Köln – Der prominente Zeuge erschien am 7. Januar zur Vernehmung. Roger Lewentz, Innenminister von Rheinland-Pfalz, soll Angaben im Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Landrat Jürgen Pföhler und dessen Krisenstabsleiter Michael Z. aus dem Kreis Ahrweiler machen. Es geht um fahrlässige Tötung durch Unterlassen. Der Anfangsverdacht steht im Raum, dass die Bevölkerung trotz erkennbarer Hinweise zu spät durch den Krisenstab vor der tödlichen Flutwelle gewarnt wurde. Bei der Katastrophe vom 14. auf den 15. Juli starben 134 Menschen.
Innenminister Lewentz: Vernehmung offenbart desaströse Informationslage
SPD-Politiker Lewentz schildert in der Vernehmung seine Erlebnisse aus der Flutnacht. Seine Antworten, die der „Kölner Stadt-Anzeiger“ einsehen konnte, belegen eine desaströse Informationslage in der Mainzer Regierungszentrale. Während Menschen in den Wassermassen ertranken, agierten die politischen Entscheider wie im Blindflug.
So räumte Lewentz ein, dass ihn erst am nächsten Morgen gegen 7.40 Uhr die Nachricht über einige Todesfälle erreichte. „Von Personenschäden im größeren Umfang wusste ich jedoch nichts.“ Aus dem Landkreis Ahrweiler habe es die ganze Nacht über keine dramatischen Meldungen gegeben, bekundet Lewentz. Vielmehr habe man gedacht, dass insbesondere die Kreise in der Westeifel durch das Unwetter betroffen seien.
Dabei gingen auch aus der Vulkaneifel und aus Bitburg-Prüm nur spärliche Nachrichten ein. Kurz nach 18 Uhr am 14. Juli meldete sich Innenstaatssekretär Randolf Stich (SPD) bei seinem Chef. Demnach drohte der Campingplatz Stahlhütte in Dorsel zu überfluten. Wohnwagen seien abgetrieben worden. Camper hätten sich auf die Dächer ihrer Mobilheime gerettet.
Die Info stammte vom Chef der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD). Thomas Linnertz war bereits am späten Nachmittag in die Eifel-Krisenregionen gefahren. Laut Gesetz kann die zentrale Verwaltungsbehörde von Rheinland-Pfalz den landesweiten Katastrophenschutz übernehmen, wenn mehrere Landkreise betroffen sind. Obwohl dies hier genau Fall war, geschah nichts.
„Nichts gehört, was auf dramatische Situation schließen lassen würde“
Nach den ersten beunruhigenden Nachrichten fuhr Lewentz zur Technischen Einsatzleitung (TEL) in der Kreisverwaltung Ahrweiler. Gemeinsam mit CDU-Landrat Pföhler ließ sich der Minister unterrichten und eilte dann beruhigt nach Hause. Auch der Landrat entschwand und überließ das Krisenmanagement seinem Katastrophenschutzinspekteur.
Lewentz sagte den Staatsanwälten, man habe man ihm die Lage folgendermaßen beschrieben: Das Hochwasser könnte den Pegel von 2016 ein wenig übersteigen, mehr aber nicht. Er habe nichts gehört, „was auf eine dramatische Lage schließen lassen würde.“ Nach seiner Auffassung hatte die TEL die Situation im Griff. Ein Trugschluss.
Während der Vernehmung übergibt der SPD-Politiker den Strafverfolgern Protokolle der Chats mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer und anderen Mitgliedern aus dem Regierungszirkel. Knapp eine Stunde nach seinem Besuch in Ahrweiler am Abend informierte Lewentz hochrangige SPD-Abgeordnete per SMS: „Ich bin gerade in den Starkregengebieten. Das wird eine sehr schwierige Nacht.“
Lewentz unterrichtet Regierungschefin Malu Dreyer als Dramatik deutlich wird
Der Kenntnisstand in der Landesregierung schien jedoch mehr als dürftig zu sein. So simste Dreyer an Lewentz um 21.42 Uhr: „Ich höre, dass der Höchststand Hochwasser erst Morgen Mittag erreicht ist? Ist ja wirklich schlimm.“ Dabei raste die Flutwelle bereits die Ahr hinunter. Spätere Schätzungen gehen von einem Pegel in der Hochphase von gut acht Metern aus, viereinhalb mehr als beim Jahrhunderthochwasser 2016.
