Bei „Hart aber fair“ ging es um großspurige Versprechen, das richtige Maß an Besonnenheit und die müßige Debatte über Taurus-Lieferungen. Und täglich grüßt das Murmeltier.
Unter Beifall vom ARD-PublikumNorbert Röttgen rechnet bei „Hart aber fair“ mit AfD und BSW ab
Seit Montag steht fest: Die SPD schickt „Friedenskanzler“ Olaf Scholz als Spitzenkandidaten in die kommende Bundestagswahl. Boris Pistorius hatte kurz zuvor abgesagt - und das, obwohl 60 Prozent aller Deutschen laut ARD-DeutschlandTrend den Bundesverteidigungsminister für einen guten SPD-Kanzlerkandidaten hielten. Nur 21 Prozent sagten dasselbe von Scholz.
„Popularität ist ein vergängliches Kriterium“, antwortete Ralf Stegner (SPD, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss) im „Hart aber fair“-Studio auf Louis Klamroths provokante Einstiegsfrage, ob denn die SPD zu doof zum Gewinnen wäre. Die Umfragewerte der SPD lägen bei 14 Prozent, die der CDU bei 33 Prozent: „Da muss ein Wunder passieren, dass die SPD zur CDU aufschließt“, setzte der Moderator noch einen drauf.
Nicole Deitelhoff bei „Hart aber fair“: Große Parteien haben „den Friedensbegriff liegen gelassen“
Stegner hielt am Glauben an Scholz fest: Angesichts der Wiederwahl von Donald Trump wäre international mit einer „raueren See zu rechnen, deshalb braucht man einen erfahrenen Kapitän“ und keinen, „der nicht mal eine Kreisverwaltung im Sauerland geleitetet hätte“, schoss er sich auf Union-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz ein.
„Stegner ist voll im Wahlkampfmodus“, kommentierte Klamroth. Der SPD-Politiker war nicht der Einzige.
„Ihr Kapitän bringt jeden Tag Europa auseinander“, stand Norbert Röttgen (CDU, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss) diesem in Sachen Streiteslust in nichts nach. Das wichtigste Thema wäre „der deutsche Beitrag zur Wiederherstellung von Frieden in Europa“, erklärte Röttgen. Da hätte er mit „seinem“ Kandidaten Merz den richtigen Mann für den Job: „Bei diesem Thema ist er voll im Stoff und bringt auch die notwendige Ernsthaftigkeit, Mut und Klarheit mit.“
Louis Klamroth kamen diese Wortgefechte gerade recht. Er hatte am Montag eine illustre Runde zum Thema „Angst vor der Eskalation - entscheidet der Ukraine-Krieg die Wahl?“ ins Studio geladen.
„Der Ukraine-Krieg wird die Wahl auf jeden Fall mitbestimmen“, erläuterte Journalistin Alev Doğan. Mit Scholz könnte sich die SPD im Wahlkampf als Friedenspartei positionieren, die mit einer de-eskalierenden Ukraine-Politik vor einem möglichen dritten Weltkrieg schützt.
Ob die Wählerinnen und Wähler der SPD diese Friedensbotschaft abnähme, bezweifelte die Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff. Die AfD und das BSW hätten diese für sich vereinnahmt, „weil die großen Parteien den Friedensbegriff liegen gelassen und keine Konzepte geliefert“ hätten. Allerdings hätten die drei Landtagswahlen in Ostdeutschland gezeigt, dass Außen- und Sicherheitspolitik nicht wahlentscheidend wären. „Themen wie Migration, innere Sicherheit und soziale Sicherheit werden die Hauptschlachtfelder sein.“
Norbert Röttgen über Scholz' Anruf bei Wladimir Putin: „100 Prozent Wahlkampf“
„Wenn die Mehrheit in Deutschland den Eindruck hat, dass diese beiden Parteien Friedensparteien sind, ist das eine Ungeheuerlichkeit, von der ich glaube, dass sie mit der Realität in diesem Land nichts zu tun hat“, empörte sich Röttgen und erntete dafür Applaus aus dem Publikum. Er appellierte, die Sendung zu nutzen, „um differenzierter, nachdenklicher und ernsthafter über den Begriff Frieden zu sprechen“.
Dieses „hohe Gut“ wäre nicht mit dem Ende des Krieges erreicht, sondern mit einem „post-imperialistischen Russland“. Jetzt ginge es darum, mit Waffenlieferungen dafür zu sorgen, dass dieser „schreckliche Krieg Russlands gegen die Ukraine scheitert“. Dass Scholz Mitte November erstmals nach zwei Jahren mit Putin telefoniert hätte, würde dazu nicht beitragen (Röttgen: Das war „100 Prozent Wahlkampf“).
