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FlutkatastropheAnwalt erhebt schwere Vorwürfe gegen Versicherer

Lesezeit 6 Minuten

Luftaufnahme vom Ort Schuld (Landkreis Ahrweiler) nach der Flutkatastrophe.

Bonn – Es ist erst wenige Wochen her, da veröffentlichte ausgerechnet eine Versicherung eine umfassende Studie darüber, was bei der Flut im Juli 2021 so alles schiefgelaufen ist. „PERC Ereignisanalyse Hochwasser ‚Bernd‘“ hat die in Köln ansässige Zurich-Gruppe das 77-seitige Papier genannt, das sie als eines der größten und komplexesten Untersuchungen zum Thema der vergangenen zehn Jahre bezeichnet und in dem sie zahlreiche Verfehlungen auflistet. Ein Ausgangspunkt war dabei der Begriff des „Unvorstellbaren“, auf den die von der Versicherung ins Katastrophengebiet entsandten Expertinnen und Experten bei ihren Gesprächen vor Ort immer wieder gestoßen seien, heißt es in der Untersuchung. Doch unvorstellbar sei das Ereignis eben gerade nicht gewesen.

Die Menschen in den betroffenen Gebieten hätten mitunter bloß schlicht vergessen, was Teil ihrer Erinnerungsgeschichte hätte sein müssen. Etwa die Hochwasserereignisse von 1804 und 1910, die im Ahrtal eine ähnliche Dimension gehabt hätten wie die Flut vor einem Jahr. „Wir können uns diese selektive Erinnerung nicht mehr erlauben“, mahnen die Forscherinnen und Forscher in ihrem Fazit und schließen, dass das Unvorstellbare, hätte man aus der Vergangenheit gelernt und die richtigen Konsequenzen gezogen, vermutlich abwendbar gewesen wäre: Auf politischer Ebene durch eine bessere Kommunikation zwischen den Behörden und dem Katastrophenschutz etwa, auf gesellschaftlicher Ebene durch eine höhere Risikosensibilität seitens der Bewohner solcher Gebiete.

Versicherer warnen vor unangemessenen Entschädigungen

Am Ende listet die Studie ein paar Handlungsanweisungen auf, die auch die Versicherungsbranche selbst betreffen. In einer dieser Empfehlungen warnt die Zurich-Gruppe ausdrücklich vor einer „unangemessenen nachträglichen Entschädigung derjenigen, die sich hätten versichern können. „Bedingungslose und ungeplante Kompensationen führen zu einer Reihe von Fehlanreizen, sich nicht ausreichend vor Hochwasser zu schützen“, heißt es in dem Papier.

Für die Versicherungsbranche in Deutschland war die Flut nach eigenen Angaben die teuerste Katastrophe aller Zeiten. Das Hochwasser hat einen Schaden von etwa 8,5 Milliarden Euro verursacht. Und glaubt man dem Versicherungsrechtler Markus Krämer läuft auch auf Seiten der Schadensregulierer bis heute vieles im Bereich des Unvorstellbaren ab.

Schaden liegt im Schnitt bei 200.000 Euro

Etwa 80 Mandanten vertritt der Bonner Anwalt, die meisten davon aus dem Ahrtal. Im Schnitt liege der Schaden pro Versichertem bei rund 200.000 Euro, viele von ihnen haben alles verloren. Bei gerade mal sechs Mandanten sei bislang eine Einigung gelungen. „In manchen Fällen läuft es katastrophal“, sagt Krämer. Viele seiner Mandanten seien psychisch am Boden. Von der schnellen unbürokratischen Hilfe, die damals auch von der Politik versprochen worden war, sei kaum etwas übriggeblieben.

Anfangs seien die Betroffenen noch von einer Welle der Solidarität durch die schwierige Zeit getragen worden, inzwischen aber habe sich der Frust über ausbleibende oder viel zu geringe Zahlungen tief in die Seelen gegraben. Noch heute reist Krämer zwei Mal die Woche für Mandantengespräche ins Ahrtal. Dort erlebe er Menschen, die nach monatelangem Kampf um Entschädigungen den Lebensmut verloren hätten.

Menschen werden gezielt zermürbt

„Es gibt einige Versicherungen, die sich vorbildlich verhalten haben“, sagt Krämer „und andere, deren Strategie es ist, die Menschen gezielt zu zermürben.“ Er kenne diese Kniffe nur allzu gut, sagt er. Bis 2018 noch arbeitete der 43 Jahre alte Jurist selbst in der Rechtsabteilung eines namhaften Versicherungskonzerns, dann wechselte er die Seiten.

Ein großes Problem sei gerade anfangs mangelndes Personal in der Schadensregulierung gewesen. Die Versicherungen hätten teilweise Mitarbeitende aus dem ganzen Bundesgebiet zusammenziehen müssen, um überhaupt ausreichend Ansprechpartner anbieten zu können. Aber auch das reichte offenbar nicht immer aus. Manche Versicherungen, sagt Krämer, hätten wochenlang weder auf Mails noch Anrufe reagiert. Viele der Betroffenen seien mangels Personal aufgefordert worden, auf eigene Faust Gutachten und Kostenvoranschläge erstellen zu lassen. Doch das sei aufgrund der Überlastung der Handwerkbetriebe oft kaum möglich gewesen.

