„Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit“, zitierte Gesundheitsminister Karl Lauterbach in einer Rede im Bundestag. Zugeschrieben wird das Zitat dem deutschen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 bis 1831) – und der brachte damit schon seine eigenen Zeitgenossen zum Nachdenken.
Lauterbach zog den idealistischen Philosophen in einem Argument für die Impfpflicht heran, und er ist nicht der erste, der in diesem Kontext den Namen Hegels nannte. Der rhetorische Griff liegt nahe, immerhin machten die Philosophen des Idealismus (einer Schule die besonders in Deutschland zwischen 1750 und etwa 1850 durchdacht und diskutiert wurde) den Freiheits-Begriff zum zentralen Punkt ihrer Theorien. Oft verglichen werden dabei vor allem die Definitionen von Hegel und Immanuel Kant, dem Begründer der Pflichtethik. Was aber genau meint Hegel denn mit dem so griffigen wie doch unintuitiven Zitat?
Freiheit, so Hegel, ist mehr als bloße Willkür. Natürlich ist es eine Form der Freiheit, sich morgens ohne Einfluss von irgendwas oder irgendwem zwischen dem Apfel oder der Schale Müsli zum Frühstück zu entscheiden und ja, ein Gesetz, das uns zum Apfel verpflichtet, würde diese spezielle Art der Freiheit einschränken. Aber die echte Freiheit, die also, nach der der Mensch strebt und sich sehnt, geht weit hierüber hinaus.
Auch ein Tier kann sich zumindest ein Stück weit aussuchen, was es zum Frühstück haben möchte – was den Menschen davon aber unterscheidet ist die Vernunft. Und genau daran liegt laut Hegel unsere Freiheit: In der Möglichkeit, über die Welt und uns selbst nachzudenken und in dem Drang, uns und sie zu verstehen.
Das ist eigentlich all zu schwer nachzuvollziehen. Stellt man sich zwei Menschen vor, von denen einer ruhig und vernünftig überlegt, was er wann tun möchte und sollte und einen, der nur von dem Drang nach Befriedigung getrieben ist, von einem Kühlschrank zum nächsten springt und sich mit nichts anderem als seinem Hunger beschäftigen kann, fällt es nicht schwer, zu entscheiden, wer von beiden das freiere Leben führt. Klar, beide müssen ab und an etwas essen, trinken und schlafen. Aber wer von seiner Vernunft Gebrauch macht, kann sich auf einer Ebene verwirklichen, die eben nicht nur animalisch ist.
Regeln und Maßnahmen schränken Freiheit nicht zwangsläufig ein
Lauterbach beruft sich also auf diesen Aspekt der Hegelianischen Lehre: Freiheit ist die Einsicht in die Prozesse und Notwendigkeiten, die die Welt und unser Leben bestimmen. Dazu gehört auch und besonders die Wissenschaft. Ein Mensch, der sich dazu entschließt, wissenschaftliche Vernunft abzulehnen zugunsten von schierer Bedürfnisbefriedigung – also etwa dem Bedürfnis, ohne Maske durch volle Bahnen zu laufen – ist nicht freier als einer, der sich den Regeln und Maßnahmen anpasst, weil er eine darüberhinausgehende Notwendigkeit erkennt.
In der aktuellen Debatte um etwa die Impfpflicht, für die der Gesundheitsminister sich so stark macht, ist es laut Hegel keine Einschränkung der Freiheit, die der Staat den Menschen auferlegt. Vielmehr ist es ein „Garantieren der Freiheit“, wie Philosoph Klaus Vieweg in einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur erklärt. Unvernünftiges und Schlechtes zu tun, nur weil man sich dazu entschlossen hat, ist kein Ausdruck der Freiheit, sondern nur von Unvernunft.
Am Ende ist das höchste und wichtigste Gut für Hegel und die Idealisten das Leben. Frei sind vor allem diejenigen, die dieses zu schützen verstehen.