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„Das war's. Das überlebe ich nicht“So erlebte eine Deutsche die Explosion in Beirut

Lesezeit 4 Minuten
Explosion in Beirut afp

Am Hafen in Beirut hat es am Dienstagabend eine Explosion gegeben.

  1. Bei einer Explosion im Hafen Beiruts wurden am Dienstagabend große Teile der Hauptstadt Libanons zerstört.
  2. 300.000 Menschen sollen nach dem Unglück obdachlos sein, mehr als 135 Personen starben.
  3. Hanna Voß war zum Zeitpunkt der Explosion in ihrer Unterkunft in Beirut und hatte gerade eine Videokonferenz beendet.
  4. „Ich habe noch nie so lange so doll gezittert, wie an diesem Dienstagabend“, sagt sie. Im Gespräch berichtet sie von den Minuten nach der Explosion und erklärt, wieso das Unglück für den Libanon besonders schlimm ist.

Beirut – Um kurz nach Sechs war da dieses Geräusch. Eins, wie ich es noch nie zuvor gehört hatte. Ich saß am Laptop, in meiner Wohnung, vierter Stock, im Viertel Achrafieh. Rund zwei Kilometer liegt das vom Hafen entfernt. Gerade hatte ich eine Videokonferenz beendet, wollte am Abend noch ein bisschen weiterarbeiten. Und dann war da dieses Geräusch.

Ich ging auf den Balkon. Vielleicht eine Drohne? Manchmal hört man die israelischen Drohnen, wenn sie über Beirut kreisen. Aber die klingen anders. Ein tieffliegendes Flugzeug? Am Himmel konnte ich nichts erkennen. Ich ging wieder hinein, zwei Schritte vielleicht. Dann kam die Druckwelle.

Zur Person

Hanna Voß (29) ist Redakteurin der „taz am Wochenende“. Über ein Stipendium lernte sie Beirut lieben. Seit dem 17. Juli wohnt sie wieder in der libanesischen Hauptstadt. Einen Rückflug hat sie noch nicht gebucht.

Das ganze Gebäude vibrierte. Gegenstände flogen durch die Luft, Bilderrahmen von der Wand. Eigentlich lernt man ja irgendwann mal, was man in solchen Situationen zu tun hat. Unter den Tisch, den Kopf schützen. Ich aber blieb wie paralysiert stehen, konnte mich nicht bewegen. Ich sah, wie die Türen aus den Angeln gerissen wurden, wie ihre Glaseinfassungen zerbarsten. Ein Fenster brach aus der Fassung. Ich dachte: „Das war‘s. Das überlebe ich nicht. Das Haus stürzt ein.“ Ich habe überlegt, ob ich noch wen anrufen soll. Meine Eltern vielleicht?

Explosion in Beirut: „War es ein Bombenangriff?“

Ich weiß nicht, wie lange das so ging. Mir kam es vor wie mehrere Minuten. Dann, plötzlich, war alles still. Und voller Scherben. Ich war barfuß. Ging in mein Zimmer, zog mir Schuhe an, nahm Schlüssel und Handy. Schnell raus. Andere Menschen sehen, das Gefühl bekommen, nicht alleine zu sein. Herausfinden, was das war. Und ob da noch was kommt.

Explosion Beirut Einwohner

Mehr als 130 Menschen kamen bei dem Unglück in Beirut ums Leben.

„Wir sind hier im Libanon“, dachte ich, „im schlimmsten Fall könnte das auch ein Bombenangriff gewesen sein.“ Draußen standen die Nachbarn. Sie sprechen kaum Englisch, ich kein Libanesisch. Auch sie hatten keine Erklärungen. Aber Zigaretten. Normalerweise rauche ich nicht. Jetzt aber nahm ich eine.

Ich habe noch nie so lange so doll gezittert, wie an diesem Dienstagabend.

Allein hätte ich mich nicht in die Wohnung getraut

Ein libanesischer Freund rief mich an, fragte mich, ob ich Hilfe brauche, kam vorbei. Das war gut, allein hätte ich mich nicht zurück in die Wohnung getraut. Wir haben zusammen gegessen, Nachrichten geschaut. Eine Stunde lang vielleicht. Dann haben wir begonnen, das Glas aufzufegen. Aber auch heute, am Tag danach, finde ich noch regelmäßig Splitter.

Hanna Voß

Hanna Voß

Auch draußen sind sie noch überall. In der ganzen Stadt hört man dieses Klirren, es hört nicht auf. Die Straßen glitzern in der Sonne. Ich war heute unterwegs. Mein Viertel hat es vergleichsweise harmlos erwischt. Anders als Mar Mikhael und Gemmayzeh, Partyorte, direkt am Hafen. Gerade in Gemmayzeh stehen noch viele alte Häuser in osmanischer Bauweise. Haben gestanden, befürchte ich. Selbst dort war ich noch nicht. Aber die Menschen, mit denen ich gesprochen habe, sie benutzten immer wieder ein Wort: „Warzone“, Kriegsgebiet. So sehe es dort aus.

Libanon erlebt schlimmste Wirtschaftskrise der Geschichte

Es ist unendlich traurig. Im vergangenen Jahr begannen im Libanon nach einer Steuerreform Bürgerproteste. Dann, als Corona kam, die Währung zu verfallen. Mittlerweile ist ihr Wert um 80 Prozent gesunken. Die schlimmste Wirtschaftskrise der jüngeren Geschichte, noch schlimmer als die nach Ende des Bürgerkriegs 1990. Die Corona-Infektionen dagegen steigen. Am Donnerstag beginnt der zweite Lockdown mit Ausgangssperre. Und jetzt, zusätzlich zu dem, was vorher schon alles nicht funktioniert hat, diese Explosion. Was muss diese tolle Stadt, was muss dieses tolle Land eigentlich noch alles aushalten?

Explosion Beirut Häuser

Bis zu 300.000 Bewohner der libanesischen Hauptstadt seien durch die Zerstörungen obdachlos geworden, sagte Gouverneur Marwan Abud am Dienstag.

Meine Familie bittet mich seit dem gestrigen Dienstag, dass ich bitte zurückkommen soll, zurück nach Deutschland. Ich will das nicht. Ich weiß nicht mal, ob es gehen würde, ob ich gerade einen Flug bekommen könnte. Ich kam Mitte Juli zum zweiten Mal hierher, einfach weil es mir so gut gefallen hatte in Beirut, weil ich sowieso ins Homeoffice musste und dachte: Warum dann nicht aus dem Libanon heraus arbeiten? Ein Freund gab mir ein Zimmer in seiner Wohnung. Was für ein Privileg das ist. Hier zu sein, weil man es will. Weg zu können, wenn man wieder weg will. Viele Libanesen haben diese Freiheit nicht.

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In meiner Wohnung ist gerade ein Zimmer frei. Ich versuche, jemanden hier unterzukriegen, der seine verloren hat. Keiner meiner Bekannten ist schwer verletzt worden, aber ihr Zuhause haben einige verloren. 300.000 Menschen hat die Explosion obdachlos gemacht. Es fühlt sich für mich nicht so an, als könnte ich jetzt einfach so abhauen.

Jonah Lemm hat dieses Protokoll aufgezeichnet.