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Ein Sommer ohne CSD und Gay-Parades

Lesezeit 4 Minuten

Berlin – Das kommt nicht nur in den besten sogenannten Kernfamilien vor: Auch in der Community von Schwulen, Lesben, Bisexuellen, Trans- und Inter-Personen (LGBTI) wird öfter mal gestritten.

Der schwule Aktivist Johannes Kram kritisierte im April die Ankündigung, den diesjährigen Christopher Street Day (CSD) in einer Online-Variante zu veranstalten: „So ein Blödsinn. Ja, man kann eine Cola-Marke auch im Internet inszenieren. Aber man kann keine Cola im Internet trinken.” Ein digitaler CSD sei kein CSD. „Er ist so ziemlich das Gegenteil davon.”

Der Berliner CSD-Verein will es dennoch versuchen und regionale Künstler und Gruppen einbinden. Unter dem Motto „Don't hide your Pride!” (deutsch: Verstecke deinen Stolz nicht) sollen am 25. Juli einzelne Gruppen mit kurzen Beiträgen in einem Stream auftreten, als würden sie am Publikum vorbeiziehen. Zuschauer sollen die Möglichkeit haben, sich beim Feiern zu präsentieren. Außerdem sollen Hausfassaden und öffentliche Gebäude geschmückt werden, Teilnehmer sollen alle gleichzeitig am Fenster mit einer Trillerpfeife Lärm machen.

Alles zum Thema Christopher Street Day

Mit dem CSD wird jedes Jahr an Ereignisse Ende Juni 1969 in New York erinnert: Polizisten stürmten damals in Manhattan die Bar „Stonewall Inn” in der Christopher Street und lösten einen mehrtägigen Aufstand von Schwulen, Lesben und Transsexuellen gegen die Willkür aus.

Normalerweise nehmen jedes Jahr allein in Berlin Hunderttausende am CSD teil. Wegen der Corona-Krise sind in Deutschland jedoch mindestens bis Ende August keine Großveranstaltungen erlaubt. Das sichtbarste Event der LGBTI-Community fällt deshalb in seiner bewährten Version nicht nur in Berlin aus, sondern auch in vielen kleineren Städten. Es wird ein Sommer ohne Straßen-Pride.

In der Homo-Hochburg Köln soll die eigentlich für den 5. Juli geplante Demonstration am 11. Oktober nachgeholt werden. Natürlich stehe man in Kontakt mit den Behörden und dem Robert Koch-Institut und werde dies nur tun, wenn man es nach deren Überzeugung dürfe.

Auch in Zürich hofften die Macher noch einige Zeit, ihren Pride im Herbst nachholen zu können. Jetzt aber ist er erst für Juni 2021 wieder geplant. Auch in Österreichs Hauptstadt soll erst 2021 die dann 25. Wiener Regenbogenparade wieder stattfinden.

Die queere Szene mit ihren Rückzugsorten - safe spaces, in denen die sonstige Minderheit in der Mehrheit ist - hat auch sonst ihre ganz eigenen Probleme. Bars und Lokale sind in dieser Zeit des Gebots der physischen Distanz in Gefahr. Institutionen wie etwa der Berliner Club SchwuZ und Medien wie das Stadtmagazin „Siegessäule” (Leitspruch: „We are queer in Berlin”) bitten um Spenden, weil sie sonst unterzugehen drohen.

Wie in den gesamtgesellschaftlichen Debatten tauchte auch in der LGBTI-Szene die Logik auf, dass es dann eben eine Marktbereinigung gebe. Viele in der Community sorgen sich aber um die mühsam in Jahrzehnten aufgebaute Infrastruktur. Sie fürchten eine unwiederbringliche Pleitewelle in der queeren Kultur.

Vor den Kopf stieß manchen, dass die Politik in der Krise in traditionelle Rollen- und Familienbilder zu fallen schien. Der Begriff „Kernfamilie” kann zum Beispiel bei sogenannten Regenbogenfamilien jenseits von Vater/Mutter/Kind diskriminierend ankommen - er ist für queere Menschen zumindest problematisch besetzt.

Plötzlich moralisch verwerflich ist auch die schnelle Nummer. Wer etwa die populäre Dating-App Grindr aufruft, bekommt den Ratschlag, zu Hause zu bleiben: „Du bist dein eigener bester Sexpartner.” Stattdessen gibt es den Tipp, sich „virtuell mit Hilfe von Fotos, Audio-, Video- und Gruppenchat” zu treffen. Statt Sexdates zu haben soll man lieber nur über erotische Vorlieben chatten. „"Sofort" kann warten - schmiedet lieber Pläne für Begegnungen in der Zukunft.”

Eine historische Einordnung zur Corona-Krise kommt von der Deutschen Aidshilfe. Pressesprecher Holger Wicht betont, dass etwa ältere Schwule in der Pandemie der Allgemeinheit etwas anzubieten haben: ihre Erfahrungen aus der Aids-Krise, die sie in den 80ern und 90ern besonders traf und die in Deutschland alles in allem gut bewältigt worden sei. „Die größte Lehre aus dieser Zeit ist, dass wir eine Epidemie nur gemeinsam in den Griff bekommen und nicht dadurch, dass jemand zum Problem erklärt wird. Die Politik muss alle befähigen, Verantwortung zu übernehmen. Das fühlt sich auch für alle besser an. Wir müssen solidarisch handeln.” (dpa)