In der medialen Schlammschlacht um eine Studie des Teams um Virologe Christian Drosten hat sich nun auch Alexander Kekulé, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Halle, zu Wort gemeldet. Drosten und sein Team hätten ihre Arbeit zurückziehen müssen, schrieb er in einem Gastbeitrag im „Tagesspiegel“. Die Reaktion von Drosten folgte prompt. Kekulé spiele in seinen wissenschaftlichen Kreisen keine Rolle, stellte Drosten auf Twitter klar.
„Bild“ und Christian Drosten
Hintergrund des Schlagabtauschs ist eine Studie des Teams um Charité-Virologe Drosten zur Viruslast bei Kindern, die bereits Ende April auf einem Pre-Print-Server veröffentlicht wurde. In ihr kommen die Wissenschaftler zu dem vorläufigen Schluss, dass Kinder entgegen bisheriger Annahmen genauso infektiös wie Erwachsene sein könnten.
Zu Beginn dieser Woche postete Drosten auf Twitter den Screenshot einer E-Mail eines „Bild“-Journalisten. Darin eine Reihe kontextloser Zitate mit vermeintlicher Kritik von Akademikern an Drostens Studie, ein paar Fragen – und der Hinweis auf ein Zeitfenster von einer Stunde, um Stellung zur Kritik zu beziehen. Drostens Urteil: Diese Art der Anfrage und Berichterstattung sei tendenziös – „Ich habe besseres zu tun“.
„Bild“ veröffentlichte den Text trotzdem, bezeichnete die Studie als „grob falsch“ und implizierte eine Absicht Drostens, die Ergebnisse der Studie zu forcieren. Die Reaktionen folgten umgehend: Sämtliche im Text zitierten Wissenschaftler distanzierten sich öffentlich. Die Zitate seien aus dem Kontext gerissen, die Berichterstattung tendenziös. Die „Bild“ habe keine Anfrage auf einen Kommentar gestellt.
Gewöhnlicher wissenschaftlicher Prozess als Skandal
Was „Bild“ völlig außen vorließ: In wissenschaftlichen Kreisen ist es ein normaler Prozess, dass Studien als Vorpublikation herausgebracht und die Methoden und Schlüsse kritisiert und kommentiert werden. Erst, wenn sie die Peer Review, also die Begutachtung und Bewertung durch andere Experten durchlaufen haben, werden sie in einschlägigen Fachjournalen veröffentlicht.
Kritik an Drostens Studie beziehungsweise den angewandten statistischen Methoden gibt es durchaus. Keine davon bezeichnete die Studie jedoch als „grob falsch“ oder absichtlich forciert. Drosten hatte bereits angekündigt, dass die Kritik in das nächste Update der Studie mit einfließen würde.
Die „Bild“ legte dennoch nach mit weiterer vermeintlicher Kritik. Doch auch diese Experten schossen zurück. „Wir beziehen gemeinsam Stellung gegen manipulative Interviews durch Medien die dazu führen können, dass Wissenschaft falsch interpretiert wird“, sagt etwa Herman Goossens, Koordinator des Covid-Forschungsprojekts „Recover“.
Anders als seine Kollegen zeigt sich Alexander Kekulé in seinem Gastbeitrag weniger solidarisch und diplomatisch. „Warum Drosten die Studie nicht einfach zurückzieht, ist schwer nachvollziehbar“, schreibt er. Auch eine persönliche Wertung lässt er sich nicht nehmen. Drosten würde der „Bild“ unnötige Angriffsfläche bieten.
„Er müsste erstmal etwas publizieren“
Drosten, der sich bislang immer deutlich dagegen gewehrt hatte, dass unterschiedliche wissenschaftliche Meinungen in Medien als „Streit“ verkauft werden, lässt das nicht unkommentiert im Raum stehen. Auf Twitter schreibt er: „Kekulé macht Stimmung. Seine Darstellung ist tendenziös. Er kennt unsere Daten nicht und zitiert falsch. Kekulé selbst könnte man nicht kritisieren, dazu müsste er erstmal etwas publizieren.“
Auf den Beitrag eines anderen Nutzers, dass die „Bild“ gewinnen würde, wenn Wissenschaftler öffentlich aufeinander einprügeln, reagierte Drosten ebenfalls mit deutlichen Worten: „So sieht es aus. Kekulé ist zum Glück bisher der Einzige, der sich so verhält. In unserer Community spielt er keine Rolle.“
Mit seiner prominenten Rolle als wissenschaftlicher Berater der Regierung in der Corona-Krise und durch seinen Podcast im NDR steht Drosten seit Ausbruch des Virus in Deutschland als „Star-Virologe“ im Rampenlicht – eine Vereinnahmung, gegen die er sich immer wieder wehrt. (ken)