Um 21.43 Uhr alarmierte der Innenstaatssekretär seinen Minister erneut. Im Eifelkreis sei die Situation weitaus drastischer als 2016. „Man erwartet wesentlich höhere Wassermassen. Die Lage scheint sehr problematisch zu sein. Der Kreis hat bei der ADD zusätzliche Unterstützung angefordert, weil die eigenen Feuerwehr- und Katastrophenschutzkräfte nicht mehr die Lage bewältigen können.“ Lewentz unterrichtete umgehend die Regierungschefin. Bis heute bleibt es jedoch ein Rätsel, wie die Landesregierung darauf reagierte. Gab es einen Maßnahmenplan? Warum wurde kein landesweiter Krisenstab eingerichtet?
Der Innenminister ließ sich nach eigenen Angaben zu Hause fortlaufend unterrichten. Allerdings vergingen wieder zwei Stunden bis Lewentz erfuhr, dass sich ein großes Unglück im Kreis Ahrweiler anbahnte. Das Lagezentrum schickte Luftbilder aus dem zerstörten Ort Schuld an die Leiterin seines Büros. Aus dem Fernsehen erfuhr er, dass drei Landkreise den Katastrophenalarm ausgelöst hatten.
„Liebe Malu, die Lage eskaliert“
Kurz vor ein Uhr in der Nacht alarmierte Lewentz die Ministerpräsidentin: „Liebe Malu, die Lage eskaliert.“ In Schuld seien sechs Häuser eingestürzt. „Es kann Tote geben/gegeben haben.“ Der ADD sei es nicht möglich, ein zusammenhängendes Lagebild zu erstellen, „da die Wehren überall vor Ort verzweifelt im Einsatz sind, aber nicht nach oben melden. An manchen Stellen ist wohl auch die Kommunikation gestört.“ Die Lage sei derzeit sehr unübersichtlich. Kabinettschefin Dreyer meldete sich am Morgen gegen halb sechs Uhr bei ihrem Minister. Sie sei nun erreichbar.
Zwei Stunden später übermittelte Lewentz ihr den ersten Schadens-Report aus dem Lagezentrum der Polizei Koblenz. Zum ersten Mal ist dort von einer Leichensammelstelle die Rede. Kurz vor zehn Uhr hakte Dreyer nach. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz lasse fragen, ob es Sinn mache, die Flutgebiete zu besuchen? Lewentz versprach zu klären, wo man hinkönne. Tatsächlich tauchte der damalige Bundesfinanzminister am selben Tag in Bad Neuenahr auf, um sich von den Zerstörungen ein Bild zu machen.
Doch das ist an jenem 7. Januar 2022 längst Geschichte. Es geht um die Schuldfrage im Verfahren gegen den inzwischen abgetretenen CDU-Landrat Pföhler und seine damaligen Krisenstabsleiter. Und so lässt der SPD-Minister Lewentz am Ende seiner Vernehmung eine kleine Bombe platzen.
Landrat von Ahrweiler fuhr in der Flutnacht nach Hause
Im Gegensatz zu Kollegen aus anderen Kreisen hatte der Landrat von Ahrweiler die Einsatzleitung in der Unglücksnacht an seinen Katastrophenschutzinspekteur abgegeben und war nach Hause gefahren. Lewentz gibt an, dass er erst neun Tage nach der Flutwelle durch eine Presse-Anfrage davon erfahren habe. Nach den Berichten habe sich der Landrat gemeldet. „Entweder bei dieser oder bei einer späteren Gelegenheit (…) hat er mich gebeten, dafür zu sorgen, dass er nicht strafrechtlich verfolgt werde, weil er ja die Einsatzleitung abgegeben habe.“
Ohne Erfolg. Die Staatsanwaltschaft Koblenz eröffnete ein Ermittlungsverfahren gegen Pföhler und dessen Krisenstabschef. Christoph Arnold, Verteidiger des Einsatzleiters, weist die Vorwürfe zurück: „Bis heute hat die Staatsanwaltschaft nicht deutlich gemacht, was die Technische Einsatzleitung unter den schwierigen Umständen und den nicht voraussehbaren Naturgewalten hätte besser machen können.“
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Sein Kollege Olaf Langhanki, der den Landrat vertritt, monierte: „Nach wie vor fehlt es an der Konkretisierung des Tatvorwurfes. Bisher wird uns noch nicht einmal mitgeteilt, was überhaupt tatsächlich fahrlässig unterlassen worden sein soll.“