christian Rach jeden Freitag über die wichtigsten politischen und gesellschaftlichen Ereignisse der Woche diskutieren, startet am heutigen Freitag nach einer kurzen Sommerpause wieder. Gesprächspartner in der neuen Folge ist der Diplom-Meteorologe Sven Plöger zur Frage, was die Flut mit dem Klimawandel zu tun hat. Außerdem sprechen die beiden Moderatoren mit dem Hamburger Virologen Jonas Schmidt-Chanasit, Virologe, zur Frage, wie groß die Gefahr der vierten Welle für Deutschland ist. Die neue Folge ist seit Freitag, sieben Uhr, für Sie freigeschaltet. Falls Sie Spotify oder andere Musik- oder Podcast-Apps auf Ihrem Handy installiert haben, können Sie den Podcast unter „Wochentester“ suchen und kostenfrei abonnieren. Sie können ihn auch auf unserer Seite hören.ksta.de/podcast
Bosbach: Die Durchschnittsgeschwindigkeit auf deutschen Autobahnen beträgt 117 Stundenkilometer.
Ein weiteres Wahlkampfthema ist die Sicherheit der Rente. Wirtschafts-Experten haben in einem Gutachten erklärt, dass eigentlich kein Weg an der Rente mit 68 vorbeiführt. Armin Laschet sagt dazu, man müsse irgendwann darüber nachdenken, die Lebensarbeitszeiten weiter zu verändern, aber er sähe das Thema nicht jetzt.
Rach: Das ist ja auch ein unglückliches Thema für den Wahlkampf. Einen dieser Wirtschafts-Experten hatten wir vor der Sommerpause in unserem Podcast zu Besuch. Der hatte unglaublich gute Argumente, die vermutlich auch von der Politik nicht abgestritten werden. Ich glaube nicht, dass die Politik drum herumkommt, sich in der neuen Legislaturperiode damit auseinanderzusetzen.
Bosbach: Wir haben die Rente mit 67 beschlossen, die jetzt in Schritten kommt. Aber da sind wir noch lange nicht. Darum weiß ich nicht, warum wir heute einen Beschluss über die 68 fassen sollten. Mich bewegt eher, warum wir kein flexibles Renteneintritts-Alter haben, so wie andere Länder. Manche Menschen haben körperlich hart gearbeitet und können nicht mehr, der andere würde mit 65 Jahren gerne noch weiterarbeiten. Wir brauchen auch Sicherheit auf der Arbeitgeberseite. Die möchten auch gerne wissen, wann die Mitarbeiter ausscheiden. Wir führen diese Debatte übrigens vor allem aus einem erfreulichen Grund: Wir werden immer fitter und älter.
Sehr emotional diskutiert wird die Frage nach dem Gendern. Wie lautet Ihre Erklärung dafür?
Rach: Weil es eine Debatte ist, die die Mehrheit der Bevölkerung nicht nachvollziehen kann und wo sie sich dominiert fühlt von einer Minderheit. In Hamburg haben die Verkehrsbetriebe gerade den Begriff Schwarzfahren aus dem Vokabular entfernt. Das gab einen Aufschrei der Entrüstung, weil man nachgewiesen hat, dass das Wort in keiner Weise einen rassistischen oder beleidigenden Hintergrund hat. Auch das ist ein Beispiel für eine Diskussion, wo die Menschen nicht mehr mitkommen.
Herr Bosbach, auch Sie lehnen die Sprech-Lücke ab.
Bosbach: Richtig. Ich lasse mir von anderen Leuten nicht sagen, wie ich zu sprechen oder zu schreiben habe. Wenn es jemand anders machen möchte, sage ich aber: bitte schön. Ich bin in dem Moment raus, wenn es zum Beispiel bei Examensarbeiten Punktabzüge gibt. Das ist für mich Ideologie. Ich glaube, eine große Mehrheit der Bevölkerung denkt: Lasst mich doch in Ruhe damit. Vielleicht sollten wir uns mal fragen ob wir wirklich die richtigen Prioritäten setzen bei den gesellschaftlichen und politischen Debatten.
