Nach dem Vorrunden-Aus Deutschlands bei der WM in Katar diskutieren Leser über die Gründe fürs Scheitern, die Zukunft von Bundestrainer Hansi Flick und die mitunter zu hohen Ansprüche an die Nationalmannschaft.
Leserbriefe zum WM-Aus:„Zu viel negatives Drumherum“
WM: Begeisterung und Freude kamen nicht auf
Was Begeisterung und Freude auf die Spiele der WM 2022 in Katar betrifft, war sie für das deutsche Publikum schon beendet, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Medien, Politik und auch der DFB stürzten sich wenige Wochen vor Beginn mit extrem negativen Beiträgen zu Menschenrechtslage, Unterdrückung von Frauen, Verbot von LGBTQ in Katar sowie schlechten Arbeitsbedingungen von Gastarbeitern beim Bau der Fußballstadien in die Vorberichterstattung.
Sogar bei den TV-Kommentatoren war dies immer wieder Thema Nummer Eins. Über Menschenrechte und Missstände zu berichten und zu diskutieren – so weit, so gut. Auf mich wirkte diese Debatte allerdings extrem heuchlerisch, vom Zeitpunkt her unangemessen und dem Weltfußball-Ereignis allgemein nicht angemessen. Heuchlerisch, weil wir Katar einerseits brandmarken, jedoch liebend gern Investitionen in den bedeutendsten deutschen Industrien sowie Gaslieferungen zulassen. Wir sind nicht glaubwürdig!
Wen wundert es da, dass nur wenige Fans den Weg nach Katar fanden, dass hierzulande keine Weltmeisterschaft-Stimmung aufkam und dass unsere Nationalmannschaft verunsichert auftrat und ohne klaren Siegeswillen bei soviel Negativem drumherum. Politik und Medien musste bereits nach der Vergabe im Dezember 2010 vollkommen klar sein, dass Fifa und DFB die Weltmeisterschaft in ein Land vergeben hatten, das unsere Werte nicht teilt. Erwartet hätte man dann auch die konsequente Entscheidung, nicht an der Weltmeisterschaft in Katar 2022 teilzunehmen. Reinhold Wantke Bergheim
Reaktion auf Vorrunden-Aus übertrieben
Schon während des Spiels gegen Costa Rica stimmte der TV-Kommentator die ersten Weltuntergangsgesänge an und setzte den Ton für die nachfolgenden Kommentare in den Medien. Dies verdarb mir schon während des Spiels die Laune, mehr als das Spiel selbst. Denn die deutsche Nationalmannschaft spielte nicht schlecht und gewann 4:2. Aber das wollte niemand wirklich wissen.
Das vermeintlich auf Erfolg abonnierte Fußball-Deutschland sieht sich schon wieder bis auf die Knochen blamiert und nun am Abgrund. Geht es nicht eine Nummer kleiner? Wenn man sachlich bleibt, gibt es einiges zu analysieren. Und wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass andere dazugelernt haben und sowohl gut Fußball spielen als auch Taktiken entwickeln können. So haben die japanischen Kicker viel in Europa gelernt.
Eine andere Sache sind die Emotionen des Publikums. Da sollte der erwähnte Kommentator mal in sich gehen: Statt das Fernsehpublikum wenigstens ein bisschen zu trösten, streute er kräftig Salz in die Wunde und stürzte uns in eine weitere Krise. Dabei sollte Fußball doch eher von den gegenwärtigen Krisen ablenken. Wolfgang Reinert Köln
Zweifel an Flicks Eignung als Bundestrainer
Insgesamt ist die bisherige Ära Flick keine Erfolgsgeschichte, sondern vielmehr eine Fortsetzung des von Löw eingeleiteten Niedergangs. Der DFB als Arbeitgeber wird sich zu den Fehlleistungen seines Angestellten Hansi Flick Gedanken machen müssen und hoffentlich etwas rationaler entscheiden als bei seinem Vorgänger Jogi Löw, der schon vor seiner Blamage bei der WM 2018 zur Weltmeister-Trainer-Ikone erstarrt war und nicht begreifen konnte, dass sich die Fußballwelt auch nach der WM 2014 weiter entwickelte und weitere Siege nicht selbstverständlich sein würden.
Gleichwohl gestattete der DFB ihm unbegreiflicher Weise, noch weitere drei Jahre bis zur misslungenen EM 2021 zu verplempern, bis man sich Mitte 2021 endlich trennte. Ob Flick der geeignete Mann für die Zukunft ist, lässt sich schon in Anbetracht der Tatsache bezweifeln, dass es ihm in 15 Monaten nicht gelungen ist, eine wettbewerbsfähige Mannschaft zu formieren. Inwiefern ihm das jetzt in 18 Monaten bis zur EM 2024 gelingen sollte, ist zumindest eine offene Frage.