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Rheinland-Pfalz, Rech: In der Ortsgemeinde an der Ahr sind nach wie vor zahlreiche Häuser unbewohnbar. (Archivbild)

Wer dann Monate später endlich Termine bei den verschiedenen Gewerken ergattern konnte, der erhielt Kostenschätzungen, die wegen der Preissteigerungen durch Lieferschwierigkeiten bis zu 35 Prozent höher lagen als noch kurz nach der Flut.

„Irgendwann dreht man um und geht“

Die Versicherer hätten dann vielfach den Rotstift angesetzt und die Zahlen runtergerechnet. „Die Unternehmen wissen, dass die wirtschaftliche Existenz vieler Kunden zerstört ist und dass sie schnell Geld brauchen“, sagt Krämer. „Die Menschen werden so lange mürbe gemacht, bis sie auch den kleinsten Betrag akzeptieren.“ Es sei wie beim Anstehen in einer langen Schlange. „Irgendwann dreht man um und geht.“

Gerade auch die Menschen mit Häusern in Hanglage hatten es laut Krämer oft schwer, ihre Ansprüche durchzusetzen. Bei vielen von ihnen sei in der Flutnacht herabfließendes Wasser in die Keller eingedrungen. Einige Versicherungen aber hätten eine andere Erklärung dafür gefunden: Hochgedrücktes Grundwasser. Zahlreiche Anträge auf Schadensregulierung seien abgelehnt worden.

Versicherungen wehren sich gegen Vorwürfe

Der Gesamtverband der Versicherungen (GDV) setzte sich schon Ende vergangenen Jahres gegen Vorwürfe zur Wehr, die Branche habe bei der Flutbewältigung den Anstand verloren. „Glauben Sie nicht den Gerüchten in den sozialen Medien. Die Versicherungswirtschaft nimmt ihre Verpflichtungen sehr ernst“, teilte der GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen im Dezember mit. Vergangene Woche zog der Verband eine positive Bilanz zur Arbeit seiner Mitglieder.

„So gut wie jeder Hausbesitzer, der versichert war, hat schnell Geld von seiner Versicherung erhalten“, sagte Asmussen. Fünf der insgesamt 8,5 Milliarden seien ausgezahlt worden. Selbst bei den offenen Fällen hätten Versicherte vielfach große Teile des Schadens bereits ersetzt bekommen. Gleichwohl räumt der GDV ein, dass in jedem vierten Versicherungsfall der Wiederaufbau und die Instandsetzung noch andaure. Die Begleichung der restlichen 3,5 Milliarden stehe noch aus. „Es fehlt häufig Material, es fehlen noch immer Handwerker“, sagte Sabine Krummenerl, Vorsitzende des GDV-Ausschusses Privatkunden.

213.000 Schadenfälle, davon 91.000 beschädigte Wohngebäude

Nach Angaben des GDV verzeichneten die Versicherer 213.000 Schadenfälle, davon 40.000 beschädigte Kfz, 54.000 Fälle in der Hausratversicherung, 91.000 beschädigte Wohngebäude und 28.000 Firmen, die durch die starken Regenfälle ab dem 14. Juli Sachschäden und Betriebsunterbrechungen meldeten. In den Katastrophengebieten mussten über 2000 Einfamilienhäuser mit versicherten Schäden jenseits der 100.000 Euro wieder in Stand gesetzt werden.

Im Kreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz lag der Durchschnittsschaden bei 210.000 Euro pro Wohngebäude. In Euskirchen in NRW war jedes vierte Haus beschädigt. Knapp 20.000 Kräfte hätten die Versicherer entsandt, um schnelle Hilfe zu leisten. „Finanziell, psychologisch und praktisch.“

Bald dräuen hohe Kosten für die Notunterkünfte

Inzwischen aber ist ein weiteres Problem hinzugekommen, das Krämer zornig stimmt. Etwa 90 Prozent seiner Mandanten seien noch immer in Ferienwohnungen untergebracht. Die Mieten von bis zu 3500 Euro monatlich seien bislang von den Versicherungen bezahlt worden. Bei etwa 30 Prozent der Betroffenen aber würden die Verträge nun ein Jahr nach der Flut auslaufen. Die Kosten müssten sie dann selbst übernehmen. Die Anbieter der Apartments allerdings seien häufig nicht bereit, die Miete zu drosseln. „Die Vermieter benehmen sich wie Heuschrecken“, poltert er. „Sie bereichern sich an der Notlage dieser Menschen, von denen fast alle Angehörige in der Flut verloren haben. Das ist schändlich.“

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In einem Fall, der ihn emotional besonders mitgenommen habe, kann Krämer nach vielen Monaten zäher Verhandlung eine Lösung vermelden. Es geht um den Fall einer 73 Jahre alten alleinstehende Frau aus der Region Schuld, einem der Orte, die von der Flut besonders stark betroffen waren.

73-Jährige wohnt seit der Flut in einer Garage

Ihr Haus war vom Hochwasser stark beschädigt worden. Eine Woche vor der Flut hatte sie noch eine Darm-Operation. Die bestellte Sanierungsfirma habe ihre Immobilie entkernt und dabei auch wahllos Dinge zerstört, die noch intakt waren, wie etwa Badewanne, Dusche, Toilette und sämtliche Rohre. Inzwischen habe Krämer mit der Versicherung einen guten Kompromiss gefunden. Bis der Frost einsetzt, soll ihr Haus fertig sein. Bis dahin wird sie weiter in ihrer Notunterkunft bleiben müssen: Einer umgebauten Garage für 250 Euro monatlich schwarz.