Diese Bundestagswahl ist eine besondere: Angela Merkel tritt nach 16 Jahren ab. Welche Rolle wird sie im Wahlkampf spielen?
Bosbach: Ich glaube nicht, dass sie sich aktiv beteiligen wird, sie hat im Moment mit der Bewältigung verschiedener Krisen alle Hände voll zu tun. Sie wird beansprucht sein bis zum letzten Amtstag, von dem wir noch gar nicht wissen, wann der ist. Wir wissen, dass der neue Bundestag 30 Tage nach der Wahl zusammentreffen muss. Aber bis ein neuer Kanzler oder eine neue Kanzlerin gewählt ist: Das kann dauern.
Rach: Ich habe als Wähler vor dieser Wahl den Anspruch, eine klare Kontur zu sehen. Ich will kein Wischiwaschi, sondern wissen: Wofür steht eine Partei? Das sind die Parteien dem Wahlvolk schuldig und das fehlt mir im Moment noch.
Die Corona-Krise ist noch lange nicht vorbei, in vielen Ländern sind die Inzidenzen wieder nach oben geschossen. Wie groß ist Ihre Sorge vor der vierten Welle in Deutschland?
Bosbach: Großbritannien hat ja gerade alles komplett abgeschafft an Restriktionen – und das an einem Tag, an dem sich der Premierminister selbst in Quarantäne befindet. Das ist Wahnsinn. Man kann bei den vielen Menschen, die jetzt Urlaub machen, nur an die Vernunft des Einzelnen appellieren. Als einer, der Mallorca liebt, glaube ich, dass die Insel ganz unglücklich ist mit dem Verhalten vieler Urlauber. Bei unserer heutigen Inzidenz in Deutschland hätten wir vor einem halben Jahr noch alle Glocken geläutet vor Freude. Aber die Ansteckungsgefahr durch die Delta-Variante ist so hoch, da können wir nicht Entwarnung rufen, sondern müssen vorsichtig bleiben. Und bitte nicht beim Impfen nachlassen. Wer tatsächlich daran glaubt, dass bei ihm durch eine Impfung Genmaterial verändert werden könnte, der sollte eine Impfung vielleicht auch als Chance betrachten.
Rach: Einen weiteren Lockdown können wir uns weder psychologisch noch wirtschaftlich leisten. Und ich muss Wolfgang recht geben. Nach dem zweiten Bier setzt der Verstand oft aus. Ich verstehe, dass man jetzt auch mal wieder das Leben einatmen möchte, aber parallel bitte testen und impfen.
Wie stehen Sie zu Impf-Lockangeboten für Unentschlossen?
Bosbach: Ich bin für niederschwellige Impfangebote so wie etwa die aufsuchenden Impfungen in den Kölner Stadtteilen mit hohen Inzidenzen. Wir sollten nicht drohen, sondern werben.
Rach: Man sollte aber nicht mit Euros winken. Als jemand, der in der Schlange gestanden hat, würde ich mich wirklich darüber ärgern, dass die, die sich bislang dem Impfen verweigert haben, jetzt belohnt werden. Wir müssen den Prozess unbedingt vereinfachen, damit man vor einer Impfung nicht 20 Seiten Papier ausfüllen muss. Ein gutes Beispiel ist der Covpass, der ganz wunderbar und geräuschlos funktioniert.
Worum wird es in Ihrem Wochentester-Podcast in den kommenden Wochen gehen?
Bosbach: Die Flutkatastrophe wird natürlich dominant sein, aber wir schauen auch immer nach vorne. Und wir werden wie immer viele Gäste aus Politik, Gesellschaft und Sport haben. Wir werden kritisch nachfragen, aber auch die Abteilung Optimismus nicht völlig ausblenden.
Rach: Und wir sind definitiv kein CDU-Podcast, auch wenn Wolfgang jetzt im Wahlkampf für die CDU unterwegs ist. Wir werden die Dinge kritisch betrachten. Ich bin in den nächsten Wochen vielleicht etwas mehr zuständig dafür, der CDU auf die Finger haut. Die „Wochentester“ leben davon, dass weder Christian Rach noch Wolfgang Bosbach meinen, ihre Meinung sei die einzig richtige.