Für diesen Fall wäre es zweckmäßig, zwei Dinge zu bedenken: Zum einen sein System den vorhandenen Spielen anzupassen, ohne weiter vom FC Bayern zu träumen, wo er aus dem Vollen schöpfen konnte, zum anderen von der Tatsache auszugehen, dass zahlreiche sehr gute Einzelspieler noch lange keine harmonische deutsche Mannschaft bilden, die derzeit als Ganzes allenfalls Mittelmaß ist. Klaus-Dieter Scherer Köln
WM wurde schlecht geredet
Die Deutschen sind raus. Natürlich eine große Enttäuschung. Auch für mich. Natürlich hat die Mannschaft ohne jeden Biss und ohne die nötige Begeisterung gespielt. Aber wo sollte die denn auch herkommen? Wochenlang wurde die WM in der Presse schlecht geredet. Menschenrechte, Frauenrechte, schlecht behandelte Wanderarbeiter, viel zu warm in Katar und WM ohnehin gekauft.
Die Spieler wurden bedrängt: Sollen sie da überhaupt hin? Wie denken sie darüber? Was wollen sie gegen Missstände tun? Zuschauer wurden gespalten: WM gar nicht anschauen! Und wer doch schaute, hatte fast ein schlechtes Gewissen. Die Presse wirft der Mannschaft nun mangelnde Begeisterung vor. Und fragt, warum die Begeisterung der Fans nicht gelang. Das ist auch Doppelmoral!Gerd Vormann Kerpen
Nach WM-Aus: Ein Ruck muss durch Deutschland gehen
Unsere Nationalmannschaft steht seit der Nachkriegszeit nicht von ungefähr sinnbildlich für die Entwicklung ganz Deutschlands, die mittlerweile zu Besorgnis Anlass gibt. Aus dem „Wunder von Bern“ im Jahre 1954 entwickelte sich über Jahrzehnte eine leistungsstarke, resiliente, immer wieder mit großen Erfolgen gesegnete Mannschaft, die sich und eben ganz Deutschland großes Ansehen und Respekt in der Welt verschaffte.
Leistungsbereitschaft, Kompetenz, Charakter und Stringenz standen im Fokus und spiegelten folgerichtig gleichzeitig den Aufschwung unserer Volkswirtschaft zu einer der stärksten in der Welt. Die Tugenden von Beckenbauer, Matthäus und Völler standen im Einklang mit den großartigen Ingenieurleistungen von VW, Mercedes und BMW sowie der zuverlässigen und qualitativ hochwertigen Arbeit ihrer Belegschaften, die auch Überstunden eher klaglos hinnahmen.
Dass die deutschen Autobauer bei einer jetzt deutlich softwarebasierten Technik von Tesla & Co. fast abgehängt sind, nimmt kein Wunder und steht leider schon jetzt beispielhaft als Mahnmal für ein in der Tat rückständiges Deutschland, in dem die „Work-Life-Balance“ und die fälschlicherweise als Moral verstandene Doppelmoral den Takt in unserer Gesellschaft vorgibt. Was jetzt auf ganzer Linie geschehen muss, hat der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog schon 1997 gesagt: Es muss ein Ruck durch Deutschland gehen! Winfried Fischer Köln
Deutsches WM-Aus: Gescheitert an den eigenen Ansprüchen
Maximilian König schreibt im Artikel „Deutschland am Boden“ in der Printausgabe des „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 3. Dezember, dass Anspruch und Wirklichkeit in Deutschland in vielen Bereichen auseinanderklaffen. Warum ist das so? Weil wir es verlernt haben, auch einmal ein Auge zuzudrücken. Stattdessen scheitern wir regelmäßig an unseren eigenen Ansprüchen und spielen uns zu etwas auf, was wir nicht sind: bessere Menschen. Wenn wir das beherzigen, werden wir auch wieder erfolgreicher sein. Niklas Sobotka Köln
Vertrauen in DFB-Trainerstab verloren
In seinem Kommentar „Schockierend mittellos“ beschrieb Frank Nägele bereits am 26. September die Defizite der deutschen Fußball-Nationalmannschaft nach der 0:1-Niederlage gegen Ungarn in der Nations League. Es war im Übrigen schon damals die gleiche Hilflosigkeit im Team, die sich anschließend auch in den Einlassungen des Bundestrainers zeigte. Gegen kompakte Mannschaften, die defensiv ausgerichtet sind und auf Konter setzen, fehlen sowohl das richtige Personal als auch die richtige Taktik.