Es wäre interessant, dass „großspurig über Frieden gesprochen wird, aber nicht einmal Verhandlungen stattfinden“, stellte Ines Schwerdtner, Co-Parteivorsitzende der Linken, fest. Die internationale Gemeinschaft müsse Druck ausüben, forderte sie.
Felix Banaszak bei „Hart aber fair“: „Ich habe mit dem ganzen Kram emotional nichts am Hut“
„Mich ärgert, dass seit 1.000 Tagen der Eindruck erweckt wird, dass Frieden an etwas anderem scheitern könnte als an Wladimir Putin“, machte der frisch gekürte Co-Bundesvorsitzende vom Bündnis 90/Die Grünen, Felix Banaszak, nach einer Woche im Amt seinem Ärger Luft. „Frieden entsteht nicht, indem man sich vor einem imperialen Aggressor in den Staub wirft und so tut, als wäre es Besonnenheit, sich nicht zu positionieren und sich zurückzuziehen.“
Bisher hätte Putin das Signal aus dem Westen bekommen: Es wäre nicht richtig, aber mach weiter so. Diese Fehler der Vergangenheit dürfte man nicht wiederholen. Vielmehr plädierte er für eine „klare Reaktion, dass das gewaltsame Verschieben von Grenzen und die Brutalität Konsequenzen haben“. Dazu gehörten auch Waffenlieferungen, um die Ukraine in die Lage zu versetzen, sich ernsthaft zu verteidigen. Als Kriegsbefürworter wollte er sich nicht missverstanden wissen - „ich bin Kriegsdienstverweigerer, ich habe mit dem ganzen Kram emotional nichts am Hut“, entfuhr es ihm spontan: „Unser Einsatz dient dem Frieden“, meinte er unter beipflichtendem Applaus.
Den erhielt Banaszak auch bei der nächsten Kritik am Noch-Regierungspartner SPD: Das Land hätte viel und intensiv über Waffenlieferungen diskutiert und weniger über das Ziel. „Aber warum? Weil es aus dem Kanzleramt keine ausreichende Gesamtstrategie gab.“
Norbert Röttgen bei „Hart aber fair“: „Zum ersten Mal wird die Sicherheit Europas von Europäern organisiert werden“
Eines gab es aus dem Kanzleramt sehr wohl: die Absage für Taurus-Lieferungen an die Ukraine.
„Hier gibt es wenig Verständnis dafür“, berichtete ARD-Korrespondent Vassili Golod live aus Kiew von der großen Verzweiflung, Unsicherheit und der fehlenden Perspektive der Ukrainerinnen und Ukrainer. Vor allem das Argument von Olaf Scholz, dass auch zivile Ziele in Moskau erreicht werden könnten, wäre unverständlich. „Die Ukraine hat sich an alle Verabredungen gehalten. Aus Sicht eines Staats, der auf Unterstützung angewiesen ist, wäre es idiotisch, etwas zu tun, das die Gefahr birgt, keine Unterstützung zu bekommen“, betonte Golod die Bereitschaft, mit Scholz jedes einzelne Ziel zu besprechen.
„Taurus liefern oder nicht ist eine müßige Debatte“, sah Deitelhoff darin eine politische Entscheidung, die mit den Risiken des Waffensystems nichts zu tun hätte. Auch Dogan verwies darauf, dass die Debatte zu nichts führte (“Täglich grüßt das Murmeltier“). Vielmehr ginge es um die strategische Entscheidung: „Liefern wir so viel, damit die Ukraine frei wird, oder - wie in der Vergangenheit: Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel?“
An die Möglichkeit einer „180-Grad-Wende“ glaubte Deitelhoff zum aktuellen Zeitpunkt nicht. Realistischer wäre vor dem Amtsantritt Donald Trumps, die Ukraine so gut wie möglich zu unterstützen, damit sie bei möglichen Verhandlungen in eine bessere Ausgangslage käme.
„Wenn Trump kommt, sage ich eine historische Wende voraus“, übte sich Röttgen zum Abschluss im Glaskugel-Lesen: „Zum ersten Mal wird die Sicherheit Europas von Europäern organisiert werden. Das ist das Thema der Bundestagswahl“, schaffte er es, den Kreis zu schließen. Dass er dabei - „wie wir alle“ - als Minister seinen Beitrag leisten wollte, stellte ihm den Applaus (und das Schmunzeln Klamroths) sicher. (tsch)