Wenn man zudem mehrere Spieler aufbietet, die gegenüber anderen Teams leistungsmäßig erkennbar abfallen, wie Thomas Müller, Niklas Süle, Nico Schlotterbeck und David Raum und am umständlich sowie mutlos agierenden Joshua Kimmich festhält, dann kann am Ende das Gesamtpaket nicht stimmen. Bedenkt man zudem die Mängel bei Standards und im aktionalen Coaching, so tragen Hansi Flick und seine Assistenten ein sehr hohes Maß an Verantwortung für die vorzeitige Abreise. Auch im Trainerstab braucht es dringend eine Auswechslung. Paul Klingen Pulheim
WM: Politischer Einfluss hat Spieler verunsichert
Das sportliche Ergebnis ist bedauerlich, zumal es durch nur ein Tor entschieden wurde, das in einem anderen Spiel der Gruppe fiel, was dem Laien nicht sofort einleuchtet. Aber so schlecht, wie oft dargestellt, war unsere Mannschaft nicht. Trainer Hansi Flick sollte bleiben, über Oliver Bierhoff kann ich mir kein Urteil erlauben. Wir haben gute Chancen, in der Europameisterschaft in zwei Jahren kräftig aufzuholen und zu zeigen, was immer noch in uns steckt!
Düster sieht es für mich auf der politischen Seite aus. Gewiss, von den großen Verbänden des Sports ist Politik nicht zu trennen. Aber auf dem Spielfeld hat diese absolut nichts zu suchen! Weiße oder rote Binden, Mund- oder Augen-Zuhalten sind armselige Gesten, die die Spieler verunsichern und entzweien. Verständlich, dass Spieler nervös werden und nach dem ganzen Rummel nervlich versagen.
Gestört hat mich in Katar auch die herablassende Haltung gegenüber diesem erfolgreich aufstrebenden jungen Staat, der eine WM mit einer von allen Seiten gelobten Organisation auf die Beine gestellt hat. Die schlechten Arbeitsbedingungen der gut bezahlten Auslandskräfte werden allerdings mit Recht kritisiert. Da es sich um eine Weltmeisterschaft handelt, hätten wir die vertretenen Kulturen und Religionen mit größerem Respekt behandeln müssen.
Wir Deutschen lieben aber das Missionieren anderer Völker und vergessen, dass man etwa die Meinung des katarischen „Sympathiebotschafters“ über Homosexualität noch in meiner Jugend in Deutschland ungestört hören konnte – und nicht nur als Einzelstimme! Und man prüfe einmal, was mehrere afrikanische Staaten von gleichgeschlechtlichen Beziehungen halten.
Verständlich, dass nach dem sportlichen Scheitern Deutschlands und seiner eloquent-missionierenden Außenministerin bei einigen Nationen Schadenfreude aufkommt und Katar sich von vielen Nationen bestätigt sieht. Ich danke dem Emir von Katar, dass er uns trotz der von Deutschland geübten Kritik eine begrenzte Menge Erdgas ohne moralische Auflagen zur Verfügung stellen will. Achim von Dombois Köln
„Runter vom hohen Ross, Deutschland“
Einige in Deutschland leben in einem Kokon und glauben, dass der Rest der Welt unsere Standpunkte akzeptieren und übernehmen muss. Das grenzt nicht nur an Arroganz, sondern auch an Mittelmäßigkeit. Es gibt viele verschiedene Kulturen auf unserer Erde und es gilt, diese zu respektieren. Andernfalls gleiten wir global weiter in die Isolation.
Durch ihr Verhalten mit der „One Love“-Armbinde und der Mund- zuhalten-Geste hat die deutsche Mannschaft ihrem Ansehen großen Schaden in der arabischen und dritten Welt zugefügt. Es gilt, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Im Sport hat weder Religion noch Politik etwas zu suchen. Wenn wir nicht einverstanden sind mit Katar, dann hätten wir keine Mannschaft dorthin schicken sollen.
Aber eine Mannschaft zu schicken und sie ständig durch Firlefanz abzulenken, ist höchst unprofessionell. Wer versteht denn, dass wir Katar massivst kritisieren – und gleichzeitig Energie-Verträge mit ihm abschließen? Zudem besitzt Katar große Aktienpakete an vielen deutschen A-Klasse-Unternehmen. Also runter vom hohen Ross und zurück in die Realität, Deutschland! Dr. Raj K. Bali Pulheim
WM: Größenwahnsinniges Spektakel
Bei allem Ablenkungsfeuerwerk über Menschenrechte geht ein Punkt völlig unter: Die eigentliche Perversion sind die unglaublichen Kosten dieses größenwahnsinnigen WM-Spektakels. Nach offizieller Angabe hat Katar für zwei Wochen Fußballshow 220 Milliarden Dollar ausgegeben. Da fallen die zusätzlichen Schmiergelder für die Vergabe der WM auch nicht mehr ins Gewicht.
Wenn man die Armut, den Hunger und die Umweltprobleme in der Welt sieht, sind diese Kosten nicht vertretbar und ein Skandal – werden aber einfach weggelächelt. Mit diesem Geld hätte der Ölstaat auch sinnvolle Dinge tun können. Aber für Sinnvolles sind weder der mittelalterliche Emir noch die Fifa zuständig. Und leider hat man sich in Europa anscheinend schon daran gewöhnt, dass eine Milliarde zur normalen Recheneinheit in der öffentlichen Wahrnehmung wird. Ralf Rochel Köln